Nancy Faeser kandidiert in Hessen mit Rückticket nach Berlin

SPD-Bundesinnenministerin will im Fall einer Wahlniederlage in Berlin bleiben

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 5 Min.

Ein bisschen dürften sich die Genoss*innen das mediale Echo anders vorgestellt haben: Am Freitag und Samstag trifft sich die SPD zum sogenannten Hessengipfel im Schlosshotel Friedewald. Wichtigster Zweck der Jahresauftaktklausur: Die Bekanntgabe der Spitzenkandidatin zur Landtagswahl am 28. Oktober. Dass der Name Nancy Faeser lautet, war seit Monaten ein offenes Geheimnis. Am Ende hielt es die SPD selbst nicht bis zu ihrem Treffen aus, Faeser verkündete ihre Kandidatur am Donnerstag via ausführlichem »Spiegel«-Interview. Ob das strategisch die cleverste Entscheidung war, muss sich noch zeigen, hatte sich die SPD für ihre Klausur doch eine starke politische Symbolik überlegt: Am Hessengipfel nehmen neben Faeser Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz und Saarlands Ministerpräsidentin Anke Rehlinger teil. Drei erfolgreiche SPD-Politikerinnen auf einer Bühne, davon zwei bereits Regierungschefinnen. Ein Amt, das die derzeitige Bundesinnenministerin nun anstrebt.

Genau daran entzündet sich eine Kontroverse, die den Wahlkampfauftakt der Hessen-SPD überschattet: Faeser sagt, nur im Fall eines SPD-Sieges und ihrer Wahl zur ersten hessischen Ministerpräsidentin von Berlin nach Wiesbaden zu wechseln. Hat die 52-Jährige keine Chance auf den Schlüssel zur Staatskanzlei, wolle sie Bundesinnenministerin bleiben. Eine Entscheidung, die von der politischen Konkurrenz wenig überraschend teils heftig kritisiert wird. »Nancy Faeser wird dem Eid, den sie als Innenministerin dem deutschen Volk geschworen hat, nicht gerecht. Ab jetzt ist Wahlkampf«, polterte Alexander Throm, innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag. Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) sagte, dass ein Landtagswahlkampf viel Kraft und Zeit koste, die Faeser in ihrem Amt nicht aufbringen könne.

Auch die Grünen äußern Skepsis. »Ich finde es schwer vorstellbar, das Amt der Bundesinnenministerin mit der Spitzenkandidatur in einem harten Landtagswahlkampf zu vereinbaren. Die Ampel hat sich in der Innenpolitik viel vorgenommen. All das braucht volle Aufmerksamkeit«, twitterte Irene Mihalic, Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion. Faeser verteidigt sich, es sei in einer Demokratie »eine Selbstverständlichkeit, dass man aus einem Amt heraus für Wahlen kandidieren kann. Das machen schließlich die Ministerpräsidenten auch, die sich dieses Jahr zur Wahl stellen«, so die SPD-Politikerin im »Spiegel«. Auch versprach sie, es werde keinen wirklichen Wahlkampf geben. »Wir haben einen furchtbaren Krieg in Europa, die Bedrohungslagen sind groß.« Diese Einschätzung teile sie mit ihrem Mitbewerber, dem amtierenden hessischen Ministerpräsidenten Boris Rhein (CDU).

Tatsächlich sollten in der Debatte zwei Punkte voneinander getrennt betrachtet werden. Zum einen: Ist es politisch vertretbar, wenn sich eine Spitzenpolitiker*in aus einem hohen Amt heraus auf ein anderes bewirbt? Zweitens: Was ist von der Absicherung zu halten, im Fall einer Niederlage das bisherige Amt zu behalten?

Keine dieser beiden Fragen lässt sich schablonenhaft beantworten, es sei denn, die Antwort ist in Wahlkampfzeiten parteipolitisch motiviert. Der Vorwurf Throms, Faeser werde in den nächsten Monaten zur »Teilzeitministerin«, wirkt vorgetragen durch einen CDU-Politiker unglaubwürdig, haben die Konservativen mit solchen Konstellationen doch selbst Erfahrung.

