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Class-Pay-Gap: Gleicher Job, ungleicher Lohn
Olivier David prangert ungleiche Bezahlung im Beruf an
Haben Sie schon einmal vom Class-Pay-Gap gehört? Nein? Kein Wunder, denn im deutschen Diskurs ist der Ausdruck kaum verbreitet. Der Gender-Pay-Gap, der das Lohngefälle zwischen Männern und Frauen beschreibt, hingegen ist vielen Menschen ein Begriff. Mit dem Equal-Pay-Day am 6. März hat die ungleiche Bezahlung zwischen den Geschlechtern sogar einen eigenen Aktionstag. Eine institutionalisierte Empörung, die hoffentlich dazu beiträgt, das Lohngefälle zwischen den Geschlechtern weiter anzugleichen. Im Jahr 2022 haben Frauen für dieselbe Arbeit immer noch 18 Prozent weniger Geld verdient als Männer.
Einen Class-Pay-Gap, also ein Parameter, der das Lohngefälle zwischen der Unter- und der Mittelklasse beschreibt, ergibt natürlich nur eingeschränkt Sinn, weil sich die Klassen allein durch die ungleiche Verteilung von Bildungszertifikaten nur schlecht vergleichen lassen. Oftmals kämpfen Menschen aus der Unterklasse gar nicht um die gleichen Jobs wie Beschäftigte aus der Mittelklasse, weil ihr Schul-, Ausbildungs- oder Universitätsabschluss sie für bestimmte Jobs gar nicht qualifiziert.
Wie Zahlen aus Großbritannien zeigen, ist der Class-Pay-Gap dennoch ein reales Phänomen: So verdienten Menschen aus der Arbeiterklasse laut einer Studie durchschnittlich 13 Prozent weniger pro Jahr für dieselbe Arbeit wie ihre Arbeitskolleg*innen aus der Mittelklasse. Auf 7680 Euro beziffert sich die Differenz. Bei Geschäftsführer*innen, Finanzmanager*innen, Unternehmensberater*innen und Anwälten schlägt der Class-Pay-Gap sogar noch mehr ins Gewicht. Hier liegt er bei 9146 Euro.
Größer wird das Gefälle noch, wenn sich der Marker »Arbeiterklasse« mit geschlechtlichen oder ethnischen Markern kreuzt. Frauen aus der Arbeiterklasse erhielten 10.804 Euro weniger als ihre Kolleg*innen aus der Mittelklasse. Hatten die Arbeiter*innen einen Migrationshintergrund aus Bangladesch oder einen »schwarz-karibischen Hintergrund«, so war der Unterschied sogar noch höher: 11.927 Euro bzw. 10.027 Euro, je nach Geschlecht. Das könnte man die intersektionale Dimension ungerechter Bezahlung nennen.
Unternehmer*innen nutzen ihre Machtposition und die Not der Menschen aus und drücken die Preise. Das ist natürlich eine riesige Sauerei – und doch wenig verwunderlich in Gesellschaften mit freien Märkten, in denen das Recht des Stärkeren mehr gilt als der Schutz jener Menschen, die nicht über derartige Ressourcen und Produktionsmittel verfügen.
Einen weiteren Aspekt habe ich neulich am eigenen Leib erfahren. Ich wurde für eine Podiumsdiskussion angefragt, und bei der Frage nach dem Honorar ging das innere Taktieren los. Wenn ich zu viel fordern würde, so mein Gedanke, könnten sich die Veranstalter womöglich für einen anderen Gast entscheiden. Ich nannte also eine Zahl, mit der ich selbst noch leben konnte, die aber unter der lag, die mir zuerst in den Sinn kam.
Die Antwort kam prompt – und ganz anders als erwartet. Sinngemäß lautete sie so: »Lieber Herr David, damit sie auf der Podiumsdiskussion alle dasselbe Honorar verdienen, erlaube ich mir, ihnen 38 Prozent mehr zu zahlen.« Ich hatte Glück und bin auf Veranstalter getroffen, die meine defensive Kalkulation nicht zu ihren Gunsten ausnutzten. Darauf können viele Beschäftigte in ihrer Lebensrealität nicht hoffen. Weitere Aspekte der Selbstbeschränkung können sein: fehlendes Wissen darüber, wie viel Geld einem wofür zusteht, der verinnerlichte Glaube, dass die eigene Arbeit nicht mehr wert ist – so wie in meinem Beispiel – und die fehlende Selbstwirksamkeitserfahrung, also das Verständnis dafür, dass es sich auszahlen wird, sich für einen besseren Lohn einzusetzen.
Hoffnung macht der Blick auf den Kampf gegen den Gender-Pay-Gap – wieder in Großbritannien. Seit 2017 sind größere Unternehmen verpflichtet, geschlechterspezifische Lohngefälle offenzulegen. Ohne das exakte Wissen um dieses Gehaltsgefälle kann kein Kampf für bessere Löhne geführt werden. Und ohne soziale Kämpfe gibt es wenig Hoffnung auf eine Veränderung zum Guten.
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