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Bierpatriotismus statt Revolution
Im März und Februar des Jahres 1848 kam es in ganz Europa zu revolutionären Umwälzungen, in denen sich das Bürgertum durchsetzte
In diesen Tagen könnte die bundesdeutsche Gesellschaft den 175. Jahrestag der Revolution von 1848 begehen. Indes kommt dieses Jubiläum in der Populärkultur kaum zur Sprache. Schämt sich das Bürgertum etwa für das epische Versagen der eigenen Klasse in und nach der Revolution? Grund genug dafür gäbe es jedenfalls, sollte doch der Sieg der fürstlichen Konterrevolution über den demokratisch-republikanischen Aufbruch die Macht der traditionellen Oberklassen konservieren und Deutschland für ein ganzes Jahrhundert prägen. Wie konnte es dazu kommen?
Der Auftritt der Volksmassen
Es ist eine Ironie der Geschichte, dass der Ursprung der deutschen Revolution von 1848 im Ausland lag. Die Französische Revolution war die Morgendämmerung der Volksherrschaft, die dem Ancien Régime am Ausgang des 18. Jahrhunderts ein Ende setzte. Im Krebsgang der Revolution exportierte dann Napoleon Bonaparte, als er fast ganz Europa unterwarf, manche ihrer Ideen in den Tornistern seiner Soldaten. Unter der vereinten Macht seiner Armee und des Code Civil brachen die alten Mächte zusammen. Sogar Preußen sah sich nach seiner vernichtenden Niederlage bei Jena und Auerstedt genötigt, den eigenen Staatsapparat zu modernisieren.
In den sogenannten Befreiungskriegen, in denen sich die von Frankreich besetzten Länder gegen die napoleonische Herrschaft auflehnten, appellierten die deutschen Monarchen dann ganz gezielt an ein »nationales Bewusstsein« und nährten damit die Hoffnung auf eine andere Form der Herrschaft. Nach der Völkerschlacht bei Leipzig wurde dieser Nationalismus allerdings fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel. Die Mobilisierung der Volksmassen schien den Majestäten dann doch zu gefährlich.
Von der Restauration zur Revolution
Auf dem Wiener Kongress wurden stattdessen die alten Herrscher wiedereingesetzt. Die »Heilige Allianz« der »drei Schwarzen Adler« – Russland, Österreich und Preußen – wollte die Französische Revolution am liebsten ungeschehen machen. Mit den Karlsbader Beschlüssen erklärten die drei Mächte, die im 18. Jahrhundert bereits Polen unter sich aufgeteilt hatten, 1819 Liberalismus und Demokratie den Krieg. Sie konnten zwar einstweilen die demokratische und zunehmend republikanische Bewegung zurückdrängen. Durch das Heraufziehen einer neuen Wirtschaftsordnung, des Kapitalismus, sahen sie sich dennoch veranlasst, bestimmte Modernisierungen von oben durchzusetzen – in Deutschland etwa die Gründung des Deutschen Zollvereins. Damit aber veränderten sie die überkommene Verfasstheit Deutschlands und ermutigten, gegen ihren Willen, die oppositionelle Bewegung.
Überdies entstand im »Vormärz« eine Art republikanischer Transnationalismus: Man verstand den eigenen Kampf für Demokratie und Republik als Teil einer internationalen Bewegung gegen die Mächte des alten Europa. Auch in Deutschland wurden 1830 die Julirevolution in Frankreich und der Novemberaufstand in Polen enthusiastisch begrüßt, auf dem Hambacher Fest wehten 1832 gar polnische Fahnen. Dieser universalistischen Ausrichtung stand allerdings eine eher partikularistische Interpretation der »deutschen Nation« entgegen, die nicht zuletzt in der Romantik zum Ausdruck kam, der es oftmals – in Abgrenzung zur französischen Tradition – um ein vermeintliches »deutsches Wesen« ging.
Mit dem Schlesischen Weberaufstand betraten dann 1844 schlagartig die arbeitenden Klassen die Bühne der Geschichte. Die fortschrittlichen Kräfte, darunter auch der im Pariser Exil lebende Karl Marx, waren wie elektrisiert von diesem Ereignis. Die gewaltsame Niederschlagung des Aufstands bestätigte indessen, dass die Herrschenden weiterhin jedwede Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse blockierten.
