Nakba-Tag: Gruppenfoto oder Demonstration

Linke-Politikerin Christine Buchholz wehrt sich vor Gericht gegen Bußgeld anlässlich des Nakba-Tages

  • Tom Wills
  • Lesedauer: 4 Min.
Linke-Politikerin Christine Buchholz und Unterstützer*innen vor dem Amtsgericht Tiergarten.
Linke-Politikerin Christine Buchholz und Unterstützer*innen vor dem Amtsgericht Tiergarten.

In Berlin laufen aktuell zahlreiche Verfahren gegen Personen, die beschuldigt werden, an verbotenen propalästinensichen Demonstrationen teilgenommen zu haben. An diesem Mittwoch steht deshalb die Linke-Politikerin und ehemalige Bundestagsabgeordnete Christine Buchholz vor dem Amtsgericht Tiergarten. Ihr wird vorgeworfen, am 15. Mai 2022 an einer Demonstration auf dem Hermannplatz in Neukölln teilgenommen zu haben. An diesem Tag gedenken die Palästinenser der sogenannten Nakba – arabisch für Katastrophe –, also der Gründung des Staates Israel, in deren Verlauf über 700 000 Palästinenser aus ihrer Heimat vertrieben wurden.

Im vergangenen Jahr verbot die Berliner Polizei alle propalästinensischen Demonstrationen am und um den Nakba-Tag sowie am 1. Mai mit der Begründung, es bestehe die unmittelbare Gefahr von Straftaten. Obwohl es an diesem Tag keine nennenswerten Proteste in Berlin gab, wurden nach Angaben der Polizei 127 Personen wegen Verstoßes gegen das Verbot festgesetzt und ihre Personalien aufgenommen. Viele erhielten später Bußgeldbescheide – so auch Christine Buchholz.

Dagegen wehrt sie sich. Die Linke-Politikerin sagt vor Gericht, dass sie von dem Demonstrationsverbot gewusst habe. »Ich fand das eine nicht hinnehmbare Einschränkung der Meinungsfreiheit«, so Buchholz. Sie sei mit dem Fahrrad in Kreuzberg und Neukölln unterwegs gewesen, um zu beobachten, ob in diesem Zusammenhang etwas passiere. In ihrem früheren Job als Bundestagsabgeordnete habe sie viele Proteste beobachtet, sagt sie.

Auf dem Hermannplatz habe Buchholz eine Gruppe von etwa 20 oder 30 Personen gesehen, die palästinensische Symbole trugen und ein Foto machten – die Politikerin bezeichnete das später auf Twitter als einen »Flashmob«. Nach einigen Minuten habe sich die Gruppe aufgelöst. Kurz danach sei Buchholz zusammen mit etwa 25 Personen, darunter auch Passant*innen, von Polizist*innen eingekesselt und festgesetzt worden. Auch sie selbst habe ein Foto auf dem Hermannplatz gemacht, so Buchholz. Das sei allerdings nicht als eine Versammlung zu betrachten, die als Ersatzveranstaltung für die verbotenen Proteste angesehen werden könnte. »Ich versuche herauszufiltern, wo die Grenze liegt«, meinte dazu die Richterin. Sie vertagte letztlich die Verhandlung, um einen Polizeizeugen zu laden.

Die Linke-Politikerin Christine Buchholz ist die siebte Person, die in den letzten Wochen vor dem Amtsgericht Tiergarten erschienen ist, um gegen Bußgeldbescheide in Höhe von jeweils circa 300 Euro vorzugehen. Zwei dieser Verfahren wurden bereits von den Richter*innen eingestellt, vier weitere wurden vertagt, um Polizeizeug*innen zu hören. In allen Fällen erklärten die Angeklagten, sie seien nur am Hermannplatz vorbeigekommen und hätten sich nicht an einem verbotenen Protest beteiligt.

In der vergangenen Woche ließen Aussagen eines Polizeizeugens Zweifel daran aufkommen, ob es überhaupt einen Verstoß gegen das Demonstrationverbot auf dem Hermannplatz gegeben hat – der befragte Polizist zumindest behauptete, keine Demonstration gesehen zu haben. Er habe den Befehl befolgt, mit seinen Kolleg*innen eine Gruppe von Menschen auf dem Platz festzuhalten, die sie unter anderem anhand traditioneller palästinensischer Kuffiyeh-Tücher von Passant*innen unterschieden hätten.

In einem Teil der Polizeianzeige wird außerdem behauptet, die Angeklagten hätten sich einer Aufforderung zum Verlassen des Platzes widersetzt. Der Polizeizeuge hingegen sagte aus, er habe weder eine Lautsprecherdurchsage gehört noch gesehen, dass Kolleg*innen die Leute aufgefordert hätten, den Platz zu verlassen.

Human Rights Watch hat die Berliner Protestverbote bereits als »unzulässige Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit« bezeichnet. In einer Erklärung der Menschenrechtsorganisation heißt es: »Ein präventives Verbot des Gedenkens an ein Ereignis ist eine extreme Einschränkung, die faktisch eine kollektive Bestrafung derjenigen ist, die sich friedlich versammeln wollen, und die auf Spekulationen über potentielle rechtswidrige Handlungen einer Minderheit beruht.«

Die Kampagne #Nakba75 hatte zum Protest »gegen die Einschränkung demokratischer Grundrechte und Kriminalisierung von Gedenken« vor dem Amtsgericht aufgerufen. »Der Generalverdacht gegen alle, die irgendwie auf dem Hermannplatz waren, verdeutlicht sich hier noch mal ganz intensiv. Wir werden weiterhin vor jedem Gerichtsprozess hier sein und protestieren«, so eine Sprecherin der Kampagne zu »nd«.

Noch steht infrage, ob Berlin versuchen wird, Proteste am diesjährigen Nakba-Tag zu untersagen, der 75 Jahre nach der Gründung des Staates Israel begangen wird. Aktivist*innen haben angekündigt, dass sie am Samstag, den 20. Mai, einen »national mobilisierten« Protest in Berlin organisieren wollen. Die Prozesse zum Verbot pro-palästinensischer Demonstrationen im vergangenen Jahr gehen derweil weiter.

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