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  • Fotojournalistin Barbara Klemm

Kein Kostümkitsch

Barbara Klemm arbeitete als Fotojournalistin und wurde zur Künstlerin des Dokumentarischen - eine große Schau in Oberhausen

  • Jürgen Schneider
  • Lesedauer: 5 Min.
»Er wollte schon immer hoch hinaus«, sagt Klemm über Joschka Fischer – hier zu sehen auf einer Leiter während der Studentenproteste 1969 in Frankfurt am Main.
»Er wollte schon immer hoch hinaus«, sagt Klemm über Joschka Fischer – hier zu sehen auf einer Leiter während der Studentenproteste 1969 in Frankfurt am Main.

In der Ludwiggalerie, Schloss Oberhausen, ist derzeit die Ausstellung »Schwarz-Weiß ist Farbe genug. Fotografien 1967 bis 2019« von Barbara Klemm zu sehen. Klemm war von 1970 bis 2005 fest angestellte Fotojournalistin bei der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« und hat viele bedeutsame politische Ereignisse festgehalten, immer analog, schwarz-weiß und ohne Blitzlicht, zumeist aber den Vorgaben der Zeitung für Deutschland folgend. Den heutigen digitalen Massenbildern, so sagt sie, fehle etwas an Tiefe – sie hätten eine »unglaubliche, flächige Kälte«. Zwar hat Klemm die Schwarz-Weiß-Fotografie nie als Kunstform und sich selbst immer als Dokumentaristin gesehen, doch wegen ihrer gelungenen Bildkompositionen wird immer wieder die Frage diskutiert, ob ihre journalistische Fotografie als Kunst anzusehen sei.

Die Frage nach dem Stellenwert der Fotografie wurde freilich seit deren Erfindung auch insgesamt immer wieder kontrovers diskutiert. Albert Renger-Patzsch, Fotograf der Neuen Sachlichkeit, schrieb bereits 1927: »Überlassen wir die Kunst den Künstlern und versuchen wir mit den Mitteln der Photographie Photographien zu schaffen, die durch ihre photographischen Qualitäten bestehen können, – ohne daß wir von der Kunst borgen.« Der chinesische Künstler und Fotograf Ai Weiwei formulierte 2006: »Hat sich die Fotografie erst einmal von ihrer ursprünglichen Funktion als Technik oder Mittel zur Dokumentation gelöst, so ist sie schlicht ein fließender Existenzzustand, der sich jedes Mal zu einer möglichen Realität wandelt.«

Die Oberhausener Ausstellung ist thematisch gegliedert: Politik, Mauerfall, Porträts von Schriftsteller*innen und Künstler*innen, Museumsszenen, Fotos aus der DDR – zum Beispiel das von lachenden Kindern vor dem VEB Fortschritt in Rostock (1974) –, aus den USA und aus Russland. Bei Letzteren sticht das Foto einer Lenin-Statue hervor, vor der protzige Pkw geparkt sind (Moskau, 1993). Auf einem Foto von 1995 bestaunt der klotzige Helmut Kohl im Deutschen Historischen Museum einen Lenin-Kopf, das Haupt gesenkt vor Hammer und Sichel.

»Wenn ich über die Bilder in zeitlicher Reihenfolge etwas sagen soll«, so Klemm in einem Interview, »dann würde ich mit dem Foto von Adorno mit dem Polizisten und den Studenten anfangen. Es entstand [im Januar] 1969 und wurde ein Schlüsselbild der Studentenrevolte.« Klemm schoss dieses Foto während der im Gefolge der Anti-Notstand-Proteste erfolgten Besetzung des Frankfurter Instituts für Sozialforschung durch Studierende der »Marcusejugend« (Samuel Beckett). Die Direktoren des Instituts, an ihrer Spitze Adorno, reagierten auf diese von ihnen als Hausfriedensbruch deklarierte Besetzung, indem sie Polizeischutz anforderten. Die Besetzung wurde von der Polizei gewaltsam beendet. Im Dezember 1968 hatte Adorno an Herbert Marcuse geschrieben: »Höchst berechtigte studentische Forderungen und fragwürdige Aktionen gehen so durcheinander, daß von produktiver Arbeit oder auch nur einem vernünftigen Denken kaum mehr die Rede sein kann.«

