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  • Affäre Achille Mbembe

Hoffentlich nicht zu spät

Ein Sammelband blickt auf die Antisemitismus-Debatte um beziehungsweise gegen Achille Mbembe zurück

  • Gerhard Hanloser
  • Lesedauer: 6 Min.

Für die meisten Feuilleton-Debatten kommt die Wissenschaft zu spät. Den Eindruck hat man auch, wenn man nun mit einem neuen Sammelband aus dem Metropol-Verlag an den erst zwei Jahre zurückliegenden Streit um den aus Kamerun stammenden und in Johannesburg lehrenden Politologen, Philosophen und Historiker Achille Mbembe erinnert wird. Der besonders in Deutschland gefeierte Autor, der hierzulande anfangs noch zu »der intellektuellen Stimme Afrikas« erklärt wurde, sollte die Eröffnungsrede der Ruhrtriennale 2020 halten.

Eine breit aufgestellte und lautstarke Front von Regionalpolitikern der FDP über meinungsstarke Kommentatoren der Twitter-Szene wie der großen Medien bis hin zum Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung war sich jedoch aufgrund einiger weniger Zeilen des Philosophen in ihrem Urteil sicher: Dieser Autor gehe gar nicht, denn er verbreite einen israelbezogenen Antisemitismus. Schließlich stellte sich die Frage nach seinem Auftritt nicht mehr, da die Ruhrtriennale wegen der Pandemie abgesagt wurde.

Mbembe wurde damals vorgeworfen, er habe in Texten den Holocaust relativiert und das Existenzrecht Israels infrage gestellt. Er habe Israels Innenpolitik mit dem Apartheidssystem Südafrikas und dieses mit dem Holocaust verglichen. Er setze, so der nordrhein-westfälische kulturpolitische FDP-Fraktionssprecher Lorenz Deutsch, »die heutigen Juden Israels in der Logik der Gesamtargumentation an die Stelle der nationalsozialistischen, weißen Verbrecher«.

Schnell war von BDS, der umstrittenen Boykottkampagne gegen Israel, die Rede. Mbembes Auftritt widerspreche dem Beschluss des Landtags Nordrhein-Westfalens, keine BDS-Unterstützer zu fördern. Mbembe erklärte allerdings, er sei kein Anhänger dieses Zivilprotests gegen die israelische Besatzung. Er würde sich aber vom deutschen Staat nicht vorschreiben lassen wollen, mit wem er sich assoziieren dürfe und mit wem nicht, schließlich sei BDS in Südafrika nicht verboten.

Diese Aussagen präsentiert Stefanie Carp in ihrem Eröffnungsbeitrag des Sammelbandes »Jenseits vom Mbembe. Geschichte. Erinnerung. Solidarität«. Sie war 2020 Intendantin der Ruhrtriennale und nennt heute die Kritik an Mbembe eine »deutsche Provinzintrige«, in der sich Rassismus und deutscher Opportunismus die Hand gereicht hätten. Carp lässt insbesondere den Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung Felix Klein nicht gut aussehen, mit dem sie mehrere Telefonate geführt hatte, um ihn über den Autor Mbembe aufzuklären, dessen Texte Klein offensichtlich gar nicht kannte – vergeblich: Von der Kampagne gegen den Kameruner war Klein nicht abzubringen.

In den folgenden Texten von Matthias Böckmann und Matthias Gockel wird deutlich, dass der Vorwurf des Antisemitismus gegen Mbembe eine Konstruktion war, um canceln zu können. Böckmann untersucht einen skandalisierten Text des Autors aus dem Jahr 1992, »Israel, les Juifs et nous, les Africains«, und weist Fehlübersetzungen nach, während Gockel aufzeigt, wie der führende »FAZ«-Feuilletonist Jürgen Kaube den afrikanischen Historiker willentlich missdeutet.

Einer der wichtigsten Aufsätze des Sammelbandes, den man allen Journalist*innen von Tageszeitungen zur Lektüre empfehlen möchte, stammt von Michael Meyen, Professor für Allgemeine und Systematische Kommunikationswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er geht der Frage nach, wie unterschiedliche Leitmedien mit dem Antisemitismusvorwurf gegen Mbembe umgingen. Dass besonders die »Welt« und ihr Autor Alan Posener von Anfang an einen schrillen Ton gegen Mbembe gesetzt hatten, verwundert wenig; interessanter ist der Befund, dass auch ausgewogene, informierte und Mbembe verteidigende Stellungnahmen in der »Süddeutschen Zeitung« oder im Deutschlandfunk die Logik des Gerüchts, wenn es einmal in der Welt ist, nicht entscheidend relativieren oder gar aushebeln konnten.

