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Orientierung im Punk: Gemeinsam dagegen

Ein Buch wie ein Safe Space und Archiv gegen Mackergehabe und Ausschlüsse: »Punk as F*ck«

  • Samuela Nickel
  • Lesedauer: 4 Min.
Wo siehst du dich selbst im Punk? Die Herausgeberinnen Ronja Schwikowski und Diana Ringelsiep.
Wo siehst du dich selbst im Punk? Die Herausgeberinnen Ronja Schwikowski und Diana Ringelsiep.

Das wird aber auch langsam mal Zeit: Endlich gibt es ein Buch zu FLINTA im Musikbetrieb, das kein »Mädchen«, »Frauen« oder »Girls« im Titel trägt, sondern die Beteiligten adäquat als das bezeichnet, was sie sind: nämlich »punk as fuck«, verdammt punkig also.

Der gleichnamige Sammelband von Diana Ringelsiep und Ronja Schwikowski vereint verschiedene Generationen von FLINTA. Das ist eine gängige Abkürzung für Frauen, Lesben, nichtbinäre, trans- und intergeschlechtliche Menschen, in diesem Fall: Punker*innen. Die einzelnen Beiträge der über 50 Personen sind mal sehr persönlich, mal agitierend, mal hart auf die Schnauze und mal eine Liebeshymne auf den Punkrock. Von der Schulhof-Schlägerin bis zur Bundestagspolitikerin: Es geht um Queerness, alkoholgetränkte Abende und Veganismus, ostdeutsche Tristesse, gefärbte Haare und besetzte Häuser.

»Für mich war Punk immer eine große Spielwiese, auf der man alles ausprobieren kann, ohne irgendwelche großen Zugangsvoraussetzungen erfüllen zu müssen, DIY eben«, beschreibt Schlagzeugerin Schlossi die Mitmachkultur. Dazu gehört, auf und vor der Bühne zu stehen und die Wut über die Gesellschaft herauszulassen. In »Punk as F*ck« findet aber auch der Umgang mit einer chronischen Erkrankung Platz oder wie es ist, eine Transition zu erleben oder als Schwarze Person in Deutschland aufzuwachsen. Der Sammelband ist dadurch eine Genealogie des Punk in den beiden Deutschlands. Von Coming-of-Age-Storys in den 70ern über Junge-Gemeinde-Treffen in den 80ern bis zu den Auseinandersetzungen und der Suche nach einem Ort für sich heute erzählen FLINTA aus ihrem Punker*innenleben.

Es geht bei Punk natürlich immer auch um Politik. Erzählt wird von den ersten Anknüpfungspunkten zu anarchistischer Theorie, den ersten Erfahrungen von Polizeigewalt auf Demonstrationen – und vor allem auch davon, wie das Nachdenken über »Scheiß-Strukturen« im Punk selbst von manchen so gar nicht gern gesehen wird: »Wer ›zu politisch‹ war, wird schnell als ›Hippie‹ bezeichnet. Wer nicht säuft, ist langweilig, und wenn Frauen nicht rummachen wollen, werden sie als Schlampen beschimpft«, beschreibt Jeri vom Musiklabel »Fauchkrampf!« die eigenen Erlebnisse. Die Subkultur wird in »Punk as F*ck« nicht nur heiß geliebt, sondern gerade deswegen heftigst kritisiert. »Die Punkrockszene enttäuscht mich dabei oft mehr als das Spießbürgertum«, rechnet die Rollstuhlskaterin Lisa Lebuser mit der Szene ab, »denn von einer Subkultur, die sich dem linken Spektrum zugehörig fühlt, erwarte ich, dass sie Missstände anprangert und bekämpft, anstatt sie zu reproduzieren!«

Als ich das Buch in den öffentlichen Verkehrsmitteln las, haben mich mehrere FLINTA-Personen darauf angesprochen. Wir kamen in einen Austausch über das Buch, über Punk, über diskriminierende Strukturen. Allein dieses Buch in den Händen zu halten, hat wohl signalisiert, dass ein Gespräch möglich, wenn nicht sogar ein weitgehend sicherer Raum gegeben ist, um sich gegenseitig zu unterstützen. »Punk as F*ck« ist der kleinste gemeinsame Nenner, der zeigt: Ich hab keinen Bock auf Mackergehabe, patriarchale Strukturen und Ausschluss aus der von mir heiß geliebten Subkultur aufgrund eines diskriminierenden Machtgefälles. 

Im Dezember 2020 wird der Hashtag »#punktoo« von Diana Ringelsiep ins Leben gerufen. Er soll den Sexismus in der Subkultur sichtbar machen und die ungleichen Macht- und Herrschaftsverhältnisse im Punk entblößen. Bis heute werden übergriffige Bandmitglieder unter dem Hashtag geoutet, wird über sexistische Vorkommnisse diskutiert. »Die #punktoo-Debatte legt den Finger in die Wunde, genau dahin, wo es wehtut«, bekräftigt Andrea von der Band Pestpocken in »Punk as F*ck«. Das Buch versammelt die Berichte, die auf dem Kurznachrichtendienst Twitter nur wenige Zeichen Platz hätten, und gibt ihnen Raum und Kontext. Gewalterfahrungen werden so politisch und gesellschaftlich eingeordnet, und die Lesenden mit den eigenen Erlebnissen im Moshpit auf Konzerten oder in Beziehungen nicht alleingelassen. »Punk as F*ck« macht deutlich: Es gibt ein gemeinsames Dagegen. Wenn jüngere FLINTA oder nächste Generationen durch dieses Archiv erfahren, welche Kämpfe, Erfolge und Übereinkünfte es in dieser Subkultur bereits gab, kann das Orientierung geben, wo man sich selbst eigentlich im Punk sieht.

Auf dieses Buch werden hoffentlich weitere folgen. Denn natürlich kann ein Buch allein nicht alles in der Subkultur erfassen, aber es ist ein Anfang. Jetzt fehlt nur noch ein Zeitstrahl mit all den FLINTA-Bands seit den 70ern, von Östro430 über Scattergun bis zu Eat my Fear heute. Oder ein Mixtape mit all den Bandtipps, die es in den Beiträgen massenhaft auf die Hand gibt. Aber das kann man auch einfach selbst machen, DIY eben. Ich bin schon gespannt darauf, mit wem ich dann in der Bahn darüber ins Gespräch komme. Lasst uns gemeinsam überlegen, wie es mit der Subkultur weitergehen soll. Der Punk ist tot? Es lebe der Punk!

Diana Ringelsiep und Ronja Schwikowski (Hg.): Punk as F*ck. Die Szene aus Flinta-Perspektive. Ventil-Verlag, 448 S., br., 24 €.

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