Ebenfalls 1969 entstanden ist ein Foto vom Bundestagswahlkampf, bei dem die NPD mit Saalschutz auftrat. Klemm: »Bei einer Veranstaltung in Frankfurt gab es ganz fette Ordner, die ich fotografiert habe, wirklich miese Typen. Das Bild wurde zuerst natürlich in der «FAZ» veröffentlicht, dann im «Spiegel» und in der gesamten europäischen Presse nachgedruckt. Außenminister Walter Scheel hat damals gesagt, ich hätte mit dem Foto mehr als alle Parteien dazu beigetragen, dass die NPD an der Fünfprozenthürde scheiterte.«

Aber nicht dieses Foto hängt neben der Adorno-Aufnahme, sondern ein Foto, das auch auf das Jahr 1969 datiert ist und Joschka Fischer mit Bauarbeiterhelm auf einer Leiter vor der Frankfurter Universität sitzend zeigt. »Er wollte schon immer hoch hinaus«, so Klemm. Der Publizist Wolfgang Pohrt schrieb einst über den aufstrebenden Fischer und seine zu den Grünen gewechselte Frankfurter Sponti-Clique, sie seien als Verbündete gefährlicher denn als Gegner. Eine Feststellung, die Pohrt traf, lange bevor Fischer sich als deutscher Außenminister und Vizekanzler für das militärische Eingreifen in Jugoslawien entschied und dessen Notwendigkeit mit dem Schrecken von Auschwitz begründete.

Ein paar politische Ereignisse und Personen später – wir haben inzwischen das Foto aus dem Jahr 1971 vom debil grinsenden Nazi-Marinerichter Hans Filbinger sowie das von Breschnew und Honecker beim Bruderkuss von 1979 passiert – hängt ein 2001 entstandenes zweites Foto von Fischer, wie er im feinen Zwirn vor einem Willy-Brandt-Siebdruck von Andy Warhol im Außenministerium sitzt. Willy Brandt ist für Klemm ganz gegenwärtig und die Figur, die ihre Zeit begleitet hat. Das berühmteste Bild Klemms, das ebenfalls in Oberhausen zu sehen ist, entstand beim Treffen von Brandt und Breschnew 1973 in Bonn.

Andy Warhol wurde von Klemm einmal während eines Besuchs im Frankfurter Städelmuseum gesichtet. Warhol wollte Tischbeins Gemälde »Goethe in der römischen Campagna« sehen, von dem er nach einer kleinen Reproduktion seinen eigenen Goethe-Siebdruck geschaffen hatte. Einen Pressekollegen, der Warhol begleitete und ablichtete, fragte Klemm, die noch heute eine Kamera mit sich führt, ob sie Warhol ebenfalls fotografieren dürfe, und überließ diesem das Arrangement. Scheu und teilnahmslos steht der Pop-Art-Künstler auf dem Foto da, »so ein bisschen derangiert«, wie Klemm es formuliert.

Klemms Porträts sind ein veritables »Who’s who« der Nachkriegsliteratur und -kunst, von Ingeborg Bachmann, Simone de Beauvoir, Elfriede Jelinek bis zu Anselm Kiefer, Neo Rauch und Richard Serra. Friederike Mayröcker sehen wir in ihrem Arbeitszimmer in einem riesigen Wust von Papier, Heiner Müller in seiner Ostberliner Wohnung vor einem Telefonbuch sitzend und den von Müller geförderten Lyriker Durs Grünbein vor antiken Skulpturen.

Grünbeins Dichterkollege Thomas Kling spottete einst: »Wenn den Antikenfreund das Fell juckt, er aber kein Gefühl für Geschichte hat? Dann bekommt man Kostümfilm – Sandalenfilme aus den Grünbein-Studios.« Von Barbara Klemm hingegen bekommen wir einprägsame Schwarz-Weiß-Fotos, aufgenommen mit Kodak-400-Filmen, ohne Kostüm- und Sandalenkitsch und in sicherer Widerlegung der Behauptung von Martin Kippenberger und Albert Oehlen: »Eine gut geknipste Fotografie braucht sieben Minuten.«

»Barbara Klemm: Schwarz-Weiß ist Farbe genug. Fotografien 1967 bis 2019«, bis 7. Mai, Ludwiggalerie, Schloss Oberhausen.

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