- Berlin
- Queeres Co-Parenting
Trans Mutter: Standesamt verweigert Eintrag
Das Standesamt Friedrichshain-Kreuzberg akzeptiert eine Frau nicht als Elternteil, weil sie trans ist
Eigentlich könnte alles perfekt sein. Jona und Lia sitzen am Wohnzimmertisch, Johannes bringt Kaffee mit dickem Hafermilchschaum aus der Küche, die morgendliche Wintersonne strahlt durchs Fenster, das Baby schläft noch. Anfang Januar, gut zehn Wochen nach der Geburt von Nino, schwankt die Stimmung in der Neuköllner Wohnung der kleinen Familie jedoch zwischen Glück und Frustration. Denn seit zehn Wochen weigert sich das Standesamt Friedrichshain-Kreuzberg, Lia als zweites Elternteil anzuerkennen.
Jona, Lia und Johannes – die drei sind Freund*innen und seit kurzem Eltern. Ihre Konstellation lässt sich als queeres Co-Parenting beschreiben, ein von der traditionellen Kleinfamilie abweichendes Konzept geteilter Elternschaft. Jona, 33 Jahre alt, kurzer Wuschelkopf und nichtbinär, hat das Kind geboren. Lia, 41, ist Elternteil und trans, sie hat ihren Personenstand vor eineinhalb Jahren zu weiblich geändert. Johannes, 36, cis-männlich – also dem männlichen Geschlecht zugehörig, das ihm bei der Geburt zugewiesen wurde – und Jonas »Mitbewohni forever« ist »Vater im sozialen Sinne«. So erklären die drei ihre Rollen. Was sie verbindet, ist der Wunsch, Familie anders zu leben.
»Ich empfinde romantische Beziehungen in der Transformation zum Elternsein als nicht so stabil. Es sind eher Gruppen wie langjährige WGs, die mir das Gefühl von Sicherheit für solche Prozesse geben«, erzählt Jona. »Was mich lange abgehalten hat, war der Gedanke an Kleinfamilien, wo sich alles nur um die Kleinfamilie dreht«, sagt Lia. Und auch Johannes findet es wichtig, nicht in der typischen Isolation von Vater-Mutter-Kind zu verschwinden. »Dann hat mich Jona gefragt, und mit Jona war das familiäre Gefühl sowieso schon da.«
Als sich die Idee verfestigt, bereiten sie sich gemeinsam vor und tauschen sich intensiv über Erziehungsvorstellungen und Familienleben aus. Rechtlich ist eine Elternschaft von drei Personen noch nicht möglich, daher können sie vorerst nur für Jona und Lia die Anerkennung beantragen. Johannes trägt als Papa zwar dieselben Verantwortungen für das Kind, rechtlich ist er den beiden jedoch nicht gleichgestellt. »Dafür müsste es erstmal eine Gesetzesänderung geben«, sagt Lia. »Wir spekulieren darauf, dass das irgendwann passiert«, ergänzt Jona. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) kündigte schon vor einem Jahr an, das Familienrecht so zu reformieren, dass es der »Vielfalt des familiären Zusammenlebens« entspreche. Sogenannte Verantwortungsgemeinschaften sollen die Elternschaft von mehr als zwei Personen ermöglichen. Mehr als den Reformplan gibt es bislang aber nicht.
Deshalb also vorerst zu zweit, so ist zumindest der Plan. Vor der Geburt wenden sich Lia und Jona an das Neuköllner Jugendamt, um eine frühzeitige Anerkennung von Lias Elternschaft zu erreichen. Nach dem Transsexuellengesetz (TSG) kann Lia – wie alle trans Menschen – nur in ihrem Geburtsgeschlecht als Elternteil anerkannt werden, als Vater also, obwohl das nicht ihrem Geschlecht entspricht. Diese Regelung bedeutet für trans Personen, dass sie sich beim Vorzeigen der Geburtsurkunde ihres Kindes immer wieder outen müssen. »Bei der Kita- oder Schulanmeldung, wenn man umzieht oder einen Reisepass will. Da muss man dann immer damit rechnen, beweisen zu müssen: Das bin tatsächlich ich«, zählt Jenny Wilken von der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (DGTI) diskriminierende Situationen auf, die aus dem TSG entstehen. Die DGTI fordert deshalb parallel zum Selbstbestimmungsgesetz eine schnelle Reform des Abstammungsrechts.