Die Revolution 1848
Weil die herrschenden Mächte keine Veränderung der reaktionären Staatlichkeit zulassen wollten, kam es, ausgehend von Paris, im Februar und März 1848 zu einer Welle von Revolutionen in Europa. In Berlin gipfelten die Auseinandersetzungen am 18. und 19. März in Barrikadenkämpfen, die hunderte Todesopfer forderten. König Friedrich Wilhelm IV. sah sich gezwungen, das Militär aus der Stadt abzuziehen und, wie auch andere deutsche Monarchen, politische Zugeständnisse zu machen. Schon bald wurde mit der Nationalversammlung ein Parlament gewählt, das sich am 18. Mai in der Frankfurter Paulskirche konstituierte.
Den Sieg der Revolution auf Dauer zu stellen, hätte entschlossenes Handeln erfordert. Denn die Konterrevolution der alten Herrscher würde nicht lange auf sich warten lassen. Die Nationalversammlung agierte jedoch ausgesprochen zögerlich, ihre Debatten waren dementsprechend zäh und langwierig. Bald ergoß sich Hohn und Spott über das »Professorenparlament«.
Die Unentschlossenheit des Parlaments lag auch daran, dass die Fraktionen, die sich dort bildeten, unterschiedliche Vorstellungen über den weiteren Verlauf der Revolution besaßen – die monarchistische Rechte wollte sie schnellstmöglich beenden, das Zentrum strebte eine konstitutionelle Monarchie an. Nur die demokratische Linke plädierte für die Errichtung einer parlamentarisch-demokratischen Republik, sie aber war in der Minderheit. Die sich gerade erst formierende Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung setzte, wie der Bund der Kommunisten, auf ein Bündnis mit den Demokraten. Sie war jedoch, trotz nationaler Organisierungsanstrengungen, noch zu schwach, um Einfluss auf das Revolutionsgeschehen nehmen zu können.
Zum Wendepunkt der europäischen Revolutionen wurde die Niederschlagung des Pariser Arbeiteraufstands im Juni 1848 – gerade einmal drei Monate nach Ausbruch der Revolution in Berlin begann damit die Stimmung im Bürgertum zu kippen. Die besitzenden Klassen mochten die Reaktion der Krone fürchten; was sie offenbar noch weit mehr fürchteten, war die Gefährdung ihres Eigentums, die sie mit den Arbeitermassen auf den Straßen von Paris heraufziehen sahen.
Ein Jahr nach Beginn der Revolution beschloss das Parlament in der Paulskirche schließlich am 27. März 1849 eine Reichsverfassung, die einen föderalen deutschen Einheitsstaat mit einer konstitutionellen Monarchie begründen sollte – allerdings ohne Österreich, entsprechend als sogenannte kleindeutsche Lösung mit Preußen als Hegemonialmacht. Als dann einen Monat später der preußische König die ihm angetragene Kaiserkrone ablehnte, stand das Parlament vor dem Aus; es löste sich Ende Mai selbst auf. Wenig später wurde auch das »Rumpfparlament« in Stuttgart auseinandergetrieben.
Tausende Revolutionäre ergriffen die Flucht. Die meisten »Achtundvierziger« gingen in die Vereinigten Staaten, wo viele von ihnen sich später in der Republikanischen Partei gegen die Sklaverei engagierten. Für die demokratische Bewegung in Deutschland aber waren diese »Forty-Eighters« ebenso verloren wie jene ihrer Mitstreiter, die sich nach der Niederlage der Revolution immer enger an die bestehenden Mächte schmiegten.
Proletarische und bürgerliche Demokratie
Das Scheitern der Revolution bedeutete auch das Ende der revolutionären Ambitionen des deutschen Bürgertums. Es sollte sich von dieser Niederlage nicht mehr erholen. Damit aber war das Bürgertum, sofern es den eigenen materiellen Aufstieg und Reichtum, der durch die beginnende Industrialisierung geradezu explodierte, nicht gefährden wollte, auf Gedeih und Verderb von Kompromissen mit der Obrigkeit abhängig.
