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»Diese Explosion ist vielfältig«
Der Aktivist und Radiomacher Kiumarz Naghipour über seine Erlebnisse als Regimegegner im Iran und sein politisches Engagement in Deutschland
Herr Naghipour, Sie sind in Hannover seit Jahrzehnten politisch und gesellschaftlich engagiert, aber im Iran geboren. Was hat Ihre Kindheit und Jugend dort geprägt?
Kiumarz Naghipour unterstützt mit seiner Arbeit beim freien Radio Flora aus Hannover soziale Bewegungen und verschafft Migrationsthemen eine breitere Öffentlichkeit. Schon zu Zeiten des Schahs war er im Iran politisch aktiv, später flüchtete er vor dem Khomeini-Regime nach Deutschland. Jetzt bangt er mit den Protestierenden im Iran und unterstützt die weltweiten Demonstrationen.
Geboren wurde ich in Kermanshah, das liegt in einer kurdischen Region im Westen des Landes. Ich war das Kind einer Mittelschichtfamilie, meine Eltern waren religiös, aber nicht besonders streng. Ich selbst habe mich schon mit 14 Jahren von der Religion verabschiedet, weil ich wissen wollte, wie die Welt funktioniert. Deshalb habe ich mich für Astronomie interessiert. Dabei habe ich festgestellt, dass ich keinen Gott brauche. Dann habe ich mir die Gesellschaft angeguckt: arm und reich, die fehlende Freiheit. Schon wenn ich nur ein einfaches Buch lesen wollte, wurde ich gleich beobachtet.
Das war noch zu Zeiten des Schah-Regimes?
Ja. Damals gab es den bewaffneten Kampf gegen den Schah. Irgendwann haben wir in der Schule eine Gruppe gegründet, waren politisch aktiv und haben Flugblätter verteilt. Als 16-jähriger Schüler eines Gymnasiums bin ich dann ein halbes Jahr im Gefängnis gelandet. Wieder draußen, wurde mir klar, dass der bewaffnete Kampf für den Iran nicht geeignet ist. Er war nur eine Kopie von Befreiungsbewegungen in anderen Ländern, hat aber die Unterdrückung durch den Schah noch verstärkt. Später an der Universität nahm ich an der Studierendenbewegung teil, und zum Ende meines Studiums kam dann die Revolution. Sie war stark religiös geprägt. Dazu gehörten aber auch junge Linke von den Unis und politische Gefangene, die freikamen. So haben viele ideologisch geprägte linke Gruppen gegeneinander gekämpft und dabei nicht beachtet, dass mit Hilfe des Westens die Religion an die Macht kommt.
Sind Sie daraufhin nach Deutschland geflüchtet?
Nein, das war viel später. Wir hatten für kurze Zeit, etwa ein Jahr, so etwas wie eine halbe Demokratie im Iran. In dieser Halbdemokratie habe ich in Kermanshah eine Bücherei und einen Verlag gegründet. Viele haben geholfen, aber wir hatten keine Chance. Sie haben uns unter Druck gesetzt, und wir mussten die Stadt verlassen. Als Mitglied einer linken Organisation bin ich trotzdem heimlich zurückgekommen, wurde verhaftet und war – diesmal unter Chomeini – wieder sechs Monate im Gefängnis. Gemeinsam mit meinem Bruder konnte ich aus der Haft fliehen, habe mich wieder politisch betätigt, wurde verfolgt und war einige Monate im Untergrund. Ich hatte aber Frau und Tochter und wollte niemanden in Gefahr bringen. Also sind wir illegal über das Gebirge in die Türkei geflohen. Von dort ging es zuerst nach Ost-, dann nach Westberlin, bis wir schließlich in Hannover gelandet sind.
Haben Sie sich in Deutschland auch gleich wieder gesellschaftlich engagiert?
Überhaupt nicht. Zwei Jahre lang war ich von der Gesellschaft getrennt, weil ich in einer Kapsel eigener Organisationen lebte. Wir hatten einen Kurzwellensender, der von Kurdistan aus in den Iran gesendet hat. Wir haben die Sendungen hier produziert, deshalb habe ich mich mit der Radiotechnik und den Inhalten beschäftigt. Und dann habe ich gehört, dass es hier eine Gruppe von Leuten gibt, die ein Bürgerradio machen wollen. Das war interessant für mich. Dort gab es auch keine hierarchische Struktur, sondern die Menschen waren basisdemokratisch an den Entscheidungen beteiligt.
