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Anschlag von Hanau: Alle sind verantwortlich
Drei Jahre nach dem rassistischen Terroranschlag von Hanau finden die Überlebenden und Angehörigen der Opfer keine Ruhe: Sie werden vom Vater des Täters bedroht und müssen weiter um Aufklärung kämpfen
Am 19. Februar vor drei Jahren wurden Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov ermordet. Es war ein rassistischer Terroranschlag in Deutschland. Nicht der erste und nicht der letzte. In den Wochen vor dem dritten Jahrestag ist die Initiative 19. Februar nur schwer zu erreichen. »Wir arbeiten gerade alle sieben Tage in der Woche«, erklärt ihre Sprecherin Newroz Duman am Telefon. Presseanfragen, Veranstaltungen und Aktionen vor dem Jahrestag, die Arbeit im parlamentarischen Untersuchungsausschuss, Beratung bei Bedrohungslagen. Das alles kostet Zeit und eine Menge Kraft. Viele der Überlebenden und Angehörigen der Opfer sind von dem Anschlag traumatisiert und bis heute nicht arbeitsfähig. »Nach drei Jahren stehen wir da wie am Anfang: Wir müssen alles selber machen, bei der Frage der Aufklärung und den Konsequenzen«, sagt Duman. Dieser Vorwurf richtet sich an die deutsche Politik, aber auch an die Gesellschaft als Ganze.
Zwar gibt es einige Fortschritte. »Der rechte und rassistische Anschlag von Hanau wurde von Anfang an als rassistische Tat benannt«, sagt Sarah Teufel von der Beratungsstelle Response Hessen. Das war etwa bei den rassistischen Morden des sogenannten NSU zwischen 2000 und 2006 ganz anders. Damals gerieten die Angehörigen der Mordopfer selbst unter Verdacht. Die Aufklärung der Verstrickung hessischer Behörden in die rassistische Mordserie, etwa der Frage, warum ein Mitarbeiter des sogenannten Verfassungsschutzes beim Mord an Halit Yozgat in Kassel anwesend war, steht bis heute aus. Doch: »Es reicht nicht, Probleme zu benennen. Es müssen auch Konsequenzen folgen«, sagt Teufel.
Und davon ist man in Hanau noch weit entfernt. Zwar ist mittlerweile bewiesen, dass Vili Viorel Păun, bevor er erschossen wurde, den Notruf nicht erreichte, weil in der zuständigen Polizeidienststelle kein Notrufüberlauf eingerichtet war. Roland Ullmann, der damalige Offenbacher Polizeipräsident, wurde nach dem Anschlag zum Landespolizeipräsidenten befördert und nun einige Monate verfrüht in den Ruhestand geschickt. Es ist bewiesen, dass der Notausgang in der Arena-Bar, in der Said Nesar Hashemi und Hamza Kurtović erschossen wurden, widerrechtlich verschlossen war. Der Betreiber der Bar stand vor Gericht und darf keine Gaststätten mehr führen. Doch ob die Polizei dabei eine Rolle spielte und der Notausgang wegen möglicher Razzien in der Shisha-Bar verschlossen war, bleibt offen. »Wir haben jahrelang gearbeitet, um diese Fehler zu beweisen, weil der Staat nicht ermittelt hat. Aber daraus folgt nichts. Im Untersuchungsausschuss besteht die Mehrheit aus CDU-Politikern der Regierung, deren Ziel es ist, die Polizei zu schützen«, sagt Duman. Erst in der letzten Woche entschied ein Gericht, dass die Bundesanwaltschaft die Akten zum Attentat von Hanau ungeschwärzt an den Untersuchungsausschuss herausgeben muss. Fast gleichzeitig forderte der FDP-Politiker Jörg-Uwe Hahn ein Ende des Untersuchungsausschusses, in dem er selbst Mitglied ist. »Es muss gut sein. Es dürfen nicht immer wieder neue Fragen gestellt werden«, sagte er.
Nach dem Anschlag vor drei Jahren waren alle führenden Politiker*innen nach Hanau gekommen, um mit den Betroffenen zu sprechen und Blumenkränze niederzulegen. »Aber Konsequenzen gibt es bis heute nicht. Der Staat hat in Hanau komplett versagt. Es wurde Aufklärung versprochen, aber dieses Versprechen wurde nicht eingehalten«, sagt Duman von der Initiative 19. Februar. Um die Tat aufzuarbeiten, brauche es ein Verständnis dafür, dass alle dafür verantwortlich sind: Politik, Medien, Gesellschaft.
Dieses Verständnis ist nicht da. Das hat zuletzt die Debatte um die Berliner Silvesternacht gezeigt, in der Unionspolitiker*innen vor der Aufklärung der Tatumstände in Talkshows und Pressekonferenzen bereits Migrant*innen die Schuld zugeschoben hatten. Und auch die sozialdemokratische Bundesinnenministerin, die sich in Hessen um das Amt der Ministerpräsidentin bewirbt, sprach von »gewaltbereiten Integrationsverweigerern«. »Politiker, die so reden, machen Menschen zur Zielscheibe. Sie wollen nicht lernen aus dem Anschlag von Hanau«, sagt Duman. Dass es einen Zusammenhang zwischen rassistischen Debatten und Gewalttaten gibt, bewies etwa der Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke. Sein Mörder beschrieb im Prozess, wie die Debatten um die Silvesternacht 2015/16 seinen Zorn und seine Angst vor »Überfremdung« angestachelt hätten.
Die Gefahr vor rechter und rassistischer Gewalt ist mit dem Selbstmord des Attentäters von Hanau nicht gebannt. Seit Oktober vergangenen Jahres haben die Angehörigen der Opfer begründete Angst, dass der Vater des Täters gefährlich werden könnte. Er hatte sich damals mehrmals mit seinem Schäferhund vor das Haus von Serpil Temiz Unvar, der Mutter des ermordeten Ferhat, gestellt und sie durchs Fenster beobachtet. Gegen ein verhängtes Näherungsverbot verstoße er regelmäßig, erzählt Duman. Wie einst sein Sohn schreibt auch er seitenlange Anzeigen. Er ist der Ansicht, er und seine Familie seien Opfer einer Geheimorganisation, die für die Morde verantwortlich sei. Es ist erwiesen, dass der Vater das rechte und rassistische Weltbild seines Sohnes teilt. Kurz nach der Tat hatte er die Tatwaffen zurückgefordert. Nach Informationen der »Frankfurter Rundschau« hat die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den 75-Jährigen wegen des Verdachts der Bedrohung und Beleidigung erhoben. Ein am 13. Dezember beantragter Strafbefehl, der sechs Verstöße gegen das Gewaltschutzgesetz beinhalte, sei vom Amtsgericht erlassen worden. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft wurde eine Geldstrafe von insgesamt 70 Tagessätzen zu je 60 Euro festgesetzt.
Newroz Duman beschwichtigt das nicht. »Eine Geldstrafe hindert den Vater des Attentäters nicht daran, dass er die Angehörigen weiter bedroht«, sagt die Sprecherin der Initiative 19. Februar. Aus Hanau lernen heiße, Warnungen ernst zu nehmen. Dass gegen den Vater ermittelt werde, sei richtig. Doch er laufe weiterhin frei herum. Das Misstrauen der Angehörigen werde so nicht beseitigt: »Durch die Fehler in Bezug auf den Anschlag von Hanau haben die Betroffenen kein Vertrauen mehr in Behörden und Polizei: Kann man wirklich nicht mehr tun?«
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