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Po-sowjetski?

»Z« legt offen: Statt Sowjetunion 2.0 Kapitalismus pur in Russland

  • Pia Sophie Roy
  • Lesedauer: 3 Min.

Warnstreiks legen den öffentlichen Verkehr in Deutschland lahm. Und das ist gut so, wenn auch unangenehm, gerade für sogenannte Arbeitnehmer und Angestellte, die auf die öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen sind – im Gegensatz zu den gnädigen »Arbeitgebern«, Unternehmern, Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern, die in Limousinen zu ihren noblen Bürohäusern vorfahren. Im Schatten des Ukraine-Krieges findet ein Raubzug und eine Umverteilung ungeheuren Ausmaßes statt. Um sich dessen gewiss zu sein, bedarf es keiner speziellen polit-ökonomischen Kenntnisse.

Es sei trotzdem oder gerade deshalb empfohlen, einen Blick in das neue Heft der »Z. Zeitschrift marxistische Erneuerung« zu wagen. Der aufmerksame und wissbegierige Zeitgenosse wie auch die interessierte Zeitgenossin werden sich in den fundierten Analysen gewiss festlesen.

»Die Inflation in Deutschland hat 2022 Werte erreicht, wie sie die Bundesrepublik noch nicht erlebt hatte«, konstatiert Ralf Krämer, einstiger nordrhein-westfälischer Gewerkschafter, von der SPD zur Linkspartei gewechselt, die er jedoch im vergangenen Jahr enttäuscht verließ. Er berichtet von Preissteigerungen jahresdurchschnittlich von 7,9 bis 10,4 Prozent. Ob, wie angekündigt, in diesem Jahr die Inflationsraten sinken werden, bleibt abzuwarten. Die Ursachen der Preissteigerungen werden vor allem in den höheren Kosten für importierte Energieträger, Nahrungsmittel und andere Rohstoffe im Gefolge von Pandemie und Krieg gesehen. Kaum gesprochen wird über die fatale Auswirkung der Sanktionen der USA und der EU gegen Russland, auch schon vor dem Krieg, die sich vielfach als Bumerang für die westliche Welt erweisen. Ebenso schweigt man darüber, dass »die EU-Länder den Weltmarkt für Flüssiggas leergekauft und insbesondere arme Länder in Süd- und Südostasien sowie Afrika in massive Versorgungskrisen gestürzt« haben.

»Kapitalismus im modernen Russland« ist das Schwerpunktthema des März-Heftes der »Z«. Lutz Brangsch, Ökonom und Referent bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS), erinnert an die Deindustrialisierung der 90er Jahre, die Russland »zu einem dankbaren, wenn auch aus politischen Gründen komplizierten Absatzmarkt« degradierten. Es erschien dem Westen kurzzeitig unwahrscheinlich, dass von Russland »eine Gefahr für die Weltwirtschaftsordnung« ausgehen könnte. Im schon seit längerem schwelenden Konflikt zwischen den westlichen Wirtschaftsmächten und China spielt Russland wieder (oder noch?) mit. Parallel zum Ukrainekrieg sieht Brangsch neue finanzkapitalistische Entwicklungswege eingeschlagen: »Die angestrebte Spaltung des Weltmarktes bedeutet auch eine Vertiefung der Spaltung der Lohnabhängigen.« Und auf die Russische Föderation bezogen: »Das durch den Neoliberalismus realisierte autoritäre Demokratiemodell wird in Russland, bereinigt um die Reste der durch gewerkschaftliche Handlungsmacht und aus der bürgerlich-humanistischen Tradition erwachsenden Momente menschlicher Emanzipation, durchgesetzt.«

Die Politökonomin Judith Dellheim, ebenfalls bei der RLS tätig, greift in ihrem Beitrag weiter in die Geschichte zurück. Die Besonderheiten der Industrialisierung im zaristischen Russland hätten auch die »sozialistische Industrialisierung« geprägt und wirkten heute noch. »Das betrifft insbesondere die Orientierung an militärischer Verteidigung beziehungsweise Eroberung und am politischen Willen, eine einflussreiche internationale beziehungsweise globale Macht zu sein. Damit verbunden ist die Schlüsselrolle von Akteuren, die Entscheidungen, Ressourcen und Prozesse zentralisieren.« Die sowjetische Gesellschafts-, Wirtschafts- und Industriepolitik habe nicht zu einer Gesellschaft der Freien und Gleichen geführt, »in der die Menschen solidarisch miteinander leben und verantwortungsvoll mit der Biosphäre umgehen«. Wirtschaftlicher Fortschritt, fixiert auf zentrale Großprojekte, ökonomische Expansion und steigende Stoff- und Energieumsätze, könne zwar »Naturbeherrschung anstreben, aber keine sozial und ökologisch nachhaltige Entwicklung einleiten«.

Auch wenn so manche Linken hierzulande, vor allem in Ostdeutschland, noch gern »po-sowjetski« (auf Sowjetisch) reden, die Sowjetunion 2.0 gibt es nicht. Russland ist ein stinknormaler kapitalistischer Staat, seiner Historie gemäß mit einigen Besonderheiten.

»Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung«, 224 S., br., 10 €, zu bestellen per Telefon 069 530 544 06 oder unter www.zme-net.de. Diskussion zum Thema »Kapitalismus in Russland«, 6. März, in der Hellen Panke, Kopenhagener Str. 9, 10437 Berlin, 19 Uhr

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