Bekanntestes Beispiel aus jüngerer Vergangenheit ist Armin Laschet. Im Sommer 2021 war er nicht nur Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, sondern gleichzeitig CDU-Kanzlerkandidat im Bundestagswahlkampf. Ob sich Deutschlands größtes Bundesland mit rund 20 Millionen Einwohner*innen von einem Teilzeitministerpräsidenten regieren lässt? Genau diese Frage stellte seinerzeit der SPD-Chef in NRW, Thomas Kutschaty und argumentierte ähnlich, wie es nun CDU und Grüne in Faesers Fall tun. Kutschaty erklärte, mit dem Wiederaufbau nach der Hochwasserkatastrophe und der Corona-Pandemie hätte der Ministerpräsident genug zu tun. Laschet blieb bis zum 26. Oktober im Amt, jenen Tag, als er in den Bundestag wechselte.

Gründe, warum ein hohes Amt keinen Raum für andere Aufgaben ließe, finden sich immer, auch in Faesers Fall: Als Bundesinnenministerin hat die SPD-Politikerin ein Ressort übernommen, dessen Zuständigkeit von innerer Sicherheit über Asylpolitik, Migration, Bevölkerungsschutz, Öffentlicher Dienst bis hin zur Sportförderung reicht. In Zeiten von Ukraine-Krieg und der Gefahr von rechts gehört nicht viel Fantasie dazu, sich vorzustellen, dass solche Herausforderungen ein Vollzeitjob sind. Allerdings steht ein Ministerium ohne seine Chef*in nicht kopflos da. Im Innenministerium gibt es vier Staatssekretär*innen, die das Tagesgeschäft organisieren und als Faesers Stellvertretung agieren können. Heikel ist vielmehr, wie die Innenministerin in der ab dem Spätsommer beginnenden heißen Phase des Landtagswahlkampfs auftritt und ob es ihr gelingt, beide Aufgaben zu trennen.

Faeser könnte sich Ratschläge von Boris Rhein holen. Vor seiner Zeit als Ministerpräsident war er in einer ähnlichen Situation: 2012 kandidierte der CDU-Politiker für das Amt des Oberbürgermeisters von Frankfurt am Main, während er parallel dazu weiter als hessischer Innenminister arbeitete und dies auch nach seiner Wahlniederlage blieb.

Mahnendes Beispiel für die SPD-Politikerin sollte Norbert Röttgen (CDU) sein. 2012 kandidierte der damalige Bundesumweltminister als Ministerpräsident in NRW, scheiterte grandios, auch weil ihm die landespolitische Verankerung fehlte, die Wähler*innen ihm seine Begeisterung nie wirklich abnahmen, noch dazu im Kontrast zur damaligen SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, die nie ernsthafte bundespolitische Ambitionen hegte. Faeser kann dagegen damit punkten, sich in Hessen auszukennen. Von 1993 bis zu ihrem Wechsel 2021 in die Bundespolitik war sie auf so ziemlich allen Ebenen der Kommunal- und Landespolitik aktiv, war Stadtverordnete in ihrer Heimatstadt Schwalbach am Taunus, saß im Kreistag und machte sich als SPD-Fraktionsvorsitzende im Wiesbadener Landtag einen Namen. Das Amt als Landesvorsitzende übt Faeser bis heute aus. Einen Fuß in der Tür hatte sie damit immer.

Ob das reicht, erste Ministerpräsidentin von Hessen zu werden? Frische Umfragen gibt es keine, die letzten aus dem Jahr 2022 sahen mal die CDU fünf Prozentpunkte vor der SPD, mal gab es ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Gleichzeitig waren die aktuell mitregierenden Grünen ebenfalls in Schlagdistanz. Am Ende entscheidet sich am 28. Oktober, wie die Hessen zu Faesers Kandidatur stehen.

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