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Stickstoff wird zum Politikum
Am Mittwoch wählen die Niederländer den Provinzrat
Eine Gruppe Menschen steht zusammen, die Stimmung ist aufgeheizt. Aufgeregte Rufe, aggressive Töne, Stimmengewirr. In den Händen tragen die Menschen brennende Fackeln. Vor ihnen steht eine blonde Frau, die versucht, ins Gespräch zu kommen. Aber das Geschrei übertönt sie. Aus dem Off eine Stimme: »Scheiß auf die Hexe!«
Das ist keine Szene aus dem Mittelalter, sondern geschah Mitte Februar 2023 in der niederländischen Kleinstadt Diepenheim, in der Gemeinde Twente, Provinz Overijssel. Rund 20 erboste Stickstoffleugner*innen standen der linksliberalen D66-Parteiführerin und Finanzministerin Sigrid Kaag gegenüber. Die Politikerin war für eine politische Talkshow in den Osten des Landes gereist, um Werbung für ihre Partei zu machen. Denn Mitte März finden in den Niederlanden die Provinzwahlen statt. In ländlichen Gebieten wächst der Ärger über die neuen Pläne der Regierung, Stickstoffemissionen zu reduzieren. Eine Bäuer*innenpartei ist klarer Favorit und könnte die Politik für die nächsten Jahre maßgeblich mitbestimmen.
Provinzparlamente
Die Niederlande haben zwölf Provinzen, jede mit einem eigenen Parlament, das im Turnus von vier Jahren gewählt wird. Zusammen bildet sich daraus der Provinciale Staten, der Provinzrat, mit Vertreter*innen aus den Provinzen. Die Anzahl der Mitglieder hängt von der Einwohnerzahl ab: Als Provinz mit den wenigsten Einwohner*innen hat Zeeland 39 Abgeordnete im Provinzrat, Noord-Holland und Zuid-Holland haben jeweils 55 Sitze.
Eine der wichtigsten Aufgaben dieses Provinzrats ist die Wahl der Ersten Kammer des niederländischen Parlaments. Diese kann bereits genehmigte Gesetzentwürfe aus der Zweiten Kammer ablehnen. Diese Wahlen finden am 30. Mai 2023 statt.
In den Provinzwahlen 2019 erhielt die rechtspopulistische Partei Forum voor Democratie (FvD) von Thierry Baudet mit 16 Prozent landesweit die meisten Stimmen, gefolgt von Mark Ruttes Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (VVD). Die Wahlbeteiligung lag bei knapp 56 Prozent.
Gerade in den landwirtschaftlich geprägten Regionen ist die Stimmung schlecht. Seit der Bekanntgabe der neuen Umweltauflagen zur Reduzierung des Schadstoffausstoßes, der viele Bäuerinnen und Bauern zur erheblichen Verkleinerung ihrer Viehbestände zwingen könnte, werden immer mehr Stimmen gegen die aktuelle Regierung laut. Auch im Wahlkampf für die Provinzwahlen stand das Thema Stickstoff ganz oben, denn es sind die Provinzen, die die Stickstoffpläne der Regierung vor Ort ausführen müssen.
Bauer-Bürger-Bewegung als Favorit
Kein Wunder also, dass Prognosen zufolge die BoerBurgerBeweging (BBB) als Siegerin aus den Provinzwahlen hervorgehen soll. Die Mitte-Rechts eingeordnete Partei besteht seit 2019 und hat aktuell einen Sitz in der Zweiten Kammer. BBB präsentiert sich als die Partei des ländlichen Raumes und als Vorreiterin im Widerstand gegen die Stickstoffpläne. Nach Schätzungen von I&O Research für die Tageszeitung »Algemeen Dagblad« kommen die Arbeiter*innenpartei PvdA und Groenlinks zusammen auf 14, BBB auf 13 und VVD auf zehn Sitze.
Aber das müsse noch nicht viel heißen, sagt Kees Aarts, Politikprofessor an der Rijksuniversiteit Groningen, dem Radiosender RTV Drenthe. »BBB übernimmt dann trotzdem nicht allein das Ruder. Sie ist auf andere Parteien angewiesen, um eine Koalition zu bilden.« Außerdem könnten die Provinzen nicht unabhängig handeln. Der Einfluss nationaler und europäischer Politik bestehe nach wie vor, etwa im Hinblick auf Stickstoff und Asylpolitik. »Die Zentralregierung hat da viel zu sagen. Die Provinzen können protestieren, aber unterm Strich brauchen sich Provinzen, Kommunen und der Staat gegenseitig.«
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