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Unsichtbares Genie
Zu Gast im BallHaus Ost: Udo Lindenberg, Gojko Mitic und Mesut Özil
Ich mochte Udo Lindenberg von 1976–1979. Besonders sein Song »Cowboyrocker« begeisterte mich in meiner Pubertät. »Und nun geht er ganz dicht, an den Schaufenstern lang und überprüft darin seinen Cowboygang«.
Es ging im Song um einen schmalbrüstigen Außenseiter, der sich in eine für ihn unerreichbare Rockerbraut verliebte. Als DDR-Boy mochte ich nur die Indianer, das hatte mir Gojko Mitic eingeimpft. Udo machte mir nun den verkannten Cowboy schmackhaft. Ich sah ihn nun als missverstandenen Eigenbrötler. Aber er hatte einen Gottvater, den Charles (Bronson). Gottvaters Synchronstimme sagte: »Ey Mann, fahr’ zu deiner Rockerclique/Und sag der Alten, die du liebst/Dass du sie jetzt haben willst«. Das könnte auch ein Originalzitat zwischen Özil und den Deutschen sein.
Als Özil 2014 die Weltmeisterschaft nach Hause brachte, lag ihm die BRD für ein paar Minuten zu Füßen. Weil er das verkörperte, was alle gern darstellen würden: ein fußballerisches Genie. So flüchtig wie das Leuchten des Lichtschwerts von Luke Skywalker im Kampf gegen seinen dunklen Vati. Für einen kurzen Moment war er der Größte der Welt – um danach wieder in das Loch des meistverkannten deutschen Fußballers zu fallen. Wie tragisch. Aber genau diese Geschichten schreibt der Fußball, wenn ein Spieler nicht ganz der Norm entspricht. Macht er flotte Sprüche und posiert mit leichtbekleideten Mädchen und teuren Autos, ist er einer von uns. Zeigt er sich im femininen Look auf einer Modemesse in Paris, oder lässt er sich mit dem falschen Diktator knipsen, ist er uns suspekt. Weil Fußballfans in der Tiefe ihres Herzens altmodische Pussys sind?
Um es noch tragischer zu gestalten, gab es diesen Darth Özilvati, der es uns so ungeheuer kompliziert machte, seinen Sohn so zu lieben, wie er es verdient hatte. Özilvati forderte permanent dies und das von Arbeitgebern seines Sohnes, wie es sich für clevere Spielerberater gehört, der immer das Beste für einen Klienten herausholen will. Danach wird er in der »BILD« wahlweise für seine Cleverness, beziehungsweise seine Gier gelobt/gerügt.
Mesut Özil ist ein zartes, rehäugiges Mittelfeldgenie, nicht dazu gemacht, die Träume von Vätern und Fans unaufhörlich zu erfüllen. Wird der Druck zu groß, ist der Spieler Özil auf dem Spielfeld blitzartig unsichtbar. Nun ist er im Spätwinter seiner Karriere angekommen und darf hin und wieder ein paar Minuten bei Istanbul Başakşehir FK mitspielen. Ein Tor hat er in dieser Saison noch nicht erzielt. Vor ein paar Tagen flüsterte das Netz, er wäre nach einer Auswechslung spontan zurückgetreten. Vielleicht war er sich für ein paar Augenblicke der Tiefe seines Falls bewusst geworden? Davor spielte er immerhin bei Fenerbahçe Istanbul (»Kindheitsraum«), Arsenal (»Kindheitstraum«) London und Real Madrid (»Kindheitstraum«).
Istanbul Başakşehir FK ist eng mit dem türkischen Politikclown Erdogan und seiner Partei AKP verbunden. Erdogan prahlt öffentlich, den Klub mitgegründet zu haben. Warum Özil ausgerechnet dort gelandet ist, wundert nicht einmal den größten Özilfan. Ich war/bin ein Fan und trauere über den Verlust an Würde und Größe. Womöglich verlange ich zu viel. Schau ich ein paar Meter weiter nach Riad, sehe ich den einst galaktischen Ronaldo im ölreichen Schurkenstaat Saudi-Arabien bolzen. Vor die Tatsache gestellt, mit siebenunddreißig ins Fußballeraltersheim zu gehen oder für 20 Millionen in der Schurkenbubble weiterzuarbeiten, wählte er die 20 Riesen. Was hätten wir an seiner Stelle getan? Mit dem Rucksack der eigenen Größe?
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