• Berlin
  • Zukunft am Ostkreuz und Syndikat

Neue Zukunft für Gegenkultur

Nach zahlreichen Räumungen von linken Szeneorten startet 2023 mit zwei positiven Entwicklungen

  • Felix Schlosser
  • Lesedauer: 5 Min.
Nach der Sanierung soll hier die »Zukunft am Ostkreuz« eine neue Zukunft bekommen.
Nach der Sanierung soll hier die »Zukunft am Ostkreuz« eine neue Zukunft bekommen.

Své führt über das brachliegende Gelände an der Stralauer Allee in Friedrichshain. Das Pflaster des Weges ist längst nicht mehr vollständig vorhanden. Auf der einen Seite liegt die S-Bahn-Trasse, auf der anderen türmt sich ein kleiner Erdhügel. Sie wollen hier eine Pappelallee anlegen, berichtet Své stolz und zeigt auf frisch gepflanzte Bäume. Es hat durchaus etwas Symbolisches. Denn nicht nur soll dem Gelände direkt neben dem Club »Wilde Renate« neues Leben eingehaucht werden, auch andersherum ermöglicht die Brache einem fast schon verloren geglaubten Kulturstandort einen zweiten Frühling.

»Dass wir hier einziehen können, das wissen wir auch noch gar nicht so lange. Es war wirklich Bangen bis zum letzten Moment«, sagt Své. Seit über vier Jahren ist Své Teil des Kollektivs, das die Bar »Zukunft am Ostkreuz« betreibt. »Die ›Zukunft‹ ist leider Spekulationsware und passt mit ihrem alternativen Charme nicht in die neue saubere Bürowelt, die in der Laskerstraße entsteht«, sagt Své über den bisherigen Standort.

Der im südlichsten Zipfel von Friedrichshain gelegene Laskerkiez zwischen den S-Bahnhöfen Ostkreuz und Treptower Park hob sich lange vom Rest des Bezirks ab. Selbst als andere Ecken von Friedrichshain längst gentrifiziert waren, gab es hier noch bezahlbaren Wohnraum, alte Kneipen, brachliegende Flächen. Inmitten dieses Konglomerats befindet sich seit über zehn Jahren auch die Kulturbar »Zukunft am Ostkreuz«.

Auf dem bisherigen Gelände befand sich zu DDR-Zeiten ein großes Lager, in dem Kopien von Defa-Filmen verwahrt wurden. Seit dem Sommer 2011 ist dann an der Laskerstraße ein bemerkenswerter Kunst- und Kulturstandort entstanden. Keimzelle war das Freiluftkino »Pompeji« in den Ruinen des abgebrannten ehemaligen Clubs »Ministerium für Entspannung«. Aktuell gibt es in der »Zukunft« neben dem Freilichtkino eine eigene Brauerei, einen Jazzclub, einen Waldgarten für Open-Air-Veranstaltungen, eine Kneipe, eine Galerie und zwei Kinosäle.

Doch die im Kiez um sich greifende Verdrängung machte auch vor diesem Ort nicht Halt. Im Sommer 2021 erhielt das »Zukunft am Ostkreuz« die Kündigung, eigentlich zum März vergangenen Jahres. Unmittelbar an das alte Gelände angrenzend, verwirklichen zwei große Immobilienfirmen Investorenträume. Pandion baut auf rund 10 000 Quadratmetern den sogenannten Ostkreuz Campus, ein gigantisches Luxusbüro-Ensemble. Auch der Investor Trockland will hier einen Büroturm entstehen lassen. »Ein weiterer seelenloser Büro-Neubau, der den Kiez aufwerten soll, aber keine Lebensqualität für die Menschen vor Ort übrig lässt«, sagt Své.

Der Ostkreuz Campus war letztlich auch der Stein des Anstoßes für die Nachbarschaft, etwas gegen die Aufwertung zu unternehmen, sagt Timo Steinke von der Quartiersinitiative Wem gehört der Laskerkiez. Doch trotz Vernetzung, Demonstrationen und politischem Druck: Pandion konnten sie nicht stoppen. »Niemand im Kiez möchte dieses Projekt hier haben. Es wird mit absoluter Gewissheit für steigende Mieten sorgen und die Verdrängung im Kiez befeuern«, ist sich Steinke sicher. Das gilt auch für Trockland. Dessen Werbeplakat am Zaun des Baugrundstücks zieren Graffitis mit den Worten »Nein Danke« und »Verpisst euch«.

Während der Kiez nun also mit schnellen Schritten das aufzuholen scheint, was der Rest von Friedrichshain bereits vor einigen Jahren durchgemacht hat, konnte zumindest das »Zukunft am Ostkreuz« gerettet werden. Své führt über das neue Gelände und rechnet vor: Man habe nun zwar eine doppelt so große Außenfläche wie am alten Standort, die Innenräume seien aber kleiner. »Das neue Gelände ist quasi ruinenartig. Von Strom über Abwasser müssen wir alles selber machen. Es gibt massenhaft Müll zu entsorgen«, sagt Své zu den Herausforderungen, die jetzt auf das Bar-Kollektiv zukommen.

Nicht zuletzt für die Sanierung der Baracken braucht es Geld. Aktuell läuft eine Crowdfunding-Kampagne, um die Umbauarbeiten zu finanzieren. Bereits 38 000 Euro sind zusammengekommen. Von der Entwicklung der Kampagne hängt auch ab, wann der Konzertbereich aufgebaut werden kann, erklärt Své. »Momentan gehen wir davon aus, dass wir im Sommer den Biergarten eröffnen können. Bis dahin wird die ›Zukunft‹ am alten Standort geöffnet bleiben.«

Andernorts ist man da schon weiter: Für viele überraschend erlebte am Freitag die Neuköllner Kiezkneipe »Syndikat« ihre Wiedereröffnung. Vor zweieinhalb Jahren ist die Kneipe unter Protesten und einem großen Polizeiaufgebot zwangsgeräumt worden. Nach langer vergeblicher Suche zieht sie jetzt in die Räumlichkeiten der Kneipe »Laika« an der Emser Straße, deren Betreiber einen Nachfolger gesucht haben. »Schön, wieder einen Ort zu haben und Nachbar*innen aus dem Fenster zu grüßen«, freut sich Kneipenwirt Christian.

Gut sei auch, dass die Räumlichkeiten eine ähnliche Größe haben wie die zuvor. Die Bierpreise müssten zwar – wie vieles andere auch – ein bisschen erhöht werden. Aber man werde schauen, dass die Preise solidarisch blieben. Am ersten Kneipenabend im neuen »Syndikat« war es dann auch entsprechend voll. »Bier vom Fass wie früher«, freut sich ein Gast, der schon den alten Standort regelmäßig besucht hat und dem auch die neuen Räumlichkeiten gut gefallen.

Die Kneipen »Syndikat« und »Meuterei«, der Köpi-Wagenplatz, Hausprojekte wie die Liebig34: Nachdem in den vergangenen Jahren die linken Szenen Berlins der Räumung zahlreicher ihrer Orte nachtrauern mussten, ist das neue Zuhause, was das »Zukunft am Ostkreuz« demnächst und das »Syndikat« bezieht, auch ein Hoffnungsschimmer. »Es ist niemals aussichtslos zu kämpfen. Wir sind dafür vielleicht ein ermunterndes Beispiel«, sagt Své.

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