Auch linke Zeitungen werden von Meyen kritisch analysiert, wie »Taz« und »nd«, die eine demokratisch anmutende Pro-Kontra-Form gewählt hätten, indem sie Mbembe verteidigende wie auch ihn als Antisemiten markierende Stimmen präsentierten. Doch Grundannahme und Fragestellung seien bereits falsch gesetzt und damit nicht mehr objektiv gewesen. Meyen kommt zu dem Urteil: »In Deutschland genügt der Vorwurf des Antisemitismus, um einen Redner und seine Position aus dem Raum des Sagbaren zu verbannen.«

Ein zentraler Beitrag des Sammelbands ist der von David D. Kim, Professor für Transnationale Studien in Los Angeles, der die ideologischen Interessen herausarbeitet, die hinter den Attacken auf Mbembe stehen. Kim sieht hier einen bürokratischen Mechanismus wirken, indem die Regierung und mit ihr verbundene ideologische Staatsapparate die Erinnerung an den Holocaust zu zweierlei Zwecken mobilisieren: »erstens, um das Aufkommen eines ethnischen Nationalismus« und eines unverhohlen antisemitisch und geschichtsrevisionistisch auftretenden rechten Milieus abzublocken, »und zweitens, um den zunehmenden Ruf nach postkolonialer Gerechtigkeit auf der Linken zu marginalisieren«.

So sollte auch ein weiterer Autor dieses Sammelbands, der australische Genozid-Forscher Dirk Moses, desavouiert werden, indem er zu einem »neuen Nolte« erklärt und damit sein Anliegen vollständig verzerrt wurde. Man mag den vorliegenden Aufsatz von Moses, der das gouvernementale oder parastaatliche Streben nach »permanenter Sicherheit« als Universalschlüssel zum Verständnis von Massengewalt erklärt, nicht überzeugend finden. Dennoch macht Moses deutlich, dass jeder Versuch, den Holocaust exzeptionalistisch vor einem historischen Vergleich abzudichten und in den theologisch anmutenden Bereich der »Unverständlichkeit« zu hieven, kaum wissenschaftlichen Standards entspricht.

Wichtige Detailstudien und Einsprüche runden den Band ab, so die Erinnerung an die verflochtene, aber mittlerweile verdrängte Solidarität zwischen südafrikanischen Anti-Apartheid-Aktivist*innen und palästinensischen Akteuren. Birgit Englert bricht hier eine Lanze für globale Boykottkampagnen durch von Kolonialismus und Rassismus betroffene Bevölkerungsteile. Sie sieht im Beschluss des Bundestages von 2019, »Argumentationsmuster und Methoden der BDS-Bewegung« als antisemitisch zu verurteilen und auch Raumverbote zu begrüßen, ein Manöver, um »palästina-solidarische Positionen aus den medialen wie physischen öffentlichen Räumen der Gegenwart« zu drängen.

Susan Neiman und Daniela Dahn plädieren für einen unvoreingenommenen Blick auf den DDR-Antifaschismus. Man könnte ergänzen: Gerade in der staatlich geförderten Kulturproduktion von Willi Sitte, Karl Erich Müller oder Harald Hakenbeck wurde mit eindrucksvollen Bildern zu Faschismus und kolonialer Unterdrückung beispielsweise in Algerien bereits lange vor Michael Rothbergs Forderung nach einer »multidirektionalen Erinnerung« eine solche gepflegt, in der Antinazismus und Antikolonialismus zusammengehörten. Im Kalten Krieg mochten sie instrumentell gegen den Westen eingesetzt worden sein, die Künstler jedoch haben solidarische Empathie mit den Opfern faschistischer, kolonialer und imperialistischer Gewalt als ihre humanistische Pflicht gesehen.

Die Mitherausgeber Reinhart Kößler und Henning Melber loten am Ende des Buches differenziert die heutigen Chancen und Grenzen gemeinsamen Gedenkens im Schatten der Völkermorde des 20. Jahrhunderts aus. Ein Gedenken, das die bis heute andauernde koloniale Amnesie unbedingt überwinden muss.

Matthias Böckmann/Matthias Gockel/Reinhart Kößler/Henning Melber (Hg.): Jenseits von Mbembe. Geschichte, Erinnerung, Solidarität. Metropol-Verlag, 358 S., br., 24 €.

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