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  • Ein Jahr Krieg in der Ukraine

Deutsche Russlandpolitik: Ende der Doppelstrategie

Deutschland und die USA sind seit Beginn des Ukraine-Kriegs in der Osteuropapolitik enger zusammengerückt

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 5 Min.

Vergangenheitsbewältigung ist ein großes Wort in Deutschland. Es wurde oft benutzt, um den Umgang der Bundesrepublik mit seinem Vorgängerstaat, dem Nazireich, zu beschreiben. Ein wenig Buße und Gedenkkultur sollten ausreichen, um der Welt zu zeigen, dass Deutschland geläutert ist, nachdem im Namen dieses Landes Teile der Welt in Brand gesteckt und ganze Völker abgeschlachtet wurden.

Die Nazizeit rückt in immer weitere historische Ferne, aber der Begriff Vergangenheitsbewältigung ist zurück und in aller Munde. Ganz gleich, ob man im »Spiegel«, in der »Zeit« oder der »Taz« blättert, überall wird zu einem kritischen Umgang mit der Vergangenheit aufgerufen. Angesprochen ist nun vor allem die SPD. Denn ihre Russlandpolitik, so lautet der Vorwurf, sei seit den Angriffen des Moskauer Militärs auf die Ukraine und der russischen Eroberungspolitik gescheitert. Führende Sozialdemokraten äußern sich ebenfalls selbstkritisch. Denn sie dachten bis zum Kriegsausbruch, dass Deutschland das lukrative Öl- und Gasgeschäft mit den Russen fortführen könne. Besonders peinlich für die SPD war, dass Spitzengenossen wie Gerhard Schröder und Henning Voscherau dabei schamlos absahnten.

Fraglich ist aber, was die Alternativen zur damaligen Energiepolitik und zum Bau der Pipelines Nord Stream 1 und 2 gewesen wären, den nicht nur die SPD, sondern auch die frühere Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vorangetrieben hatte. Deutschland ist weiter auf Gaslieferungen aus dem Ausland angewiesen. Darunter sind Exporteure, deren Freundschaft zur Bundesrepublik stabil ist, wie etwa Norwegen. Aber gilt das auch für Katar, dessen Gas dazu beitragen soll, die ausbleibenden Lieferungen aus Russland auszugleichen? Vielleicht wird auch der von der rot-grün-gelben Bundesregierung eingefädelte Gasdeal mit Katar eines Tages als historischer Fehler bezeichnet, wenn sich die Konflikte zwischen Saudi-Arabien und dem Emirat erneut verschärfen sollten oder den politischen Entscheidern im Westen auffällt, dass islamistische Gruppen, die der Muslimbruderschaft nahestehen, hohe Spenden aus Katar erhalten.

Viele Kritiker behaupten, dass die SPD und Angela Merkel eine Appeasement-Politik gegenüber Präsident Wladimir Putin betrieben hätten. Dabei wird übersehen, dass sie eine Doppelstrategie verfolgten und auch daran interessiert waren, dass die EU den Russen geopolitisch auf die Pelle rückt. Alle deutschen Regierungsparteien haben sich für das Programm der Östlichen Partnerschaft eingesetzt, das Assoziierungsabkommen der EU mit interessierten Staaten der früheren Sowjetunion vorsah. Die Wirkung dieses Programms sollte nicht unterschätzt werden. Schließlich führte die Aussetzung des Assoziierungsabkommens durch den damaligen ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch zu den Protesten des Euromaidan in den Jahren 2013 und 2014. Es kam zu schwerer Gewalt und einem Umsturz. Janukowitsch, der die enge Bindung an Russland beibehalten wollte, musste flüchten.

Wenn sich die Kritiker der einstigen deutschen Ostpolitik, darunter vor allem Politiker der Grünen sowie die Transatlantiker von Union und FDP, bereits vor einigen Jahren mit ihren weitergehenden Forderungen durchgesetzt hätten, wäre der Konflikt mit Russland wohl früher eskaliert. Die damalige Grünen-Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck hatte etwa im Jahr 2014 ein Papier unterzeichnet, in dem Sympathien für eine weitere Nato-Osterweiterung geäußert wurden. Im Unterschied zur Ukraine seien »die baltischen Staaten seit 2004 Nato-Mitglieder und haben daher ihre territoriale Integrität sowie friedliche Entwicklung bewahren können«, heißt es darin. Für die Unterzeichner ist klar, dass allein der Schutzschirm der Nato die beste Versicherung gegen Angriffe und Destabilisierungsversuche aus Russland sei.

So sah das auch der frühere US-Präsident George W. Bush, der beim Nato-Gipfel 2008 in Bukarest darauf drängte, dass die Ukraine und Georgien schnell in das Militärbündnis aufgenommen werden. Angela Merkel und die französische Regierung haben das damals verhindert, weil sie einen realistischen Blick auf die Situation hatten. Sie wollten keinen Konflikt mit Russland und wussten, dass viele Ukrainer den angeblichen Schutz des transatlantischen Militärpakts nicht wollten. Zwei Drittel in dem Land gaben in Umfragen im Frühjahr 2008 an, skeptisch bis feindlich gegenüber der Nato zu sein.

Inzwischen dürfte sich dieses Bild geändert haben. Aussagekräftige Umfragen zur Nato könnten nur in dem Gebiet durchgeführt werden, das die ukrainische Regierung kontrolliert und das unter den russischen Attacken und schweren Kriegsverbrechen leidet, nicht aber in den besetzten Regionen und unter den mehr als zwei Millionen Menschen, die nach Russland geflohen sind. Ein Nato-Beitritt der Ukraine ist zurzeit allerdings nicht mehr realistisch, weil in dem Bündnis die Maxime gilt, dass man nicht direkt in den Krieg mit Russland hineingezogen werden will. Auch die Kiewer Regierung weiß, dass ein Bewerberstaat keine aktiven Grenzkonflikte haben darf.

Als Särge mit toten deutschen, französischen oder US-Soldaten zurückkamen, die in Vietnam, dem Irak oder Afghanistan gekämpft hatten, sank die Kriegsbegeisterung an der Heimatfront rapide. Diese Probleme hat die Nato vorerst nicht, wenn ihre Mitglieder lediglich immer mehr Waffen in die Ukraine liefern und an der Ostflanke die Truppen aufstocken. So einig war man sich in dem Bündnis, einmal abgesehen von der Frage, wie schnell welches Kriegsgerät geliefert werden soll, schon lange nicht mehr. Und weil Russland nicht mehr als bedeutender Energielieferant für Deutschland in Frage kommt, sind auch die Bundesrepublik und die USA in der Osteuropapolitik enger zusammengerückt.

Der Krieg dürfte übrigens eine weitere Folge haben. Im Jahr 2021 hatte sich die SPD in ihrem Wahlprogramm als Friedenspartei bezeichnet, die auf Diplomatie und Dialog setze. Diesen Teil ihrer Vergangenheit dürfte sie endgültig entsorgt haben, als Kanzler Olaf Scholz kurz nach Kriegsbeginn das große Aufrüstungsprogramm für die Bundeswehr angekündigt hatte.

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