- Politik
- Drohende Abschiebung aus Chemnitz
Wiedereinreise von Pham Phi Son war zulässig
Vietnamesische Familie kämpft weiter um ihr Aufenthaltsrecht
Das Amtsgericht Chemnitz stellte am Montag ein Strafverfahren gegen den 65-jährigen Pham Phi Son wegen unerlaubter Einreise und unerlaubten Aufenthalts in Deutschland ein. Das Verfahren war anhängig, weil sich der ehemalige DDR-Vertragsarbeiter 2016 länger als sechs Monate in seinem Herkunftsland Vietnam aufgehalten hatte. Nach sechs Monaten kann das Aufenthaltsrecht aber erlöschen. Son hatte die Sechsmonatsfrist überschritten, weil eine alte Kriegsverletzung unter dem subtropischen Klima wieder aufgebrochen war und stationär behandelt werden musste. Nach einem Abschiebeversuch 2019 war die Familie zudem für mehr als zwei Jahre untergetaucht.
Das würdigte der Amtsrichter in der Gesamtschau aber als nicht strafbar und stellte damit das Verfahren gegen eine Geldbuße von 300 Euro ein. Son, den die Stadt Chemnitz und das Land Sachsen gemeinsam mit seiner 2016 nach Deutschland gekommenen Frau und seiner 2017 hier geborenen Tochter Emilia abschieben wollen, ist damit weiterhin straffrei. Pham Phi Son zeigte sich erleichtert. »Es ist bestens, dass ich für unschuldig erklärt wurde«, sagt er dem »nd«. Ein Aufenthaltsrecht hat er damit aber noch nicht.
Paula Moser vom Sächsischen Flüchtlingsrat e.V. erklärt: »Nachdem ein Strafgericht den Aufenthalt des Mannes in Deutschland als strafrechtlich nicht relevant sah, ergibt sich die Frage, ob der Entzug der Aufenthaltserlaubnis überhaupt gerechtfertigt war.«
Moser zufolge hatten die Familie und ihre Anwältin im Anschluss an den Gerichtstermin einen Termin bei der Ausländerbehörde Chemnitz wegen ihres Antrages auf ein Bleiberecht. »Ihnen wurde gesagt, dass Chemnitz die Duldungen der Familienmitglieder nur bis Mai verlängert. Bis dahin sollen alle drei Familienmitglieder Sprachnachweise bringen.« Von den Eltern, die derzeit in einem Gastronomiebetrieb arbeiten, werde zudem verlangt, dass ihre nur befristeten Arbeitsverträge bis dahin in unbefristete umgewandelt werden. Derzeit stehen sie nur in einem Probearbeitsverhältnis, weil ihnen die Ausländerbehörde erst letzten Herbst eine Arbeitserlaubnis zusprach. Ihr Chef hat sich aber öffentlich dahingehend geäußert, dass er mit den Arbeitsleistungen der beiden sehr zufrieden sei, auf dem Arbeitsmarkt seien so zuverlässige Arbeitskräfte nur schwer zu finden.
Ausländerbehörde nutzte ihren Spielraum nicht
Mit diesen Nachweisen, so Moser, soll die Familie nach dem Willen der Chemnitzer Ausländerbehörde ein drittes Mal versuchen, die Sächsische Härtefallkommission anzurufen. Die hatte allerdings 2019 und 2023 die Anträge auf ein humanitäres Bleiberecht bereits abgelehnt. Der Flüchtlingsrat kritisiert, dass die Ausländerbehörde nicht selbst das Aufenthaltsrecht erteilt hätte. Dazu hätte sie laut Flüchtlingsrat den Ermessensspielraum gehabt. »Sie spielen ein erbärmliches Pingpongspiel auf dem Rücken der Familie. Wer davon nicht betroffen ist, kann nicht ermessen, wie sehr das die Familie belastet. Ich erwarte jetzt aber, dass die Härtefallkommission ihrem Namen Rechnung trägt und diesen eindeutigen Härtefall endlich als solchen anerkennt und das unwürdige Spiel beendet«, so Moser.
Problem mit dem Nachweis von deutschen Sprachkenntnissen
Eine Problematik sind die schlechten deutschen Sprachkenntnisse beider Eltern. Der Mann hatte in der DDR und auch in den 1990er Jahren in Deutschland keine Möglichkeit zum Deutschlernen. Danach hatte er keine Motivation, denn für die Kommunikation in der Arbeit reichten seine im Alltag erworbenen Sprachkenntnisse aus. Ein Rechtsanspruch auf einen Deutschkurs besteht ohnehin erst seit 2015. Laut einem Gesetzesentwurf, der derzeit im Bundestag liegt, müssen Personen über 67 Jahre künftig aber selbst bei einer Einbürgerung keine deutschen Sprachkenntnisse mehr nachweisen. Damit soll ihre Lebensleistung gewürdigt werden. Bei Son, der 65 Jahre alt ist, geht es aber »nur« um ein humanitäres Bleiberecht. Die deutlich jüngere Frau, die derzeit neben der Arbeit einen Sprachkurs besucht, lebt erst seit 2016 in Deutschland und hat in dieser Zeit ihre Tochter geboren.
Fast 100 000 Menschen haben sich bis zum Dienstagnachmittag in einer Onlinepetition für ein Bleiberecht für die Chemnitzer Familie eingesetzt.
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