- Politik
- Netanjahu in Berlin
Der Freund mit dem Raketenschutzschild
Vor dem Besuch von Benjamin Netanjahu in Berlin kommen Gespräche über das System »Arrow 3« voran
Nicht einmal die israelischen Rechten und konservativen Kräfte im Land stehen noch uneingeschränkt hinter der Regierung von Benjamin Netanjahu. Vor der Abreise des Ministerpräsidenten nach Deutschland protestierten am Mittwoch auch Veteranen der Eliteeinheit Sajeret Matkal am internationalen Flughafen bei Tel Aviv. Netanjahu hatte selbst in dieser Einheit gedient, ebenso sein älterer Bruder Jonatan, der 1976 bei einem Einsatz auf dem Flughafen Entebbe in Uganda getötet worden war. Damals waren unter seinem Kommando israelische Passagiere eines entführten Air-France-Flugzeugs gerettet und alle sieben anwesenden Geiselnehmer getötet worden.
Nun meinten die israelischen Veteranen, dass Netanjahu befreit werden müsse: Sie sehen ihn als Geisel seiner rechtsradikalen Koalitionspartner. Dass sich der Ministerpräsident in der Gesellschaft dieser Politiker nicht unwohl fühlt, wurde bei der Aktion ignoriert. Die Proteste richten sich vor allem gegen die Justizreform, die der israelischen Regierung die Möglichkeit geben soll, mehr Einfluss bei der Ernennung von Richtern zu nehmen. Es ist zu befürchten, dass sie dann unliebsame Richter ersetzen wird. Die Demonstrationen dagegen hatten am Wochenende in Israel ihren bisherigen Höhepunkt erreicht.
Gegner seiner Politik wollten Netanjahu am Mittwoch mit Straßenblockaden an der Abreise aus Israel hindern. Rund 1000 israelische Künstler, Schriftsteller und Akademiker hatten in einem Schreiben an die Botschafter Deutschlands und Großbritanniens die Absage der anstehenden Besuche von Netanjahu in ihren Ländern gefordert. Israel befinde sich in der schwersten Krise seiner Geschichte und »auf dem Weg von einer lebendigen Demokratie zu einer theokratischen Diktatur«, zitierte die israelische Zeitung »Haaretz« aus dem Schreiben. Unterzeichnet haben auch der Schriftsteller David Grossman und die Bildhauerin Sigalit Landau.
Trotzdem will Bundeskanzler Olaf Scholz seinen israelischen Amtskollegen am Donnerstag zum Mittagessen empfangen. Auch ein Treffen mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier steht auf dem Programm. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der SPD-Politiker und das deutsche Staatsoberhaupt ein paar kritische Worte zur politischen Situation in Israel sagen werden. Bereits Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hatte Ende Februar beim Besuch ihres neuen israelischen Kollegen Eli Cohen erklärt, wie wichtig die Unabhängigkeit der Justiz sei.
Praktische Folgen haben solche Äußerungen freilich nicht. Sie sollen vielmehr einige Medien und Teile der Zivilgesellschaft zufriedenstellen. Deutschland und Israel sind weiterhin enge Verbündete. Das betrifft unter anderem den militärischen Bereich. Die »Jerusalem Post« berichtete am Dienstagabend, dass die deutschen Pläne, das israelische Luftabwehrsystem »Arrow 3« zu kaufen, nun konkret werden. Das deutsche Verteidigungsministerium wolle bald eine entsprechende Absichtserklärung unterzeichnen. Dann könnten Details des Deals ausgehandelt werden. Auch im Bundestag soll noch über das Thema diskutiert werden.
Israel hat die Luftabwehrwaffen gemeinsam mit den USA entwickelt. Sie können über die Erdatmosphäre hinausfliegen, wo sich ihre Sprengköpfe abtrennen. Diese verfolgen dann ihre feindlichen Ziele und schießen sie in der Luft ab. Anfang des Jahres war bekannt geworden, dass auch die Vereinigten Staaten die notwendige Exportgenehmigung erteilt haben. Scholz hatte angekündigt, dass sich auch die nord- und osteuropäischen Partner der Bundesrepublik an der künftigen Luftverteidigung beteiligen können. Die Modernisierung in diesem Bereich ist aus seiner Sicht wichtig, weil sich die Bedrohungslage nach dem russischen Angriff auf die Ukraine verändert habe.
Trotz des Rüstungsdeals wird sich Nentanjahu nicht vollständig in die Front gegen Russland einreihen. Das liegt nicht nur an der großen russischstämmigen Bevölkerungsgruppe in Israel. Netanjahus Beziehungen zu Präsident Wladimir Putin sind ambivalent. Der israelische Regierungschef hatte den Handel mit Russland ausgebaut und kann vereinzelt Luftschläge in Syrien befehlen, die vor allem iranische Milizen treffen sollen, ohne Konsequenzen aus Moskau oder von Putins Verbündetem, dem syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad, fürchten zu müssen. Im Gegenzug hat sich Israel bisher gegen Waffenlieferungen an die Ukraine gesperrt. Die Meinung von Scholz, der auch der Lieferung von Kampfpanzern an Kiew zugestimmt hat, dürfte für Netanjahu nicht ausschlaggebend sein.
Möglich ist, dass vielmehr der israelische Ministerpräsident den Krieg in der Ukraine nutzen wird, um den Bundeskanzler unter Druck zu setzen. Denn es kursieren Berichte, dass der Hauptfeind der israelischen Regierung, der Iran, Drohnen an Russland liefert, die im Krieg eingesetzt werden. Israel betont immer wieder, wie gefährlich Teheran sei und fordert schärfere Sanktionen. Die Bundesregierung will hingegen auch auf Diplomatie setzen und das Atomabkommen mit dem Iran wiederbeleben.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.