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  • Staatliche Parteienfinanzierung

Verdacht der Selbstbedienung

Verfassungsgericht urteilt, dass die Erhöhung der staatlichen Parteienfinanzierung rechtswidrig war

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.

Es war Sommer. Viele Menschen in der Bundesrepublik bereiteten sich auf ihren Urlaub vor oder sahen sich die ersten Spiele der Fußballweltmeisterschaft an, die 2018 in Russland stattfand. Die damalige Koalition aus Union und SPD hatte es zu diesem Zeitpunkt sehr eilig, in nur wenigen Tagen eine Neuregelung durch den Bundestag zu bringen, die vorsah, dass die Parteien ab 2019 insgesamt rund 25 Millionen Euro mehr an staatlichen Geldern bekommen sollten als ursprünglich vorgesehen.

Nun hat sich herausgestellt, dass Konservative und Sozialdemokraten damit gegen das Grundgesetz verstoßen haben. Am Dienstag erklärte das Bundesverfassungsgericht die Aufstockung der Gelder für nichtig. Vor allem habe den damaligen Regierungsfraktionen und der Bundesregierung eine ausreichende Begründung gefehlt, so die Karlsruher Richter. Union und SPD hatten insbesondere auf »die Digitalisierung der Kommunikationswege und Medien« verwiesen. Internetauftritte und Aktivitäten in den sozialen Netzwerken erforderten zusätzliche finanzielle Mittel, das gelte auch für den damit zusammenhängenden Schutz vor digitalen Angriffen, so die Parteien. Die zunehmende Beteiligung der Basis, etwa durch Mitgliederentscheide, sei ebenfalls teuer.

Diese Argumentation war dem Verfassungsgericht zu dünn. Nach den Worten von SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert hat das Gericht allerdings anerkannt, dass die Parteien wegen der Digitalisierung und neuer Formen der Mitwirkung mehr Geld bräuchten. Zugleich habe es Vorgaben gemacht, wie diese Mehrbedarfe zu begründen seien. Die Sozialdemokraten wollen mit den »demokratischen Parteien im Bundestag« an einer Neuregelung arbeiten. Ob Gelder aus den Jahren seit 2019 zurückgezahlt werden müssen, entscheidet die Bundestagsverwaltung. Nach der Entscheidung des Gerichts werden die demnächst festzusetzenden Zuschüsse für das abgelaufene Jahr wieder auf Grundlage der alten Obergrenze berechnet.

Ein Erfolg ist das Urteil für die Kläger von Grünen, FDP und Linkspartei, die 2018 zusammen in der Opposition saßen. Zwar profitierten auch diese drei Parteien von den höheren staatlichen Zuschüssen. Aber das Gesetz sei »handwerklich grottenschlecht« gewesen und habe »dem Ansehen aller Parteien geschadet«, erklärte der parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion, Jan Korte.

Staatliche Zahlungen machen rund ein Drittel der Einnahmen anspruchsberechtigter Parteien aus. Die Höhe ist abhängig von der Zahl der Wählerstimmen. Es ist eine relative Obergrenze festgelegt. Demnach dürfen die Parteien nicht mehr Geld bekommen, als sie selbst – etwa aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden – erwirtschaften. Außerdem gibt es eine absolute Obergrenze für die staatlichen Zuschüsse, die für alle Parteien zusammen gilt. Wenn diese Grenze überschritten wird, werden die Zuschüsse anteilig gekürzt.

Die Grenze bei der staatlichen Parteienfinanzierung darf nur in dem Fall hochgesetzt werden, wenn sich die Verhältnisse »einschneidend« ändern. Dazu erklärte Gerichtsvizepräsidentin Doris König, die absolute Obergrenze solle verhindern, dass die Bevölkerung den Eindruck von Selbstbedienung aus den öffentlichen Kassen bekomme.

Eine Anhebung ist aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts lediglich unter drei Voraussetzungen zu rechtfertigen: Die einschneidende Veränderung müsse alle Parteien betreffen, von außen auf sie einwirken und den Finanzbedarf so erhöhen, dass sie ihn nicht aus eigener Kraft finanzieren könnten. Bei der Entscheidung der Koalition im Jahr 2018 seien jedoch weder nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür erbracht worden, wie hoch der zusätzliche Finanzbedarf sei, noch seien mögliche Einsparpotenziale eingerechnet worden.

Immerhin ging es seit dem Jahr 2019 um insgesamt 190 Millionen Euro aus der Staatskasse. Das Vertrauen in die Demokratie ist unter den Bundesbürgern nicht besonders ausgeprägt. Eine Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung kam 2019 zu dem Schluss, dass weniger als die Hälfte der Befragten mit dem Funktionieren der Demokratie zufrieden ist. In Ostdeutschland war es nur etwas mehr als ein Drittel.

Die AfD war übrigens allein nach Karlsruhe gezogen und hatte gerügt, dass ihre Rechte beim Gesetzgebungsverfahren verletzt worden seien. Dieses sei mit neun Werktagen ungewöhnlich kurz gewesen. Die Fraktion habe sich nicht ausreichend vorbereiten können. Das Gericht verwarf die Anträge als unzulässig.

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