Mikaela Shiffrin fährt am Kronplatz zum Rekord

Die US-Amerikanerin gewinnt im Riesenslalom und feiert ihren 83. Weltcupsieg

  • Elisabeth Schlammerl, Kronplatz
  • Lesedauer: 4 Min.
Mit Zug zum Sieg: Mikaela Shiffrin gewinnt den Riesenslalom am Kronplatz.
Mit Zug zum Sieg: Mikaela Shiffrin gewinnt den Riesenslalom am Kronplatz.

Es dauerte ein paar Sekunden, bis Mikaela Shiffrin reagierte. Die Skirennläuferin aus den USA stützte sich erst einmal auf ihre Skistöcke und senkte den Kopf. Erst danach war sie in der Lage, die zur Faust geballte rechte Hand kurz in die Höhe zu recken. Eine fast bescheidene Geste angesichts dessen, was sie da am Dienstag gerade vollbracht hatte. Der Sieg im Riesenslalom am Kronplatz war kein gewöhnlicher, sondern ihr 83. im Weltcup. So oft wie sie hat keine andere Frau gewonnen, nur der Schwede Ingemar Stenmark stand dreimal öfter ganz oben auf dem Podium. Und es gibt kaum Zweifel, dass es nicht mehr sehr lange dauern wird, ehe sie auch den Rekord aus den 80er Jahren knacken wird. Und das mit erst 27 Jahren, Stenmark war bei seinem letzten Erfolg über 30. Schon an diesem Mittwoch könnte sie im zweiten Riesenslalom am Kronplatz Sieg Nummer 84 schaffen.

»Das«, gibt sie zu, »ist schwer in Worte zu fassen.« Diese Zahl, diese 83 Siege. Gut zehn Jahre brauchte die mehrfache Goldmedaillengewinnerin bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen von ihrem ersten Weltcupsieg im Dezember 2012 in Are bis zur ihrem Rekordtriumph. Im Schnitt hat Shiffrin jedes dritte Rennen im Weltcup gewonnen, in mehr als jedem zweiten landete sie auf dem Podest. Die als Rekordhalterin entthronte Lindsey Vonn freut sich, »dass zwei Amerikanerinnen die Besten sind. Das ist cool.«

Es passt zu Shiffrin, dass sie auf jegliche Show bei ihrem Rekordsieg verzichtete. Statt sich selbst zu feiern, lobte sie erst einmal lieber die vielen Pistenhelfer, die alles so vorbereitetet hätten, »dass man hier so wundervoll Ski fahren konnte«. Sie erzählte von ihrer Anreise aus Cortina d’Ampezzo, wo sie in zwei Abfahrten und einem Super-G einen Sieg verpasst hatte, und von den üblichen Ritualen vor dem Rennen. »Es war bisher zu viel Aufregung für Emotionen.«

Wer sie bisher nach Rekorden gefragt hatte, bekam stets eine zurückhaltende Antwort. »Ich versuche, lieber daran zu denken, wie ich im Jetzt glücklich sein kann«, hatte Shiffrin nach einem ihrer vielen Siege in diesem Winter gesagt. Es scheint so, als glaubte sie selbst immer viel weniger an sich als alle anderen. Dabei ist sie außergewöhnlicher, besser als andere. Im Gesamtweltcup führt sie jetzt mit mehr als 500 Punkten Vorsprung vor der Schweizerin Lara Gut-Behrami, die ihr auch im Riesenslalom am Kronplatz als Zweite am nächsten kam.

Die beeindruckende Karriere ist begleitet von Selbstzweifeln. So fragte sich Shiffrin einmal, ob es nicht etwas Sinnvolleres gäbe, als Skirennen zu bestreiten. Auch nach dem plötzlichen Tod ihres Vaters im Februar 2020 stellte sie alles in Frage. In der schweren Zeit danach half ihr Aleksander Aamodt Kilde. Er sei ihr eine große Stütze gewesen, verriet sie, nachdem die beiden ihre Beziehung öffentlich gemacht hatten. Aber auch der norwegische Spitzenfahrer kann nicht verhindern, dass Niederlagen sie manchmal stärker beschäftigen, als Siege sie beflügeln. »Mikaela ist die Weltbeste, agiert aber wie eine, die nicht einmal in der Nähe der Weltspitze ist«, sagte Kilde jüngst. Sie suche immer nach Dingen, »die sie verbessern kann«.

Es waren ausgerechnet die bislang bittersten Tage ihrer Laufbahn, die sie aus dieser Mühle entfliehen ließen. Bei den Olympischen Winterspielen in Peking stand sie im vergangenen Februar sechsmal am Start, dreimal davon als Goldfavoritin – und schied in allen drei aussichtsreichen Rennen aus. In den anderen Wettbewerben landete sie jenseits der Medaillenränge. Damals haderte sie nicht öffentlich, sondern richtete sich an dem auf, was ihr Positives widerfahren war, der Zuspruch der Konkurrentinnen zum Beispiel. Nach der Rückkehr aus Fernost kehrte sie schnell wieder in die Erfolgsspur zurück und sicherte sich zum vierten Mal den Gesamtweltcup.

Und doch hat Shiffrin festgestellt, dass sie neue Reizpunkte braucht. Sie entschied, in dieser Saison wieder mehr Abfahrts- und Super-G-Rennen zu bestreiten. Ihr Skiausrüster stellte ihr deshalb gleich zwei Servicemänner zur Seite: einen, der sich um die längeren Ski für die schnellen Disziplinen kümmert, einen, der die kürzeren Bretter für Slalom und Riesenslalom präpariert. Und sie korrigierte ihren Trainingsplan. Statt wie in den Jahren zuvor nach dem Auftakt in Sölden zurück in die Vereinigten Staaten zu reisen, um sich dort auf die nächsten Rennen vorzubereiten, blieb sie diesmal in Europa. Es scheint so, als ob sie wieder einmal die richtige Entscheidung getroffen hätte. »Irgendwie hat es für mich sehr oft gepasst«, sagte Shiffrin einmal, »ich weiß gar nicht, warum.«

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