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Berlin: Enteignung als Koalitionsfrage

Linke in den Bezirken verschärfen den Ton in den aktuellen Sondierungsgesprächen

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 4 Min.

Schwarz-Grün, Schwarz-Rot oder weiter Rot-Grün-Rot: Noch in dieser Woche soll in Berlin Klarheit geschaffen werden, wer nun mit wem nach der Wiederholungswahl zum Abgeordnetenhaus Koalitionsverhandlungen für eine Regierungsbildung aufnimmt. Mitten in den noch laufenden Sondierungsgesprächen für eine mögliche Fortführung der bisherigen rot-grün-roten Koalition haben die Bezirksverbände der Berliner Linken den Druck auf die Bündnispartner in spe jetzt an einem neuralgischen Punkt deutlich erhöht: der Frage der Umsetzung des Volksentscheids »Deutsche Wohnen & Co enteignen«.

In einem »nd« vorliegenden gemeinsamen Antrag für den Linke-Landesparteitag an diesem Freitag fordern die Vorsitzenden von elf von zwölf Bezirksverbänden, dass in Sachen Vergesellschaftung »die Erarbeitung eines Gesetzentwurfs und dessen Abstimmung im Abgeordnetenhaus bis spätestens Mitte 2024 sowie ein Fahrplan zur Umsetzung der Vergesellschaftung« in einem »neuen Koalitionsvertrag« mit SPD und Grünen festgehalten werden »muss«. Der Wiedereintritt in einen Senat wird damit faktisch von dieser Frage abhängig gemacht.

Klar ist: Sofern sich SPD, Grüne und Linke überhaupt auf gemeinsame Koalitionsverhandlungen verständigen, dürfte das von der Linken-Basis eingeforderte Muss beim Vergesellschaftungsfahrplan insbesondere Berlins Regierender Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) übel aufstoßen. Zuletzt hatte Giffey kurz vor der Wahl ihre ablehnende Haltung zur Vergesellschaftung großer Wohnungsbestände von profitorientierten Immobilienunternehmen bekräftigt: Durch Enteignungen entstehe keine einzige Wohnung, sie könne das nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren.

Sätze, die bei Martha Kleedörfer immer noch für Kopfschütteln sorgen. Sie ist Co-Vorsitzende der Linken in Mitte und Mitunterzeichnerin des Fahrplanantrags. »Mehr als eine Million Berliner*innen haben im September 2021 beim Volksentscheid ›Ja‹ zur Vergesellschaftung gesagt. Da frage ich eher nach Frau Giffeys demokratischem Gewissen«, sagt Kleedörfer zu »nd«.

Die Frage ist trotzdem, ob sich das kategorische Einfordern der Verankerung der Vergesellschaftungsfrage nicht eher als Hemmschuh in etwaigen Verhandlungen mit SPD und Grünen erweisen wird. Die Regierende hatte in einem am Samstag veröffentlichten Interview mit der »Zeit« zwar ebenfalls erklärt: »Wir brauchen eine gemeinsame Haltung zu Enteignungen, bevor wir einen Koalitionsvertrag unterschreiben könnten.« Aber unter der »gemeinsamen Haltung« dürfte sie eben etwas anderes verstehen als Die Linke.

Martha Kleedörfer versteht den Antrag dann auch und vor allem als »Appell an SPD und Grüne«, zumal es bei den Sozialdemokraten – unabhängig von Giffeys Gewissen – einen entsprechenden Parteitagsbeschluss vom vergangenen Sommer gibt, in dem die rasche Erarbeitung eines Gesetzentwurfs gefordert wird, sollte die vom Senat eingesetzte Expertenkommission zu dem Schluss kommen, dass die Vergesellschaftung der Wohnungsbestände möglich ist.

Die Spitzen der elf Berliner Bezirksverbände gehen dabei davon aus, dass der vermutlich im Frühjahr vorgelegte Abschlussbericht der Kommission den Weg hierfür frei macht. So heißt es in dem Antrag für den Parteitag: »Mit dem grünen Licht im Zwischenbericht der Vergesellschaftungskommission ist die Verfassungskonformität, die im Koalitionsvertrag 2021 noch in Frage gestellt wird, bereits geklärt.«

Den Linke-Landesvorstand wähnen die Antragsteller auf ihrer Seite. Auch wenn Linke-Landeschefin Katina Schubert im Interview mit »nd« erklärt hatte: »Ich bin kein Fan von ›roten Linien‹.« Damit mache man es SPD und Grünen zu einfach. »Die könnten die Gespräche mit uns ja sofort beenden, indem sie sagen: ›Wir machen kein Vergesellschaftungsgesetz und Feierabend.‹« Im Zuge der Sondierungen hatte Schubert jetzt zugleich ausdrücklich eine Umsetzungsperspektive für den Volksentscheid gefordert. Martha Kleedörfer sagt: »Da sind wir total bei Katina und stehen hinter ihr.«

Linke-Landesgeschäftsführer Sebastian Koch bricht angesichts der Platzierung des Antrags kurz vor Abschluss der Sondierungsphase zwar nicht in Stürme der Begeisterung aus. Nichtsdestotrotz, sagt Koch, verstehe er das Papier »als Unterstützung unserer Position in möglichen Koalitionsverhandlungen«. In einer Frage geht Koch auch mit Giffey mit: »Sollte es zu den Verhandlungen kommen, wird man sich mit SPD und Grünen auf einen gemeinsamen Weg einigen müssen.«

Am Montag hatten sich SPD, Grüne und Die Linke in der SPD-Parteizentrale in Wedding zu ihrem dritten Sondierungsgespräch getroffen. Am Donnerstag soll eine Entscheidung fallen, ob sich daraus Koalitionsverhandlungen ergeben.

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