Das Jugendamt stellt Lia und Jona eine Urkunde über das gemeinsame Sorgerecht aus. Sie soll dem Neuköllner Standesamt als Grundlage dienen, um beide Elternteile in die Geburtsurkunde einzutragen. Doch weil Jona das Kind nicht wie geplant zuhause, sondern im Vivantes-Krankenhaus zur Welt bringt, ist für die Geburtsurkunde das Standesamt Friedrichshain-Kreuzberg zuständig.
»Wir haben erstmal lange gar nichts vom Standesamt gehört«, erinnert sich Lia. »Als wir dann angerufen haben, hieß es, dass es ein bisschen dauern könnte, weil es geprüft werden muss.« Am 21. Dezember, sechs Wochen nach der Geburt, erreicht die Familie ein Brief. Darin steht, dass die Beurkundung des Jugendamtes nicht für das Geburtenregister übernommen werden kann. Denn: »Gemäß § 1592 BGB ist Vater eines Kindes der Mann, der die Vaterschaft anerkannt hat. Bei der anerkennenden Person handelt es sich jedoch ausgehend von den vorliegenden Unterlagen um eine weibliche Person.« Anbei schickt das Amt die Geburtsurkunden. Sie führen ausschließlich Jona als Elternteil.
Das ist ein Schock. »Sie tun so, als ob es keine trans Eltern gäbe«, empört sich Lia. »Dass sie nach sechs Wochen Prüfung zu einem Ergebnis kommen, das sich ausschließlich auf das BGB bezieht, ist an sich schon ein Skandal.« Denn der zitierte Paragraf aus dem bürgerlichen Gesetzbuch beschreibt lediglich die klassische Vaterschaft, die Regelungen für trans Personen aus dem TSG ignoriert das Standesamt. Auch wenn es diskriminierend ist, dass Lia überhaupt nur als Vater auf der Geburtsurkunde stehen kann – »als Elternteil anerkannt zu werden, ist mein Recht und ich werde darauf bestehen«, sagt Lia. Lieber hat sie unter falschem Geschlecht das Sorgerecht als gar nicht.
Eine Geburtsurkunde, die nur Jona als Elternteil führt, benachteiligt die Familie nicht nur auf symbolischer Ebene gegenüber cis-heterosexuellen Eltern, sondern schafft konkrete Probleme. »Wenn Nino ins Krankenhaus müsste, dürfte ich nicht verhindert sein«, erklärt Jona, aktuell die einzige sorgeberechtigte Person. Auch bei der Anmeldung zur Kita oder Reisen mit Kind müsste Jona entweder dabei sein oder zumindest eine Vollmacht mitgeben. Sie wird zudem in eine extrem unsichere Position gezwungen. »Theoretisch könnten wir einfach gehen und Jona hätte keine Unterhaltsansprüche«, sagt Lia. Unsicher ist auch die Situation des Kindes. Sollte Jona etwas zustoßen, wäre Nino alleine.
Dazu kommen akute materielle Sorgen. Lia kann keine Elternzeit beantragen und bekommt deshalb nicht die sonst übliche Lohnweiterzahlung während ihrer Arbeitspause. »Sie überlegt jetzt, früher wieder anzufangen. Dadurch würden wieder die typischen Verhältnisse aufgebaut«, sagt Jona. Die gebärende Person kümmere sich dann wie in der klassischen Kleinfamilie um das Kind, während das zweite (und in diesem Fall auch dritte) Elternteil nach ein paar Wochen wieder in der Lohnarbeit stecke.
