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Deeskalation im Ukraine-Krieg: US-Thinktank rät zu Verhandlungen
Rand Corporation zeigt US-Handlungsoptionen im Ukraine-Russland-Konflikt auf
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, EU-Ratspräsident Charles Michel und der ukrainische Staatschef Wolodomir Selenskij trafen sich vergangene Woche in Kiew. Zeit und Ort waren bewusst gewählt – als Geste der europäischen Solidarität. Wer aber gehofft hatte, wenigstens die Konturen eines Friedensplans zu entdecken, ist ernüchtert.
Wie kann man das Morden stoppen? Die Rand-Corporation, eine nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA gegründete Denkfabrik, die neben dem Pentagon auch das Weiße Haus berät, hat sich darüber im Gegensatz zur EU Gedanken gemacht. Die Autoren Samuel Charap und Miranda Priebe stellen dabei die Interessen der USA – die »nicht gleichbedeutend sind mit den ukrainischen« – in den Mittelpunkt. Ihr Fazit: »Die Kosten und Risiken eines langen Krieges… sind erheblich und überwiegen die möglichen Vorteile eines solchen Kurses für die Vereinigten Staaten.«
Eine Kernfrage der Studie lautet: Wie wahrscheinlich ist der Einsatz nicht-strategischer Kernwaffen durch Russland? Eine zunehmende Anzahl westlicher Entscheider sieht diese Möglichkeit als gering an, unter anderem deshalb, weil Russland wisse, dass der Einsatz von Atomwaffen einer Selbstzerstörung gleichkomme. Ein solcher Einsatz könnte die Nato dazu veranlassen, in den Krieg einzutreten und Russland internationale Unterstützung kosten. Rand folgt dieser These nicht, schon weil es Anzeichen dafür gibt, »dass der Kreml diesen Krieg als nahezu existenziell ansieht«. Hinzu kommt, dass Moskaus konventionelle Fähigkeiten in der Ukraine dezimiert wurden. »Wenn Russland weitere Verluste auf dem Schlachtfeld erleidet, könnte bei hochrangigen Kreml-Entscheidungsträgern Verzweiflung eintreten.«
Die Autoren erinnern daran, dass die USA auch im direkten Kontakt mit dem Kreml deutlich gemacht haben, dass man in einem solchen Fall »Vergeltung« üben würde – was zu »einem Krieg zwischen der Nato und Russland« und einem »direkten Konflikt zwischen den USA und Russland« führen könnte. Das könnte letztlich »in einen strategischen nuklearen Schlagabtausch« münden. Die Rand-Autoren kommen zu dem Schluss, dass die Regierung von Joe Biden reichlich Grund habe, »die Verhinderung eines russischen Einsatzes von Atomwaffen zu einer obersten Priorität für die Vereinigten Staaten zu erheben«.
Bereits im Oktober 2021 soll US-Generalstabschef Mark Milley den Präsidenten über Moskaus Kriegspläne informiert haben. Dabei habe der General als strategische Ziele der USA formuliert: »kein kinetischer Konflikt zwischen dem US-Militär und der Nato mit Russland«. Zudem gelte es, die Kämpfe »innerhalb der geografischen Grenzen der Ukraine« zu halten. Eine Gratwanderung, denn, so unterstreicht Rand: »Das Ausmaß der indirekten Beteiligung der Nato-Verbündeten an diesem Krieg ist atemberaubend groß.« Folglich bestehe eine erhebliche Gefahr einer Ausweitung des Konfliktes.
Wie könnte der Krieg sich nun weiter entwickeln? Im Dezember 2022, so die Studie, hatte Russland fast 20 Prozent der Ukraine besetzt. Kiews oberste Priorität ist die Wiedererlangung der Kontrolle über seine Gebiete. Eine Beendigung des Krieges, bei der die Ukraine die volle Kontrolle über das ihr völkerrechtlich zustehende Territorium erhält, würde die Rechtsnormen zwar wiederherstellen, doch das betrachten die Rand-Analytiker als »höchst unwahrscheinliches Ergebnis«. Sie halten eine Rückkehr zu den Grenzen vor dem russischen Angriff am 24. Februar 2022 derzeit auch »für nicht erstrebenswert«, weil die Ukraine dann immer noch Gebiete – beispielsweise die Krim – verloren hätte, ohne Stabilität zu gewinnen. Die Studie plädiert zwischen den Zeilen für eine Beibehaltung der »Kontrolllinie«, die seit Dezember 2022 besteht. Die beraube Kiew nicht seiner wirtschaftlich lebenswichtigen Gebiete und würde sich – anders als ein denkbarer Verlust der Schwarzmeerküste – nicht auf die Lebensfähigkeit des Landes auswirken.
Die Studie betont, ein langanhaltender Krieg liege nicht im Interesse Washingtons. Schon, weil er weitere russische Gewinne ermöglichen könnte. Die Kosten für die USA wie für die EU würden enorm wachsen und die globalen wirtschaftlichen Verwerfungen könnten sich vervielfachen. Das behindere die USA beim Verfolgen ihrer strategischen Ziele. Über allem stehe der Wettstreit mit China. Auch wenn Russland als Verbündeter Chinas durch einen langen Ukraine-Krieg militärisch gebunden wäre, sei es nicht im US-Interesse, dass Russland zu einem reinen Vasallen Chinas werde.
Die Rand-Autoren nennen Waffenstillstandsverträge im Ersten Weltkrieg oder im Korea-Krieg als Vorbilder für eine Vereinbarung den Ukraine-Konflikt. Ein Waffenstillstand würde »die Frontlinien einfrieren und ein langfristiges Ende der aktiven Kampfhandlungen bringen«. In dem Zusammenhang wird auch Präsident Biden kritisiert. Er habe zwar gesagt, dieser Krieg werde am Verhandlungstisch enden. Seine Regierung habe aber »noch keine Schritte unternommen, um die Parteien zu Gesprächen zu drängen«.
Dazu müssten die USA erst einmal selbst ihre Pläne konkretisieren. Mehr Klarheit über westliche Militärhilfe beispielsweise würde Russland klarmachen, dass es keine Siegeschance hat. Zugleich könnten die USA künftige Militärhilfen für die Ukraine von einer Verhandlungsbereitschaft Kiews abhängig machen. Denkbar ist, dass die USA und ihre Verbündeten erwägen, langfristige Verpflichtungen für die Sicherheit der Ukraine einzugehen. Dazu könnte – entgegen bisherigen Nato-Beitrittsofferten – die Zusicherung einer dauerhaften Neutralität der Ukraine sowie eine strikte Begrenzung der ausländischen Militärpräsenz ein Entgegenkommen gegenüber Moskau signalisieren. Als wichtig finden die Autoren des Rand-Papiers zudem, dass der Westen Moskau eine Beendigung der Sanktionspolitik in Aussicht stellt.
Charap und Priebe wissen, dass eine solche Änderung der US-Politik über Nacht auch gegenüber den Verbündeten »politisch unmöglich«, zumindest aber »unklug« wäre. Dennoch sei die Zeit reif für eine Debatte über ein mögliches Ende des Krieges, mahnen sie.
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