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Johnnys Lächeln
Die deutschen Handballer buchen gegen die Niederlande frühzeitig das WM-Viertelfinalticket
Patrick Groetzki ist inzwischen 33 Jahre alt, er ist Vater dreier Mädchen. Der Flügelspieler von den Rhein-Neckar Löwen, der aktuell in Polen seine siebte Weltmeisterschaft spielt, hat schon einige Härten des Handballgeschäfts erlebt. Bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro wurde er, um nur ein Beispiel zu nennen, in der Vorrunde nach Hause geschickt, weil ein anderer Profi gesund geworden war.
Dieser Groetzki jedenfalls, den alle nur »Johnny« nennen, lächelte nach der Partie gegen die Niederlande glückselig. Und dies nicht nur, weil nicht wenige Experten ihn in der Form seines Lebens wähnen. Fünf Tore in fünf Versuchen steuerte er am Samstagabend in Katowice zum souveränen 33:26-Sieg bei – damit buchten die deutschen Handballer das Viertelfinalticket schon vor dem abschließenden Hauptrundenspiel gegen Norwegen (diesen Montag, 20.30 Uhr, live in der ARD).
Der Rechtsaußen ließ durchblicken, wie harmonisch sich das Mannschaftsgefüge bei der WM darstellt. »Die Stimmung ist immer gut«, sagt Groetzki. »Aber diesmal gibt es noch ein kleines Extra.« Nun, wo das Minimalziel erreicht ist, nämlich das Erreichen der K.-o.-Runde, greifen sie nach der ersten WM-Medaille seit 2007, als sie beim mythenumrankten »Wintermärchen« zu Hause den Titel gewannen.
»Der Traum ist natürlich, dass wir hier am Ende etwas um den Hals baumeln haben«, sagte Groetzki. Wenn man das nicht als Ziel betrachte, »dann brauchen wir hier gar nicht weiterzuspielen.« Der Gegner im Viertelfinale wird dann entweder Spanien oder Frankreich sein, das ist abhängig von der letzten deutschen Partie gegen Norwegen. Wer ihm lieber sei? Ach, antwortete Groetzki mit dem Lächeln eines buddhistischen Mönchs, »das ist mir eigentlich egal«.
Gegen die temporeichen Niederländer hatte das Team von Bundestrainer Alfreð Gíslason tatsächlich erstmals angedeutet, dass es zu mehr reichen könnte. Und dies paradoxerweise, weil der deutsche Rückraum um den jungen Regisseur Juri Knorr diesmal nicht auf dem allerhöchsten Level agierte – Knorr etwa leistete sich vier Fehlwürfe aus dem Rückraum. Dazu erlaubten sich die deutschen Angreifer auch zu viele Ballverluste.
Die deutsche Offensivmaschine stotterte ein wenig – und fand trotzdem immer wieder Lösungen. Etwa jenen Kempa-Trick zum 26:17, den Linkshänder Christoph Steiner mit einem Pass auf Philipp Weber einleitete. Solche Überraschungsmomente, für die es Mut und Entschlossenheit braucht, hat der deutsche Angriff seit vielen Jahren nicht mehr geliefert.
Es hatte aber andere Gründe, dass das deutsche Team den anfänglichen Rückstand drehen und die Partie nach der ersten Viertelstunde dominieren konnte. Plötzlich brillierte erstmals jener Mannschaftsteil, der dem Trainer bislang veritable Sorgen gemacht hatte: die deutsche Abwehr. Dort ackerten Kapitän Johannes Golla (Flensburg) und Julian Köster (Gummersbach) im Verbund mit den Halbverteidigern und errichteten eine unüberwindbare Mauer. »Der Innenblock war fantastisch«, freute sich Gíslason.
Diese Abwehrmauer wird selbstverständlich im Viertelfinale ganz anders gefordert sein. Sowohl Spanien als auch Frankreich verfügen über Shooter im Rückraum, weshalb die deutschen Verteidiger sich weiter vom Torkreis entfernen müssen. Was den deutschen Handballern aber ebenfalls Mut macht, ist die Topform der deutschen Torleute. Beim bisher härtesten Test gegen Serbien hatte Joel Birlehm (Löwen) mit seinen Paraden den Sieg gerettet. Gegen die Niederlande glänzte nun Andreas Wolff (Kielce) mit 43 Prozent Fangquote und verschaffte seinen Vorderleuten damit Sicherheit.
Bundestrainer Gíslason ist nun in der komfortablen Lage, die jungen Profis wie Juri Knorr und Julian Köster, die den Unterschied ausmachen können, im letzten Hauptrundenspiel gegen Norwegen schonen zu können. Es gehe darum, die Lasten zu verteilen, deutete der Isländer an. Diesen Vorteil haben auch die Franzosen und Spanier, die ebenfalls vorzeitig für die K.o.-Runde qualifiziert waren.
So oder so werden die deutschen Handballer als krasser Außenseiter in das Viertelfinale gehen. »Spanien und Frankreich spielen seit vielen Jahren auf Weltklasseniveau«, betonte Groetzki. Aber natürlich liegt darin auch ein Vorteil. Wer nichts zu verlieren hat, wer keinerlei Druck mehr spürt, irgendwelche Erwartungen zu erfüllen, der kann völlig frei aufspielen.
Er habe den Druck, das Viertelfinale unbedingt erreichen zu müssen, schon gespürt, verhehlte Bundestrainer Gíslason am Samstagabend nicht. Damit nämlich haben die deutschen Handballer, ein wichtiger Nebeneffekt, bereits die Teilnahme an einem Olympia-Qualifikationsturnier für Paris 2024 gesichert. Auch das war womöglich ein Grund für Johnnys beseeltes Lächeln. Mit Olympia hat Patrick Groetzki noch eine Rechnung offen.
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