- Kommentare
- Aufrüstung der Bundeswehr
Die innere Mobilmachung
Die Aufrüstung der Bundeswehr geht immer weiter. Jan Korte stört vor allem, dass zu diesem Zweck falsche Parallelen aus der Geschichte gezogen werden
Wir leben in beängstigenden Zeiten. Bundeskanzler Scholz (SPD) rief nach dem Beginn des verbrecherischen Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine eine »Zeitenwende« aus. Was das genau heißt, wird Stück für Stück klarer. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sieht »uns« bereits im Krieg mit Russland. Es vergeht kein Tag, an dem nicht irgendein Vertreter von SPD, FDP, Grünen oder Union mit einem neuen Rüstungs- oder Eskalationsvorschlag um die Ecke kommt: »Panzer-Toni« Hofreiter trommelte im Duett mit Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) erst für Schützenpanzer, dann auch für Leopard-2-Lieferungen. Jetzt stehen schon Kampfjets zur Debatte. Der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) plädierte sogar für die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Eine unüberlegte Forderung folgt der anderen und man fragt sich, wann eigentlich der erste Vorschlag für den Einsatz von deutschen Bodentruppen auf Seiten der Ukraine kommt.
Um es klar zu sagen: Die Wehrpflicht auszusetzen war kein Fehler, sondern ein zivilisatorischer Fortschritt. Sie war und ist aus der Zeit gefallen. Die Aussetzung hat dazu geführt, dass jedes Jahr Zehntausende junge Menschen sich nicht in den Kasernen erniedrigen und aufs Töten vorbereiten lassen mussten. Die Ablehnung von Gewalt und Krieg ist gewachsen. Immer mehr Menschen lehnen es ab, Kriege als legitime »Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln« (Clausewitz) zu betrachten. Und das ist gut so!
Jan Korte ist Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion im Bundestag.
Bemerkenswert ist doch, dass es gerade einmal zwei Jahre her ist, als die Reaktionäre von der AfD einen Antrag zur Wiedereinführung der Wehrpflicht in den Bundestag einbrachten. Damals stellten sich noch alle anderen Fraktionen gegen die »Analyse« der AfD-Militaristen, die Deutschen hätten »ein gestörtes Verhältnis zur militärischen Gewalt« und deshalb müsse »mit dem Wehrdienst auch der Wehrwille des deutschen Volkes gestärkt« werden. Heute wollen außer der Linken alle Parteien die Remilitarisierung der Gesellschaft und arbeiten mit Hochdruck daran, das Militär als normales Mittel der Politik zu etablieren. Kaum jemand, der noch vor einigen Jahren pazifistische Reden schwang, ist sich heute zu blöd dafür, da mitzumachen.
Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges hat es hierzulande keine solch rasante Militarisierung der Sprache, des Denkens und Handelns vor allem in den Medien und der Politik gegeben. Alle kriegführenden oder den Krieg unterstützenden Seiten nutzen die NS-Vergangenheit zur Legitimierung ihrer Handlungen. In Deutschland wird der Begriff des Vernichtungskrieges, der bisher für die verbrecherische Kriegsführung der Wehrmacht im Osten und die Massenverbrechen der Nazis stand, mittlerweile ungeniert, inflationär und historisch falsch auf den russischen Angriffskrieg angewandt. Ohne jeden Zweifel führt Russland einen brutalen Angriffskrieg gegen die Ukraine, in dem es auch russische Kriegsverbrechen gibt. Wenn aber heute von führenden Politikern der Koalition und in größeren Teilen der Medien der Begriff des Vernichtungskrieges auf die russische Kriegsführung angewandt wird, dann ist das schlicht eine Form der Geschichtsrelativierung im Dienste der inneren Mobilmachung.
Gleichzeitig werden Stimmen für eine diplomatische Lösung und gegen die Ausweitung und Entgrenzung des Krieges verächtlich gemacht oder ignoriert. Auf den Vorschlag des brasilianischen Präsidenten Lula, eine internationale Initiative unter Einbeziehung Chinas zu starten, antwortete die Bundesregierung mit Ablehnung und Maximalforderungen. Es wird höchste Zeit, diesem unverantwortlichen Irrsinn entschieden entgegenzutreten. Wir brauchen keine neuen »Helden«, die für Nation, Gott oder Kapital auf zukünftigen Schlachtfeldern verrecken, sondern Humanisten und Diplomatinnen. Der Frieden muss gestärkt werden, nicht der Krieg!
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.