Mit dem rasanten Wachstum der Wirtschaft wuchs indes auch die soziale Ungleichheit. Und da das Bürgertum auf eine Verständigung mit der Obrigkeit setzte, war die Arbeiterbewegung zunehmend auf sich allein gestellt. Schon in den 1860er Jahren kam es mit der Gründung der Arbeiterparteien ADAV und SDAP zur »Trennung der proletarischen von der bürgerlichen Demokratie« (Gustav Mayer). Und da das Bürgertum sich ergeben hatte, musste die junge Arbeiterbewegung dessen historischen Auftrag, die Demokratisierung der Gesellschaft, gleich noch mit übernehmen.
Die Trennung bedeutete zugleich, dass die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Eliten von nun an gegen die Arbeiterbewegung zusammenstanden. Bald nach der Reichsgründung wurde eine »Handlungseinheit« von altem Adel und neuer Bourgeoisie geschmiedet, das heißt der repressive Charakter des Staates richtete sich nunmehr im Interesse beider gegen die Arbeiterklasse. 1878 wurden sämtliche Aktivitäten der sozialdemokratischen Partei und ihrer Gewerkschaften verboten; aber auch nach Aufhebung des Sozialistengesetzes 1890 blieb die Arbeiterbewegung gesellschaftlich unter Quarantäne gestellt. Die Isolation war also keineswegs selbst gewählt, sondern folgte aus dem Verhalten – und, polemisch gesprochen, der Feigheit – des deutschen Bürgertums.
Reaktionäre deutsche Einheit
Das Versagen des Bürgertums und der Revolution »von unten« ebnete den wiedererstarkten alten Mächten den Weg, die deutsche Einheit »von oben« herzustellen. Zum Architekten der Einheit wurde Otto von Bismarck. Der Junker verdankte seine Ernennung zum preußischen Ministerpräsidenten 1862 seinem Ruf als »harter Hund«, der geeignet sei, dem Bürgertum die letzten Zähne zu ziehen. Und das deutsche Bürgertum ließ sich seine gezielten Demütigungen gefallen. Übrig blieb oft nicht viel mehr als ein spießbürgerlicher »Bierpatriotismus« (Karl Marx).
Mit »Eisen und Blut«, sprich: mit drei Kriegen, stellte Bismarck dann die Einheit her. Im Ergebnis ging nicht Preußen in Deutschland auf, sondern Deutschland in Preußen – und dies blieb, in den Worten des Sozialdemokraten Wilhelm Liebknecht, die »fürstliche Versicherungsanstalt gegen die Demokratie«. Vor allem aber garantierte die Einheit »von oben« die Vorherrschaft des Adels, dessen Privilegien in den staatlichen Institutionen und in der Gesellschaft abgesichert wurden. Das auf den Ruinen der Revolution von 1848 errichtete Reich repräsentierte also keinen Neuanfang, sondern die anhaltende Herrschaft der traditionellen Oberklassen. Dabei reifte die Bourgeoisie zur wirtschaftlich dominierenden Kraft heran; die politische Macht aber verblieb beim Adel des Ständestaats.
Die Wirkung dieser herrschaftlichen Herstellung der Einheit reichte noch über die Novemberrevolution von 1918 und deren Sturz der deutschen Monarchen hinaus. Denn die kaisertreuen Beamt*innen in Justiz, Militär, Verwaltung, Bildungswesen und so weiter blieben auch nach dem Ersten Weltkrieg auf ihren Posten sitzen und arbeiteten daran, die Weimarer Republik wieder abzuschaffen – was 1933 schließlich gelang. Es passt daher durchaus ins Bild, dass es mit Paul von Hindenburg ein preußischer Junker war, der Hitler zum Reichskanzler ernannte.
Nun sollte man für diese Entwicklung nicht die Revolutionäre von 1848 verantwortlich machen. Fest steht aber dennoch, dass das Scheitern des revolutionären Aufbruchs und die anschließende Unterordnung des Bürgertums unter die ständische Obrigkeit die deutsche Geschichte für ein Jahrhundert entscheidend prägten.
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