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Demut vor dem Denkzettel

Rot-Grün-Rot in Berlin gegen den Wahlsieger CDU? In der SPD melden sich erste Zweifler

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 5 Min.

Am Tag darauf ringt die Berliner SPD um Erklärungen. Auch wenn sich die Sozialdemokraten bei der Wiederholung der Wahlen zum Abgeordnetenhaus ganz zuletzt mit einem Vorsprung von gerade mal 105 Stimmen vor die Grünen auf Rang zwei geschoben haben: Am Sonntag ist die Partei der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey mit 18,4 Prozent auf ihren historischen Tiefstand in Berlin abgerauscht. Mal wieder. Schließlich hatte die SPD mit der gleichen Spitzenkandidatin schon 2021 das bis dato schlechteste Ergebnis nach dem Zweiten Weltkrieg eingefahren. Der Anspruch der ehemaligen Bundesfamilienministerin Giffey auf den Chefinnensessel im Roten Rathaus wurde davon nicht getrübt, sie war ja auch Erstplatzierte.

Das ist nun anders. Deutlich anders. Die SPD liegt fast zehn Prozentpunkte hinter dem Wahlsieger CDU und eben nur noch hauchdünn vor dem in Teilen der Fraktion nicht eben wohlgelittenen grünen Koalitionspartner, der ebenfalls auf 18,4 Prozent kommt. »Wissen Sie, erst einmal ist klar, dass das Ergebnis keines ist, das zu Jubel führt«, sagt Giffey am Montagmorgen dem RBB, umsogleich umzuschwenken: »Natürlich ist es gut, dass die SPD auf Platz zwei gelandet ist und damit kann man auch arbeiten.« 

Womit sie recht hat. Zusammen mit der Linken, die bei 12,2 Prozent landet, hätte die bisherige rot-grün-rote Koalition trotz Verlusten erneut eine recht komfortable Mehrheit im Abgeordnetenhaus. Es gilt das alte Giffey-Motto »Mehrheit ist Mehrheit«. Giffey sagt zur Frage des Erst- und Zweitplatzierten: »Wenn die SPD auch in der Lage ist, eine starke Regierung anzuführen, dann ist das natürlich für uns ein Punkt, den wir nicht so beiseite schieben können.« 

Selbstverständlich werde die SPD »geschlossen mit den demokratischen Parteien, insbesondere unseren Partnern, Gespräche führen, um den besten Weg für die Stadt auszuloten«, gibt sich Berlins SPD-Landes- und Fraktionschef Raed Saleh gegenüber »nd« dann schon weniger eindeutig. Aus der Partei selbst ist zu hören, dass sich einige angesichts des katastrophalen Wahlausgangs auch einen Bruch mit der rot-grün-roten Vergangenheit vorstellen können. Ob nun in der Opposition oder als Juniorpartner der CDU.

Die SPD-Spitze hält sich in dieser Hinsicht zurück. Die Wahl selbst, die der Union das beste Hauptstadtergebnis seit über 20 Jahren beschert hat, deutet der mächtige Parteichef dabei schlicht als Protestwahl. Und wie bei Protestwahl-Deutungen nicht unüblich, leitet auch Raed Saleh aus der sich im Absturz der SPD manifestierten Unzufriedenheit vor allem »einen eindeutigen Auftrag« ab: »Die Politik in der Stadt muss zu einem besseren Miteinander kommen und die unterschiedlichen politischen Positionen im Interesse der gesamten Stadt ausgleichen.« 

CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner drückt unterdessen auf die Tube, um SPD und Grüne noch in dieser oder Anfang kommender Woche zu Sondierungsgesprächen an einen Tisch zu bekommen. Mit jeder der beiden Parteien wäre ein Zweierbündnis rein rechnerisch möglich. »Jetzt ist nicht die Zeit für Taktierer, jetzt ist die Zeit für Macher«, sagt der selbst als Taktierer bekannte CDU-Landes- und Fraktionschef am Montag.

Sowohl Franziska Giffey als auch Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch haben dabei schon zugesagt, mit Wegner zumindest sprechen zu wollen. Jaraschs Begeisterung über schwarz-grüne Farbenspiele scheint sich gleichwohl in Grenzen zu halten. Sie sagt: »Es gibt bei den Grünen kein Bündnis ohne Mobilitäts- und Wärmewende, ohne Berlin wirklich klimaneutral umzubauen und ohne echten Mieterschutz.« Bekanntlich alles keine Herzenssachen der Union.

Ob ihr Werben für das Auto oder die Silversterdebatte: Der Wahlkampf der Union wirkt bei vielen im vom linken Flügel dominierten Landesverband der Grünen nach. »Aus meiner Sicht war der Wahlkampf der CDU der blanke Populismus. Die haben sich damit einfach ins Abseits geschossen«, sagt etwa Vasili Franco, der Innenexperte der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, zu »nd«. Er jedenfalls könne sich ein Bündnis mit der Union nicht vorstellen. Eine Mehrheit für einen schwarz-grünen Koalitionsvertrag auf einem Parteitag hält er für nahezu ausgeschlossen: »Wir werden nach dem Wahlkampf ja nicht unsere Haltung verändern. Das sehen, glaube ich, alle so.«

Franco ist nicht allein. Bei den Grünen setzt man ganz überwiegend auf eine Fortführung von Rot-Grün-Rot. Mobilitätssenatorin Jarasch, die selbst ins Rote Rathaus einziehen wollte, akzeptiert auch den Anspruch der nur knapp vor ihnen liegenden SPD auf den Chefinnenposten im Senat: »105 Stimmen sind 105 Stimmen.« 

Bei der Linkspartei sieht es nicht anders aus. Linke-Spitzenkandidat Klaus Lederer sagt am Montag: »Es ist eine Denkzettelwahl gewesen, davon bin ich fest überzeugt.« Berlins Kultursenator kritisierte mit Blick auf die massiven Pannen bei der eigentlichen Wahl vor 16 Monaten auch das Haudrauf-Gebaren der Parteien in den vergangenen Wochen und Monaten. »Ein bisschen mehr Demut hätte uns da als politischer Klasse gut zu Gesicht gestanden. Aber es ist, wie es ist.« 

Die 12,2 Prozent – 1,9 Prozentpunkte weniger als 2021 – seien natürlich nicht das Wunschergebnis der Linken, sagt Lederer. Angesichts der Tatsache, dass die Partei bundesweit betrachtet zuletzt »nicht so erfolgsverwöhnt« war, sei es unterm Strich aber »solide«. Eine Erklärung für das eben doch noch verhältnismäßig stabile Abschneiden liefert an Lederers Seite auch Linke-Landeschefin Katina Schubert: »Die Bundestagsfraktion war ja recht ruhig, und das hilft ja schon.«

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