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Die Gedanken der Anderen
Zum 100. Geburtstag von Markus Wolf wurde sein Buch »Die Troika« neu herausgegeben
Ein Schuss von hinten durch die Brust ins Auge war die »ND«-Rezension am 19. April 1989 zu diesem Buch. Warum der stellvertretende Chefredakteur Harald Wessel am Anfang und am Schluss so ausführlich an die Statuten des »Bundes der Kommunisten« von 1847 erinnerte, mag manchem nicht verständlich geworden sein. So hintersinnig wie plump wurde der Autor und frühere Chef der Auslands-Spionage Markus Wolf zur Parteidisziplin gegenüber der »Zentralbehörde« ermahnt. Während überall im Land Kritik laut wurde, auch auf den Fluren des »ND«, verhärtete sich Erich Honeckers Gefolge umso mehr .
Doch was hatte das mit der Geschichte von Vitja, Lothar und Konrad zu tun, die uns »Die Troika« vor Augen führt? Kinder von Emigranten, in der deutschen Karl-Liebknecht-Schule in Moskau bildeten sie ein fröhliches Dreiergespann, das allerdings in Zeiten des Stalinschen Terrors zerbrach. Vitjas Vater, der amerikanische Journalist Louis Fischer, ging mit seiner Familie zurück in die USA. Lothars Vater Wilhelm Wloch, Mitarbeiter der Komintern, wurde verhaftet und starb im Lager. Lothar reiste mit der Mutter nach Deutschland, wo er zur Wehrmacht eingezogen wurde und lebte dann später im Westen. Konrads Vater, dem Arzt und Schriftsteller Friedrich Wolf, passierte nichts. Sein Sohn Konrad wird Soldat der Roten Armee, dessen zwei Jahre älterer Bruder Markus arbeitet im deutschsprachigen Dienst des Senders Moskau. Durch den Eisernen Vorhang und ihre politischen Ansichten waren sie fortan getrennt. Dennoch verloren sie nicht die Verbindung zueinander.
Konrad Wolf wurde einer der wichtigsten Filmregisseure der DDR. Er hatte vor, aus seiner Moskauer Geschichte einen Film zu machen. Eine Skizze dazu befand sich in einer schwarzen Ledermappe, die er noch auf dem Sterbebett in Reichweite hatte. Im Andenken an den Bruder griff Markus Wolf die Idee auf – auch weil er damit etwas verband, was ihn selbst beschäftigte. Schon lange trug er sich mit dem Gedanken, als Chef der Hauptverwaltung Aufklärung im MfS den Dienst zu quittieren, was ihm 1986, mit 63 Jahren, gelang. Nun hatte er mehr Zeit für Recherchen. Es wäre Stoff für einen Roman gewesen, doch letztlich entschied er sich für eine eher dokumentarische Form, der er selbst noch einen längeren Text hinzufügte, den er »Epilog« nannte.
Es sind seine lebendigen Erinnerungen an Koni, der als Präsident der Akademie der Künste oft genug daran verzweifelte, wie die Partei- und Staatsführung der DDR mit kritischen Intellektuellen umging. Allein schon, was Markus Wolf zur Biermann-Ausbürgerung schreibt – »Hätten wir die Folgen gekannt« – musste Honeckers Unmut wecken. Und wie er den Terror der 1930er Jahre in der UdSSR zur Sprache bringt, traf in der DDR ein Tabu.
Im Vorwort zur Neuausgabe der »Troika« wertet Christian F. Ostermann vom Wilson Center in Washington das Buch als öffentliches Signal, dass es jenseits der »zivilgesellschaftlichen Opposition auch innerhalb der politischen Elite und Staatsmacht, ja selbst innerhalb der vielerorts verhassten und gefürchteten Staatssicherheit, Kräfte gab, die dem dogmatischen Kurs des Honecker-Regimes kritisch gegenüberstanden und Reformen im Sinne des 1985 an die Macht gekommenen Michail Gorbatschow anstrebten«. Da sei Markus Wolf ein »Hoffnungsträger« gewesen, bestärkt durch die oftmals überfüllten Säle bei seinen Buchpräsentationen.
Ich habe immer noch vor Augen, wie freudig er mir bei unserem ersten Interview entgegentrat. Am 27. Oktober 1989 im »ND« veröffentlicht, dürfte es wohl kurz vor dem Rücktritt Erich Honeckers am 17. Oktober geführt worden sein. Wir sprachen über Vertrauen, Vernunft, Ehrlichkeit, Mut, Freiheit, Brüderlichkeit, Zivilcourage im Sinne der sozialistischen Idee, an deren Lebenskraft er nicht zweifelte.
Was auch immer danach kam – die Pfiffe bei der Großdemonstration au dem Berliner Alexanderplatz am 4. November (»Hütet euch vor Provokateuren«, was Stephan Hermlin am 28. Oktober in der Berliner Erlöserkirche sagte, war mir damals noch rätselhaft), die Öffnung der Grenze, Flucht, Exil, Gerichtsverfahren –, so glaube ich doch: Sein Leben als Autor, das mit der »Troika« begann, hat Markus Wolf über alle Enttäuschungen hinweg einen inneren Gewinn gebracht. Er konnte frei sein, sich offen zugehörig fühlen »zu denen, die Veränderungen einforderten«.
Einen »Lernprozess« nannte er das 2002 in unserem Gespräch anlässlich seines sechsten Buches, »Freunde sterben nicht«. »Ich wollte diesen Anderen, die anders dachten als ich, im Buch dasselbe Recht einräumen wie mir, bzw. dem Bruder.« Markus Wolf wurde heute vor 100 Jahren am Rand der Schwäbischen Alb geboren, er starb am Jahrestag des Mauerfalls in Berlin, am 9. November 2006.
1989 habe ich »Die Troika« vor allem als Ermutigung im Sinne eines demokratischen Sozialismus gelesen. Doch die »Anderen«, das waren nicht nur die Bürgerrechtler. Verständigung in der Welt ist nicht so einfach wie unter »Troika«-Freunden. Markus Wolf hat mit Gorbatschow auf ein Ende des Kalten Krieges gehofft. Wie muss es ihn geschmerzt haben, was stattdessen geschah.
Markus Wolf: Die Troika – Geschichte einer Freundschaft. edition bodoni, 324 S., 69 Abb., br., 24 €.
Buchvorstellung mit Hans-Eckardt Wenzel, Gesine Lötzsch, Daniela Dahn, Michael Brie und Paul Werner Wagner am 23. Januar, 18 Uhr, im Münzenbergsaal, Franz-Mehring-Platz 1,
10243 Berlin
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