Die drei Eltern reagieren mit Widerspruch auf das Schreiben des Standesamtes. Dann teilt dieses am 24. Januar mit, dass es sich mit einer sogenannten Zweifelsanfrage an das Amtsgericht Schöneberg gewandt habe. Schlechte Neuigkeiten. Lia schickt ein Foto des Briefes und schreibt: »Das wird jetzt zu einer Grundsatzentscheidung.« Auf »nd«-Nachfrage erklärt die Behörde, eine Gerichtsentscheidung über den Fall sei notwendig, »da es in Berlin bis dato noch keinen hier bekannten vergleichbaren Beurkundungsfall gibt«.
Tatsächlich ist Lias Situation ein Spezialfall, weil sie ihren Personenstand inklusive Vornamen vor knapp eineinhalb Jahren nicht über das TSG, sondern über das Personenstandsänderungsgesetz ändern ließ. Letzteres wurde im Herbst 2022 für »Menschen mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung« geschaffen, die auch bei Lia ärztlich diagnostiziert wurde. Im Gegensatz zum TSG erfordert es keine langwierige und teure Begutachtung, aber es gibt einen Haken: Es regelt nicht die potenziellen Nachwirkungen eines veränderten Personenstandes. Für Lia entsteht dadurch eine absurde Sackgasse. Hätte sie ihren Personenstand später, nach der Geburt, geändert, gäbe es jetzt keine Probleme.
Der Anwalt Dirk Siegfried vertritt die Familie im anstehenden Prozess. Er sieht durchaus Ermessensspielraum: »Das Standesamt kann selbst entscheiden, was es einträgt. Es ist bigott, hier zuerst Rechtsicherheit zu verlangen.« Die aktuelle Lage seiner Mandant*innen hält er für verfassungswidrig. »Dadurch wird dem Kind ein zweites Elternteil vorenthalten, das ist kindeswohlwidrig.« Doch bis die Familie zu ihrem Recht kommt, könnte es lange dauern. »Wenn eine Seite über die Entscheidung des Amtsgerichts nicht zufrieden ist, landet der Fall beim Kammergericht, dann beim Bundesgerichtshof und schließlich beim Bundesverfassungsgericht.« Siegfried kann sich vorstellen, dass Berlin ein Urteil zugunsten von Lia und Jona nicht akzeptieren wird. Die Innenverwaltung, Aufsichtsbehörde der Standesämter und dementsprechend für den Umgang mit der gerichtlichen Einschätzung zuständig, antwortete auf »nd«-Anfrage, dass man zu dem laufenden Verfahren nichts mitteilen könne.
Jona, Lia und Johannes wenden sich auch an die Ombudsstelle des Landesantidiskriminierungsgesetzes. Sie schreibt auf »nd«-Anfrage, dass sie nach der Entscheidung des Amtsgerichtes prüfen werde, ob ein Verstoß gegen das LADG vorliege. Lia weiterhin aus der Geburtsurkunde auszuschließen, hält die Stelle für eine »unmittelbare Diskriminierung«. »Eine Rechtfertigung der Ungleichbehandlung gemäß Paragraf 5 LADG ist nach derzeitigem Sachstand nicht ersichtlich«, heißt es.
Ein langwieriger Präzedenzprozess steht der jungen Familie bevor. Zu der sorgerechtlich unsicheren Situation kommen der Stress und die finanzielle Belastung. Trotz allem betonen Jona, Lia und Johannes, wie froh sie mit ihrer Lebensentscheidung seien. »Eines der beeindruckendsten Gefühle war zu merken, wie viele Menschen Lust auf dieses Kind haben«, sagt Jona. Sechs Großeltern kämen voller Begeisterung zu Besuch, dazu gebe es Freund*innen und Partner*innen, die sich ebenfalls mitkümmerten. So muss, als Nino vormittags aufwacht, niemand von den Dreien das Gespräch verlassen. Denn Jonas Partnerin ist zu Besuch und nimmt Nino in die Trage, eine Runde spazieren. »Wir sollen keine Eltern sein«, sagt Lia zu der aktuellen Rechtslage, die trans Menschen das Leben schwer macht. Sie sind es trotzdem.–
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