Frontex drängt nach Westafrika

Grenztruppen aus Warschau sollen weitab der EU Einsätze durchführen

  • Fabian Lambeck, Brüssel
  • Lesedauer: 4 Min.

In Brüssel wird schon seit vielen Jahren an einem »neuen Europäischen Migrationspakt« gebastelt. Auch wenn derzeit kein Kompromiss in Sicht ist, herrscht unter den 27 EU-Mitgliedstaaten weitgehend Einigkeit über die Stoßrichtung, die der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell als einen »ausgewogenen Ansatz« bezeichnet.

Einerseits ist der alternde Kontinent auf den Zuzug von Arbeitsmigrant*innen angewiesen, will aber andererseits die irreguläre Migration bekämpfen. Es gilt das Motto: Ingenieur*innen und Pflegekräfte nehmen wir gerne, Kriegs- und Klimaflüchtlinge ohne verwertbare Fertigkeiten lieber nicht. Selbst Borrell musste jüngst einräumen, dass »viele unserer Partner im Süden befürchten, dass wir ihnen Ärzte, Krankenschwestern und andere qualifizierte Fachkräfte ausspannen«.

Während die EU also »Fachkräftepartnerschaften« mit Drittstaaten abschließt, ziehen die Mitgliedstaaten an der Peripherie neue Zäune und Mauern hoch. Weil aber viele Verzweifelte den Seeweg über das Mittelmeer oder den Atlantik nehmen, will man nun in den Herkunfts- und Transitstaaten in Westafrika selbst aktiv werden.

So gibt es bereits erste »operative Partnerschaften zur Bekämpfung der Schleuserkriminalität« mit Marokko und Niger, wie die Kommission im Sommer 2022 meldete. Allerdings nutzt gerade Marokko die Migration gern als Drohkulisse, vor allem gegen Spanien, das mit Ceuta und Melilla gleich zwei Exklaven an der Küste Marokkos unterhält. Immer wieder kommt es dort zu offenbar geplanten Durchbrüchen von jeweils hunderten Geflüchteten. Zuletzt starben im vergangenen Sommer nach offiziellen Angaben 23 Menschen beim Versuch, nach Melilla zu gelangen. Menschenrechtsgruppen gehen von viel höheren Opferzahlen aus. Fakt ist: Diese Partnerschaft ist keine echte Partnerschaft.

Eine weitere Idee aus Brüssel sind die sogenannten Statusabkommen, die man jetzt auch mit westafrikanischen Ländern abschließen will, damit Frontex-Beamt*innen vor Ort stationiert und eingesetzt werden können. Diese Abkommen garantieren europäischen Beamt*innen Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung durch lokale Behörden und das Recht zum Tragen von Waffen. Allerdings hat der Ansatz einen Schönheitsfehler: Bislang hat sich kein »afrikanischer Partner« für eine solche Frontex-Kooperation gefunden.

Etwas voreilig meldete EU-Innenkommissarin Ylva Johansson vor fast genau einem Jahr, man sei kurz davor, sich mit Senegal auf ein solches Abkommen zu verständigen. Seitdem ist – zumindest offiziell – nichts passiert, jedenfalls hat die Regierung in Dakar nichts dergleichen unterschrieben. Hinter den Kulissen wird jedoch immer noch verhandelt, auch mit dem benachbarten Mauretanien.

Das Ziel der mit Senegal und Mauretanien geplanten Statusabkommen ist es, die Atlantikroute stillzulegen. Denn von den Stränden der beiden Länder machen sich immer wieder Migrant*innen auf, um die vor der Küste gelegenen Kanarischen Inseln und damit die EU zu erreichen.

Wie es um die Verhandlungen steht, wollte die EU-Kommission auf Anfrage des »nd« nicht beantworten. Anders die Presseabteilung von Frontex, die auf die Frage, ob sich die Agentur mit Sitz in Warschau bereits auf den möglichen Auslandseinsatz vorbereite, ausweichend antwortete: »Sollte die EU in Zukunft derartige Abkommen mit afrikanischen Partnern abschließen, ist es Aufgabe von Frontex, dafür zu sorgen, dass sie unter voller Einhaltung der Grundrechte umgesetzt werden.« Inwiefern bereits entsprechende Vorbereitungen laufen, wollte die Sprecherin nicht preisgeben. Die Agentur sei aber seit 2020 »durch einen Verbindungsbeamten im Senegal präsent«.

Doch warum zögern Senegal und Mauretanien in der Kooperation zur Migrationskontrolle mit der EU? Beide Regierungen fordern dafür einen möglichst hohen Preis. Zudem gibt es große Bedenken gegen eine Präsenz von Frontex, wie die EU-Abgeordneten Cornelia Ernst (Die Linke) und Tineke Strik (Grüne) nun feststellen konnten. Die beiden Parlamentarierinnen sind vergangene Woche in den Senegal und nach Mauretanien gereist, um sich dort ein Bild von der Lage und den Verhandlungen zu machen. Schließlich müsste das EU-Parlament einem solchen Frontex-Statusabkommen zustimmen.

Im Gespräch mit dieser Zeitung zeigte sich Ernst überzeugt, »dass Frontex vor Ort gewachsene Strukturen, ja das gesellschaftliche Gleichgewicht zerstören würde«. Gerade im Senegal sei immer wieder die Frage nach dem Sinn des Abkommens aufgekommen. »Migration über Grenzen hinweg ist hier ganz normal«, so Ernst. Diese Grenzen seien von den Kolonialmächten willkürlich gezogen worden.

Hinzu komme, dass das Land auch Mitglied der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) sei, die sich ähnlich wie die Schengen-Staaten auf eine Personenfreizügigkeit verständigt habe. »Will Frontex diese Grenzen wieder dichtmachen?«, fragt Ernst. Die Politikerin glaubt nicht, dass Dakar das Statusabkommen in nächster Zeit unterzeichnen werde. »Hier sind demnächst Wahlen und da will man der Opposition kein Thema bieten«.

Ernst und ihre Kollegin Tineke Strik trafen sich mit Regierungsbeamt*innen und der Grenzpolizei, aber auch mit der Zivilgesellschaft. Selbst die Polizist*innen hätten »ihre Besorgnis ausgedrückt, weil Frontex in illegale Pushbacks von Geflüchteten involviert ist«, berichtet Strik. Vor diesem Hintergrund hätten die westafrikanischen Gesprächspartner*innen zudem gefragt, wie bei Frontex-Einsätzen die Einhaltung der Menschenrechte garantiert werden soll. Dass die Agentur wie etwa in Griechenland an systematischen Pushbacks beteiligt ist, hat sich auch im Senegal und Mauretanien herumgesprochen.

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