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DFB-Elf in der Bringschuld
Nach der verkorksten WM will Bundestrainer Hansi Flick mit einigen neuen Nationalspielern wieder überzeugende Länderspiele abliefern
Es muss ja kein schlechtes Omen sein, wenn es am Tag zuvor Bindfäden regnet. Die Frankfurter Skyline, die sonst von den Rasenplätzen auf dem DFB-Campus einen schönen Hintergrund bildet, war am Freitag nicht mal mehr in Umrissen zu erkennen, so sehr hatte sich der Himmel über dem Stadtwald verdunkelt. Es schüttete wie aus Kübeln, als Hansi Flick die deutschen Nationalspieler zum letzten Training vor dem ersten Test gegen Peru bat. Die Mainzer Arena ist ausverkauft, was eine gewisse Erwartungshaltung unterstreicht: Mit Blick auf die Heim-EM 2024 ist das Publikum offenbar bereit, die drei verkorksten Turniere – WM 2018, EM 2021 und WM 2022 – abzuhaken und mit einer gewissen Vorfreude nach vorne zu blicken.
»Wir sind ein bisschen in der Bringschuld«, sagt Flick – und selbstverständlich gilt das auch für ihn, der in Katar so orientierungslos wirkte, als habe er seinen Kompass als Fußballlehrer im Wüstensand verloren. Er wechselte Personal und System ohne erkennbaren Sinn; er gestattete lange Leine, wo es angebracht wäre, die Zügel anzuziehen. Selbst seine Ansprachen verfingen nicht mehr. Störende Debatten um die nun endgültig eingemottete One-Love-Binde hin oder her: Diese Mannschaft hätte das Auftaktspiel gegen Japan (1:2) nie so herschenken dürfen. Der Anfang vom Ende der völlig missglückten WM.
»Jedes Turnier ist ein Abschnitt«, beteuert der Bundestrainer inzwischen, der die Berufung von sechs Neulingen für den Test-Doppelpack – Dienstag folgt gegen Belgien noch eine zweite Begegnung – vehement verteidigt. Er hätte die Berichte nicht lesen wollen, erklärte der 58-Jährige kürzlich, wenn er nichts geändert hätte. Also sind mal einige WM-Fahrer außen vor, die sicher im Juni zu den nächsten Länderspielen gegen die Ukraine, Polen und Uruguay wieder zurückkommen. Dafür besitzen Antonio Rüdiger, Niklas Süle oder Leroy Sané schlicht zu viel Qualität. Aber dem einen oder anderen mal eine Denkpause zu geben, kann nicht schaden.
Gleichwohl muss sich auch der Bundestrainer straffen. Flick muss authentisch bleiben, gleichzeitig die Spieler mitreißen – sonst bröckelt der in seinen überaus erfolgreichen 19 Monaten beim FC Bayern erworbene Nimbus. Für Siege gibt es im Vorlauf zu dem avisierten Sommermärchen 2.0 keine Alternative, denn öffentliche Regenerationseinheiten wie am Montag im Stadion am Brentanobad sind ja schön und gut, aber überzeugende Länderspiele braucht es noch dringender. Und so fordert Flick: »Wir erwarten, dass jeder mit Leidenschaft und Überzeugung auf dem Platz steht. Wenn das zu spüren ist, geht es auch auf die Fans über.« Der Funke muss vom Rasen auf die Ränge überspringen. Die Frage ist, was Flick dafür ändert. Der in Bammental beheimatete Familienvater hat nach der WM seine Handynummer gewechselt, will nicht mehr für jeden erreichbar sein.
Gleichwohl bleibt er im innersten Zirkel für Ratschläge empfänglich. Erst recht für den neuen Sportdirektor Rudi Völler. Der 62-Jährige war die treibende Kraft dahinter, wieder zur schwarz-rot-goldenen Binde zurückzukehren. Den Fokus auf den Sport zu richten, war auch ein ausdrücklicher Wunsch von Flick. »Vor unserem ersten WM-Spiel wurde fast nur noch über die Binde geredet. Das war einfach zu viel.« Er hatte damals eigentlich mit dem Abflug in den Oman das Thema beenden wollen, aber die Tage danach in Katar schaukelte sich die Causa weiter hoch. Weder DFB-Präsident Bernd Neuendorf noch Innenministerin Nancy Faeser (SPD) gaben im Machtkampf mit der Fifa eine gute Figur ab. So viel Druck, das ist Flicks Lehre, dürfe es abseits des Platzes nie wieder geben. Völler sieht das genauso. Liebesbotschaften sind erst mal zweitrangig. Mindestens ein-, zweimal die Woche haben die beiden gesprochen, sich getroffen – und ausgelotet, wo der Hebel angesetzt werden kann, um den Vertrauensverlust zu bekämpfen. Völler hat es als eine weitere wichtige Aufgabe angesehen, die schleichende Entfremdung mit der U/21 aufzuheben. Der Volkstribun ist selbst Anfang der 80er Jahre Vizeeuropameister unter Berti Vogts mit dieser Nachwuchself und später dann 1990 Weltmeister geworden. Warum soll das nicht wieder klappen?
Also sind fünf Talente aufgerückt, obwohl sie wie bei Josha Vagnoman (VfB Stuttgart), Felix Nmecha (VfL Wolfsburg) oder Kevin Schade (FC Brentford) in ihren Vereinen keine Stammspieler sind. Es geht um die Außenwirkung: Die Türen von Flick sind für jeden offen. Mitunter kann es, Achtung Plattitüde aus dem Baukasten von »Tante Käthe«, im Fußball ja für jeden Einzelnen ganz schnell gehen.
Flick hatte bei der WM mit dem Festhalten an Thomas Müller zum einen das Leistungsprinzip außer Kraft gesetzt, zum anderen auf anderen Positionen zu wild gewechselt; in drei Gruppenspielen kamen mit Süle, Thilo Kehrer, Lukas Klostermann und Joshua Kimmich vier verschiedene Rechtsverteidiger zum Einsatz. Das Ergebnis ist hinlänglich bekannt. Nun wird auf der Problemstelle ein Mentalitätsspieler wie Marius Wolf vom Tabellenführer Borussia Dortmund ausprobiert.
Im Tor hat sich Flick auf Marc-André ter Stegen festgelegt, dessen Nummer-eins-Status aufgrund seiner Konstanz beim FC Barcelona eigentlich überfällig ist. Und Abwehrchef spielt endlich Matthias Ginter, der beim SC Freiburg nicht umsonst ein Lieblingsspieler von Christian Streich ist. Ganz vorne hofft Flick darauf, dass Florian Wirtz und Kai Havertz ihr bei Bayer Leverkusen gefördertes Talent für die DFB-Auswahl einbringen. Wäre der Bayern-Star Jamal Musiala nicht ausgefallen, dann hätte eine Troika aus Hoffnungsträgern mit künstlerischer Gabe sehr wahrscheinlich gemeinsam auf dem Platz gestanden. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Ein bisschen Zeit zur EM 2024 ist ja noch: Am Samstag sind es noch 447 Tage bis zum EM-Eröffnungsspiel in München.
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