Beim Radio haben Sie dann als Techniker gearbeitet?
Die Aufteilung der Arbeit in Denken und Umsetzen hat mich schon immer gestört. Deshalb war ich sowohl als Techniker als auch redaktionell beschäftigt. Bei Radio Flora hatten wir eine persische Redaktion, die auf Persisch gesendet hat. Dann hatten wir die »Redaktion International« mit 16 verschiedenen Sprachen, jede mit eigener Sendung. Das ist wirklich einmalig. Und als Linker finde ich es sehr wichtig, mich auch mit den sozialen Bewegungen vor Ort zu beschäftigen. Daher habe ich auch Veranstaltungen und Demonstrationen aufgenommen und übertragen.
Und Sie sind ebenso bei den weltweiten Protesten gegen das iranische Regime aktiv, richtig?
Ja. Wir haben in Hannover schon früher gedacht, dass die einzelnen Organisationen alleine nichts bewirken können. Deshalb haben wir beschlossen, eine Dachorganisation aufzubauen, in der die Aktiven aus dem Iran gemeinsam wirken – und dabei gleichzeitig die Unterschiede respektieren. Sie heißt »Forum der iranischen Demokrat*innen und Sozialist*innen in Hannover«. Wir organisieren schon länger Demonstrationen und Veranstaltungen gegen die islamische Regierung und die Massaker im Iran.
Was machen Sie dabei?
Ich bin bei der Organisation der Demonstrationen dabei und begleite sie audiovisuell. Die Aufnahmen laufen dann bei Radio Flora, zusätzlich veröffentliche ich noch Videos auf Youtube.
Wie schätzen Sie die Situation im Iran momentan ein?
Die Menschen, die im Iran selber demonstrieren, sagen: Das ist kein Protest mehr, das ist eine Revolution. Und es ist tatsächlich eine Revolution. Aber so wie es jetzt gekommen ist, habe ich mir das selbst im Traum nicht vorstellen können. Ich wusste zwar, dass das Maß voll ist: 43 Jahre Unterdrückung; und wir hatten viele Aufstände. Wir hatten die grünen Reformisten und die Bewegung gegen die Erhöhung der Benzinpreise. Die Aufstände waren ein Zeichen, dass diese fanatische und nicht zeitgemäße Regierung im Iran nicht mehr toleriert wird. Aber dass dieses Pulverfass jetzt explodiert und ein Vulkan ausbricht, der in der ganzen Welt als Feuerwerk wahrgenommen wird, hätte sich niemand vorstellen können. Diese Explosion ist vielfältig, natürlich geprägt von Frauen, die ja am meisten unterdrückt werden. Aber dazu kommt jetzt die Solidarität der Männer, auch von Jugendlichen, die benachteiligt werden, von Schüler*innen, Studierenden und Arbeiter*innen. Viele Schichten der Gesellschaft gehen massenweise mit der Parole »Frau, Leben, Freiheit« auf die Straße. In Kurdistan und Belutschistan wollte die Regierung den bewaffneten Kampf durchsetzen. Aber die Menschen dort haben das nicht zugelassen. Die Völker im Iran sind solidarisch miteinander, gemeinsam gegen das Regime. In beiden Gebieten finden zurzeit massive Militäreinsätze statt, dort muss ein Blutbad verhindert werden. Denn der Staat setzt weiter auf Härte.
Was ist Ihre Hoffnung?
Meine Hoffnung ist erst einmal, dass die Revolution in den Köpfen stattgefunden hat. Für die große Mehrheit der Bevölkerung hat dieses Regime keinen Platz mehr darin. Es ist schon am Ende, aber keiner weiß, wann es zerbricht. Es gibt viele Gefahren, eine kann von außen kommen. Viele imperialistische Länder gucken jetzt und denken an einen Regime Change von außen. Aber die Bevölkerung im Iran sagt: Nein, ihr solltet solidarisch bleiben! Blockiert das Kapital derer, die vom Regime profitieren, und erklärt die Pasdaran, die »Wächter der islamischen Revolution«, zur terroristischen Organisation. Meine Hoffnung ist außerdem, dass die Arbeiter*innen in der iranischen Industrie streiken. Viele haben Angst wegen der Repression, aber an einigen Orten gibt es schon Streiks. Und wenn die Leute sicher sind, dass dieses Regime gänzlich unter Druck steht und isoliert ist, dann wäre auch ein Generalstreik möglich.
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