Reformvorschläge zum WissZeitVG: Albtraumjob Wissenschaft

Die Reformvorschläge des Bundesministeriums zum WissZeitVG sorgt für empörten Protest von Professor*innen, Beschäftigten und Gewerkschaften

  • Simone Claar
  • Lesedauer: 7 Min.

Es war ein aufregendes März-Wochenende. Seit Monaten haben viele der prekär Beschäftigten in der Wissenschaft darauf gewartet, dass das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) einen Gesetzentwurf vorlegt, um dauerhafte Perspektiven für Menschen in der Wissenschaft zu ermöglichen. Am 17. März wurden Eckpunkte zur Gesetzesnovellierung vom Ministerium schließlich veröffentlicht und erzeugten einen Sturm der Empörung. Im Entwurf des Ministeriums wurde nur auf wenige Forderungen von Initiativen und Gewerkschaften eingegangen. Stattdessen sollten Befristungsregeln und Unsicherheit weiter verschärft werden. Professor*innen, Gewerkschaften und prekäre beschäftigte Wissenschaftler*innen in den sozialen Medien reagierten mit harscher Kritik. Das Ministerium ruderte aufgrund dessen zurück und bat Gespräche an.

Die enorme Aufladung der Diskussion hat ihren Grund, denn im Wissenschaftsbetrieb gelten Sonderbefristungen aufgrund des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG), das Verträge während Qualifikationsphasen wie Promotion, Habilitation oder im Zusammenhang von Drittmittelfinanzierung regelt. Die Befristungsmöglichkeiten gehen weit über das in anderen Arbeitsfeldern geltende Teilzeit- und Befristungsgesetz hinaus. Nach zwölf Jahren befristeter Beschäftigung an Hochschulen endet die Karriere defacto mit einem Berufsverbot für Wissenschaftler*innen, wenn diese keine Professur oder eine der wenigen anderen Dauerstellen ergattern konnten – oder bei einem Drittmittelprojekt Anstellung finden. Das führt zu Arbeitsverhältnissen, die mal kürzer und mal länger dauern, aber fast nie zu einer Festanstellung.

Der Frust mit der Befristung

Der Anstieg der Promovierendenzahlen an deutschen Universitäten hat auch dazu geführt, dass es immer mehr sogenannte Post-Docs gibt, die nach dem erlangten Doktorgrad einen beruflichen Werdegang in der Wissenschaft verfolgen. Allerdings hat sich die Anzahl der Professuren nicht entsprechend erhöht. Diese Knappheit wird auch dadurch erzeugt, dass die Grundfinanzierung der Hochschule immer mehr durch eine kompetitive Drittmittelfinanzierung abgelöst wird. Will man aber gute Arbeit in der Wissenschaft – wie es das BMBF immer wieder beteuerte und damit in Kampagnen für den Hochschulstandort Deutschland wirbt – muss die Grundfinanzierung durch die Länder deutlich ausgebaut werden.

Durch die Verschiebung in der Finanzierung hat sich auch die Befristungspraxis verschärft: Mittlerweile liegt laut dem Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs die Befristungsquote bei 92 Prozent des hauptberuflichen wissenschaftlichen und künstlerischen Personals an Hochschulen – ausgenommen der Professuren. Bereits mit der Novellierung des WissZeitVG im Jahre 2016 verfehlte der Gesetzgeber eine grundlegende Verbesserung dieser prekären Situation für die Beschäftigten an den Universitäten.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) wies bereits 2010 mit der Kampagne »Traumjob Wissenschaft« auf die Missstände hin. 2012 fand das Hochschul-Organizing-Projekt der GEW an drei Hochschulstandorten bundesweit statt. An der Goethe-Universität in Frankfurt am Main existiert noch heute eine aktive GEW-Betriebsgruppe, die gemeinsam mit Ver.di fest in den universitären Gremien wie Personalrat oder Senat verankert ist. Seit sieben Jahren gibt es auch immer mehr Beschäftigteninitiativen, wie etwa das bundesweite Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft (NGAWiss), oder lokale Gruppen wie Uni Kassel Unbefristet, Uni Göttingen Unbefristet oder Darmstadt Unbefristet.

Die Kasseler Initiative hatte 2018 etwa 500 Beschäftigte für eine außerordentliche Personalversammlung mobilisiert und danach einen »Entfristungsentscheid« durchgeführt, bei dem sich die Abstimmenden in überwältigender Mehrheit für ein Ende des Befristungsunwesens aussprachen. 2017 und 2021 war die Befristung an Hochschulen Thema in den Tarifverhandlungen des öffentlichen Dienstes in Hessen. Einer verbindlichen Regelung stand jedoch das WissZeitVG im Weg, das diese mittels einer Tarifsperre verhindert. Im Ergebnis wurden Gespräche zwischen dem Wissenschafts- beziehungsweise Innenministerium und den Gewerkschaften vereinbart. 2021 folgte die öffentlichkeitswirksame Initiative #IchbinHanna beziehungsweise #IchbinReyhan auf Twitter, der jedoch auch andere Hashtags wie #FrististFrust #95vsWissZeitVG oder #DauerstellenfürDaueraufgaben vorausgingen.

