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- Berlin nach der Wahl
Noch einmal mit Gefühl
Bei einer Neuauflage von Rot-Grün-Rot in Berlin sollte Die Linke das Ressort Stadtentwicklung für sich beanspruchen
»Die Linke ist zurück«, sagte Fraktionsvorsitzender Dietmar Bartsch stolz in die Kamera, nachdem am Wahlabend der lila-pinke Balken der Partei bei 12,2 Prozent endete. Im Verhältnis zur Wahl vor anderthalb Jahren bedeutet das einen Verlust von 1,9 Prozent. Eigentlich enttäuschend. Dass es auf der Wahlparty der Partei dann trotzdem irgendwann keinen Sekt mehr gab, lässt sich nur aus einer inneren Logik heraus erklären. Wegen des schwachen Bundestrends und der Querelen um eine mögliche Abspaltung hatte man mit weitaus weniger Prozenten gerechnet – und in der Bundeshauptstadt für den Wahlkampf ganz auf die Marke Berliner Linke gesetzt. Dass sich die Genossinnen und Genossen nach einem kurzen, aber heftigen Winterwahlkampf also freuten, ist unter diesen Bedingungen durchaus verständlich.
In der Außenwahrnehmung jedoch sind sie Teil eines Senats, der im Grunde abgewatscht wurde: Alle drei Parteien mussten Stimmverluste hinnehmen. Rechnerisch reicht es aber noch für eine Mehrheit, auch wenn die CDU deutlich stärkste Kraft geworden ist. Durch die 105 Stimmen für die SPD vor den Grünen ist es wahrscheinlich, dass Franziska Giffey als Regierende Bürgermeisterin weiterhin eine rot-grün-rote Regierung anführen wird.
Doch sollte es erneut zu diesem Bündnis kommen, wird es unter erschwerten Bedingungen arbeiten müssen. Nicht nur sind die Krisen, die die Regierung in den vergangenen 13 Monaten hatte bewältigen müssen, nicht vom Tisch. Es sind sogar einige weitere dazu gekommen: Vonovia kündigte an, den Neubau von 1500 Wohnungen zu stoppen; bei der Autobahn A100 und der U-Bahn gibt es wortwörtlich große Baustellen. All das bei einem akuten Ressourcen- und Personalmangel. Hinzu kommt, dass die unheimlich starke CDU die SPD bei der inneren Sicherheit massiv unter Druck setzen wird. Mehr als zuvor würde dieses Mitte-Links-Bündnis dauerhaft auf den Prüfstand gestellt. Keine leichten dreieinhalb Jahre.
Die Linkspartei würde ebenfalls geschwächt in Koalitionsverhandlungen eintreten. Zwar haben alle drei Parteien Verluste hinnehmen müssen, doch das Verhandlungspotenzial von SPD und Grünen ist ungleich größer, weil sie jederzeit damit drohen können, doch mit der CDU zu regieren. Die Linke hat ihrerseits nur zwei Optionen: rein oder raus. Und Spitzenmann Klaus Lederer machte am Wahlabend bereits deutlich, dass man für progressive Mehrheiten zu gewinnen sei. Eine Kampfansage ist das nicht gerade.
So dürfte der Verhandlungsspielraum für die Partei relativ gering sein. Es sei denn, sie wechselt vom Modus der Mehrheitsbeschafferin in den Modus, den die FDP in der Ampel-Regierung einnimmt: die Tonangeberin. Die Linke müsste entschlossener in Verhandlungen diejenige Position einnehmen, die gleichzeitig den größten Druck auf die Koalitionspartner ausbaut und die Kompetenzen der Partei ausspielt. In einem zweiten Anlauf sollte sie darauf bestehen, das Ressort Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen zurückzugewinnen und ihre zweite Kernkompetenz, nämlich soziale Gerechtigkeit, ausbauen.
Denn eine überbordende Mehrheit von 87 Prozent der Berlinerinnen und Berliner sagt in einer Infratest-Umfrage, der Graben zwischen Arm und Reich sei in den vergangenen Jahren immer größer geworden. Die Linkspartei konnte daran als Juniorpartnerin in Koalitionen bisher kaum etwas ändern. Dennoch sagen 43 Prozent, dass sie es gut fänden, wenn Die Linke wieder mitregiert, unter ihren eigenen Anhängern sind es sogar sage und schreibe 97 Prozent. Nur unter welchen Bedingungen sie mitregieren sollte, ist die Frage.
Die Partei erhält im Bereich Wohnen immer noch die höchsten Zustimmungswerte. Und unter den Linke-Wählerinnen und -Wählern spielt das Thema für die Wahlentscheidung die größte Rolle. Der SPD, die mit Andreas Geisel zur Zeit das Ressort verwaltet, wird dagegen zugeschrieben, für die fehlenden Wohnungen in der Stadt verantwortlich zu sein. Das Ressort nicht zu verlangen, grenzte also beinahe an Selbstverleugnung.
Dazu kommt, dass beispielsweise mit Katalin Gennburg eine versierte Mietenpolitikerin eines der vier verbliebenen Direktmandate gewinnen konnte. Mit einem schlagkräftigen Team klopfte sie an über 10 000 Haustüren. Wer, wenn nicht eine Politikerin wie sie, sollte die SPD herausfordern und nach Katrin Lompscher etwas Neues, noch Größeres wagen als den Mietendeckel: nach der Kommission zur Vergesellschaftung von großen Wohnkonzernen tatsächlich ein Vergesellschaftungsgesetz vorlegen.
Es wäre der einzig konsequente Schritt, sowohl auf einen Schlag für mehr öffentlichen Wohnraum und stabil niedrigere Mieten zu sorgen als auch zu beweisen, dass Die Linke den Unterschied macht und nicht bloß als Juniorpartnerin untergeht im Klein-Klein. Den Volksentscheid von Deutsche Wohnen & Co enteignen umzusetzen oder zumindest eine realistische Perspektive dafür zu eröffnen, wäre außerdem ein Gewinn für die Demokratie. Gerade nach verpatzten Wahlen ein hohes Gut.
Natürlich könnte die Partei in Verhandlungen mit so einem Manöver scheitern. Scheitern gehört dazu. Doch SPD und Grüne müssten sich ihrerseits schon zwei Mal überlegen, wie sie ihren Parteien und ihrer Wählerbasis ein Bündnis mit den Konservativen erklären wollen. Vielleicht wird andersherum also ein Schuh daraus: Die Linke hat außer Senatsposten nichts zu verlieren. Und das sollte nicht ihr Grund sein, krampfhaft in der Regierung zu bleiben. Vielmehr muss ein weiterer Anlauf einen qualitativen Unterschied machen, auch wenn das bedeutet, liebgewonnene Ressorts wie die Kultur möglicherweise zu opfern. Im Bereich Wohnen ist so viel zu gewinnen für eine sozialistische Partei, die damit auch wieder über die Hauptstadt hinaus etwas ausstrahlen kann.
Die Linke sollte alles tun, um eine CDU-Regierung zu verhindern. Denn das wäre in vielerlei Hinsicht eine Katastrophe für Berlin. Doch sie muss sich für eine Giffey-Regierung nicht unter Wert verkaufen. Denn das würde sie noch länger mit einem Gut bezahlen, das so schnell nicht wiederzuerlangen ist: Glaubwürdigkeit.
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