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Überraschungsgast aus Washington
US-Präsident Joe Biden bekennt: Kiew hat »einen Teil meines Herzens erobert«
Die Reise Joe Bidens nach Kiew war so geheim wie absehbar, nachdem das Weiße Haus vor ein paar Tagen den Besuch des US-Präsidenten in Polen ankündigt hatte. Ein weiteres Indiz lieferte der ukrainische Vizeaußenminister und ehemalige Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk. Der hatte zu früher Stunde im ukrainischen Fernsehen »eine Überraschung« angekündigt. Kurze Zeit später, um 8 Uhr Ortszeit, traf Biden ein. Seine Kolonne fuhr zum Mariinski-Palast, wo Biden vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und dessen Frau begrüßt wurde. Ins Gästebuch schrieb der Gast: »Bitte nehmen Sie meinen tiefsten Respekt für Ihren Mut und Ihre Führungsqualitäten entgegen. Slava Ukraini! (Ruhm der Ukraine). Joe Biden.«
Die russische Nachrichtenagentur Tass berichtete: »Gegen 13 Uhr Moskauer Zeit begannen die ukrainischen Medien, Videos zu veröffentlichen, in denen eine Person zu bemerken war, die Biden ähnelte.« Eine Untertreibung, denn medial wurde in Kiew eine gut inszenierte Show geboten: Biden, der eine Krawatte in den Farben der Ukraine trug, spazierte mit seinem Gastgeber im Sonnenschein durch die Stadt. Die beiden ließen sich vor der St.-Michael-Kathedrale und am Ehrenmal für gefallene Ukrainer fotografieren. Luftschutzsirenen heulten, obgleich keine Gefahr bestand. Das Weiße Haus hatte Moskau über Bidens »Abstecher« informiert.
Beobachter messen dem Biden-Besuch große Bedeutung zu. Vor einem Jahr überfiel Russland das Nachbarland Ukraine. Die von Präsident Wladimir Putin angeordnete »militärische Sonderoperation« hat seither Zehntausende Opfer gefordert, unermessliche Werte wurden zerstört, ungezählte Menschen sind auf der Flucht. In dieser Situation verkündete Kiews wichtigster Verbündeter voller Entschlossenheit: »Putins Eroberungskrieg scheitert.«
Russlands Präsident habe wohl gedacht, »die Ukraine sei schwach und der Westen gespalten«, sagte Biden und betonte, er glaube nicht, dass Putin das noch immer denkt. Biden erinnerte an das erste Telefonat, das er und Selenskyj geführt hatten, als »russische Flugzeuge in der Luft waren und Panzer die Grenze überquerten«. Das werde er nie vergessen, denn: »Die Welt war dabei, sich zu verändern.« In dieser dunklen Nacht bereiteten sich viele auf den Fall Kiews, vielleicht sogar auf das Ende der Ukraine vor. Ein Jahr später stehe Kiew noch immer, ebenso wie die Ukraine und die Demokratie, sagte Biden. Kiew, so steigerte sich der US-Präsident, habe »einen Teil meines Herzens erobert«.
Der Inhalt des anschließenden Vier-Augen-Gesprächs gelangte nicht an die Medien, wohl aber Selenskyjs Einschätzung: »Das war ein Gespräch, das uns dem gemeinsamen Sieg in diesem Krieg näherbringt.« Wie bereits in seiner Rede vor der Münchner Sicherheitskonferenz behauptete der ukrainische Präsident: »Wir können und müssen davon ausgehen, dass 2023 das Jahr des Sieges wird.«
Die Frage, ob Bidens Delegation mit Ideen zu einer diplomatischen Beendigung des täglichen Mordens nach Kiew gekommen war, mochte niemand beantworten. Interessant wäre eine Antwort auch gewesen, weil zu gleicher Zeit Chinas oberster Außenpolitiker Wang Yi, der in München eine chinesische Friedensinitiative angekündigt hatte, Gespräche in Moskau führen will.
Der Leiter des ukrainischen Präsidialbüros, Andrij Jermak, nannte Bidens Besuch via Telegram-Messenger »strategisch«. Es seien viele Probleme gelöst worden. Auch solche, deren Lösung sich verzögerte. »Unser gemeinsames Ziel ist der Sieg der Ukraine über Russland und der Triumph der ukrainischen Soldaten und der westlichen Waffen.« Sein Chef unterstrich gleichfalls die Bedeutung weiterer US-Militärhilfe. Die sei auf dem Schlachtfeld, bei der verbesserten Ausrüstung der Soldaten »und bei der Befreiung unserer Gebiete spürbar«, sagte Selenskyj. »Historisch wichtig« nannte er den Fortschritt bei der Flugabwehr. Die Entscheidung der USA, Abrams-Kampfpanzer zu liefern, habe eine internationale Panzerkoalition ermöglicht, zu der auch deutsche Leopard-Panzer gehörten. Selenskyj behauptete zudem, er habe mit dem US-Präsidenten auch »die Frage von Langstreckenwaffen« diskutiert.
Biden betonte, dass es in Washington eine breite, parteiübergreifende Unterstützung für die ukrainische Sache gebe, auch wenn einige Republikaner sich weigern, weitere Hilfe zu leisten. Trotz aller Meinungsverschiedenheiten gebe es erhebliche Übereinstimmung über die Unterstützung der Ukraine», sagte er. «Es geht nicht nur um Freiheit in der Ukraine … Es geht um die Freiheit der Demokratie im Allgemeinen», sagte er.
Bereits vor der Ankunft in Kiew hatte Biden erklärt, er wolle weitere Waffenlieferungen ankündigen, darunter Artilleriemunition, Panzerabwehrsysteme und Luftraumüberwachungsradare. Zudem wollten die USA in dieser Woche zusätzliche Sanktionen gegen Personen und Unternehmen beschließen, die mit Moskaus «Sonderoperation» in Verbindung stünden. Ähnliches hatte die EU am Montag verkündet. Biden machte sich mittags auf nach Polen, wo er sich – wie es hieß – mit Präsident Andrzej Duda und weiteren US-Verbündeten an der Ostflanke der Nato treffen will.
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