- Kultur
- Alkoholismus in den USA
Suff und Tide-Pod
Kaum geschworen, schon vorbei: Hat jemand die Askese gesehen?
Howdy aus Texas, liebe Leser*innen,
haben Sie Ihre Neujahrsvorsätze bereits aufgegeben? Sie wissen schon: Mehr Yoga, weniger Handy, mehr frische Luft, weniger Fast Food, mehr Achtsamkeit, weniger Unachtsamkeit, weniger arbeiten, mehr verdienen, mehr meditieren, weniger lamentieren, in Krypto investieren – oder gar mal konvertieren? Vor etwa 4000 Jahren sollen die Babylonier mit den Vorsätzen angefangen haben, mit Besserungsschwüren an ihre Götter. Die Römer brachten dem Gott Janus Opfer dar, mittelalterliche Ritter erneuerten zum Neujahr ihren Eid, und wir kriegen nicht mal den »Dry January« hin. Zugegebenermaßen ist kein Alkohol im Janusmonat, der ja bekanntlich zwei Münder hat, wider die Natur.
Dann doch lieber den Februar »trocken« halten, der ist ja ohnehin kürzer als sein Vorgänger. Wenn da nicht der Valentinstag wäre (ob verpartnert oder Single, nüchtern ist das sülzige Liebes-Merchandising am 14. nicht zu ertragen), und dann der heilige Rosenmontag! Karneval ist in den USA leider nicht beliebt, da katholisch; dennoch mangelt es in dem von radikalen und nichtradikalen Protestanten regierten Land trotzdem nicht an Trinkmöglichkeiten.
Am 13. Februar ist Super Bowl, da wird das von Deutschen als Pissbrühe beschimpfte amerikanische Bier galonenweise gesüffelt, dazu werden Nationalgerichte wie lateinamerikanische Nachos, französische (oder gar belgische?) Fritten und hamburgische Hamburger verspeist. Am 18. Februar ist »Global Drink Wine Day«, am 22. »National Margarita Day« (wer denkt sich so etwas aus?). Dann wäre da noch der »President’s Day« am 20., und auch da könnte man ruhigen Gewissens konsumieren, war der alte Washington doch berüchtigt dafür, in seiner Feldflasche Brandy mit Kirsche herumzutragen. So vergisst es sich leicht, was man sich am 31. Dezember hoch und heilig geschworen hatte: das mit der Askese und Selbstoptimierung.
Doch was bringt überhaupt der Wunsch, sich im Privaten verbessern zu wollen, angesichts der globalen Situation? Diätkuren im Westen wirken angesichts des weltweit wachsenden Hungers immer zynischer, auch ist die körperliche Akzeptanz, zu Denglisch »Body Positivity«, dank der Z-Generation fast wieder in. Die Glaubenssuche scheint mir ebenfalls ein Trugschluss zu sein, wenn ich mir die verwirrten US-Amerikaner mit ihren 200 christlichen Konfessionen anschaue. Und die Laster? Alkohol wird bald passé sein, prognostizieren amerikanische Wissenschaftler, und tatsächlich boomt der Markt für nichtalkoholische Getränke. Vorbei die Trendwelle, in deren Zuge alle Stars von Eva Longoria bis George Clooney Tequila-Marken gründeten; Katy Perry und Bella Hadid verkaufen jetzt alkoholfreie Brausedrinks.
Ich glaube jedoch, dass in Krisenzeiten allen Prognosen zum Trotz weitergesoffen wird. In der Sowjetunion griff manch verzweifelter Alki einst zu Parfüm, weil alkoholische Getränke rationiert waren. Es wäre schon eine witzige Tiktok-Challenge, das momentan so beliebte Baccarat-Rouge-Parfüm (215 Euro für 70 Milliliter) zu exen. Ein gefundenes Fressen (buchstäblich!) für Gen Z, die in der Vergangenheit schon mit dem Verschlingen von Waschmittel-Pods der Marke Tide im Netz alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben.
Diese Generation trinkt und raucht zwar nachweislich weniger als meine (Millennials) oder Ihre (Boomer); man weiß aber noch nicht, ob man sich darüber freuen oder sich Sorgen machen sollte. Denn in den USA gibt es seit Kurzem eine neue Pandemie – Kinder und Jugendliche bedienen sich immer öfter an den Edibles ihrer Eltern. Früher war mehr Lametta, aber weniger Hasch-Gummibärchen. Wie man’s dreht: Der Vibe ist off, wie man auf Neudeutsch sagt.
Also fühlen Sie sich nicht schlecht, liebe Leser*innen, wenn Sie mal wieder nichts von ihrer Selbstverbesserungsliste hinbekommen haben. Unsere Welt bekommt die Bürger, die sie verdient. Apropos Burger, ich muss jetzt los, mit Freunden Fast Food essen und sie sanft daran erinnern, dass ich aus derselben deutschen Stadt komme wie ihr Lieblingsessen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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