Verlässlich schlechte Arbeitsbedingungen

In der Vorstellung der derzeitigen Koalitionsparteien sollen die grundlegenden Problematiken des Wissenschaftssystems mit dem Hebel des WissZeitVG angegangen werden. Das wird an den Eckpunkten deutlich, die am 17. März 2023 zur Novellierung des Gesetzes vorgestellt wurden. Es handelt sich dabei um einen rein politischen Kompromiss innerhalb der Ampel-Koalition, der die Wirklichkeit der Beschäftigten in der Wissenschaft und ihre Forderungen außer Acht lässt.

Die größte Empörung löste der Vorschlag zur Post-Doc-Phase aus: Er sieht vor, dass die Höchstdauer der Anstellung im Mittelbau nach der Promotion von sechs auf drei Jahre sinkt. Es ist schon jetzt so, dass viele Wissenschaftler*innen nach den sechs Jahren keine Dauerstellen oder eine Professur erlangen können. Unter den gegebenen Bedingungen bedeutet die Herabsenkung der Frist eine Verschärfung des Überlebenskampfs. Es ist zynisch, dass das BMBF die Verkürzung der Post-Doc-Phase als »verlässliche Arbeitsbedingungen« verkauft – planbar ist daran lediglich, früher zu wissen, dass man aus dem Betrieb ausscheidet. Keinerlei Beachtung in den Änderungsvorschlägen fand zudem, was die Verkürzung speziell für Frauen* in der Wissenschaft bedeutet, insbesondere, wenn sie sich Kinder wünschen oder bereits welche haben.

Aus gewerkschaftlicher Perspektive ist die Tarifsperre des WissZeitVG, auch wenn sie in den Vorschlägen punktuell aufgeweicht wurde, ein Skandal. Es dürfte keine andere Berufsgruppe geben, die dermaßen in ihren Möglichkeiten beschnitten wird, über Tarifverhandlungen die eigenen Arbeitsbedingungen zu verbessern. Dabei verweigern die Arbeitgeber, die als Hochschulrektorenkonferenz zusammengeschlossen sind, selbst diese minimalen Änderungen, um Protest von Hochschulbeschäftigten abwehren zu können.

Inzwischen sind alle Regierungsparteien unter dem Druck der öffentlichen Kritik, der Stellungnahmen von Professor*innen sowie der Positionierung von Wissenschaftsvereinigungen zurückgerudert. Vom BMBI heißt es, dass man wieder das Gespräch suchen wolle. Aber bereits an der Einschränkung, dass dies nur die Befristungsdauer für Post-Docs betreffe, wird deutlich: Die Fehler im System können nicht allein per Gesetz verändert werden. Wie soll die Wissenschaft von morgen aussehen? Was bedeutet »gute Arbeit« in Lehre und Forschung? Wie organisieren wir uns?

Der Twitter-Protest der vergangenen Woche hat gezeigt, wie groß der Unmut in der Wissenschafts-Community ist. Binnen kurzer Zeit haben Vernetzungen zwischen den Professor*innen stattgefunden und knapp 2500 von ihnen haben bis zum 24. März einen offenen Brief gegen die Novellierung des WissZeitVG in dieser Form unterschrieben. Studentische Beschäftigte (TVStud) haben sich solidarisiert und die Arbeitskämpfe an den Universitäten rücken wieder enger zusammen.

Die Zukunft der Hochschule

In dieser Auseinandersetzung geht es jedoch um mehr als nur das WissZeitVG. Das Wissenschaftssystem braucht dringend eine Abkehr von dem Prinzip der unternehmerischen Hochschule, des damit verbundenen Konkurrenzdrucks und der Abhängigkeit von Drittmittelfinanzierung. Diese grundlegende Ausrichtung steht einer Demokratisierung der Hochschule im Wege, die sich auch in der Befristung und dem Weggang von Mitarbeitenden zeigt. Für mehr Demokratie und Mitbestimmung braucht es die Organisierung von Beschäftigten und Studierenden vor Ort sowie die bundesweite Vernetzung.

Eine der zu überwindenden Institutionen ist das Lehrstuhlprinzip sowie das damit verbundene Privileg der Lehrstuhlinhaber*innen, also der Professor*innen, Mitarbeiter*innen anzustellen und wieder zu entlassen. Um die individuelle Abhängigkeit von wissenschaftlichen Beschäftigten unter einem Lehrstuhl zu verringern, wäre eine Departmentstruktur – in der alle gleichberechtigt beschäftigt sind innerhalb eines Instituts oder Fachbereichs – eine naheliegende Alternative. Der professorale Protest ist daher wichtig, denn er zeigt mehr als nur eine Solidaritätsbekundung. Viele Professor*innen sind offenbar bereit, über das Gesamtsystem nachzudenken und Privilegien abzugeben.

Die bestehenden Organisationsstrukturen, also die Gewerkschaften, NGAWiss und Beschäftigteninitiativen, sind in der jetzigen Situation ein wichtiger Anker für die kollektive Organisierung. In der Woche nach dem Entwurf zur Gesetzesnovelle haben sich 150 Menschen aus dem Mittelbau getroffen, um Möglichkeiten, Erwartunsghorizonte und Protestaktionen zu diskutieren. Am 24. März fand in Berlin eine Kundgebung vor dem BMBF statt. Der Protest muss den virtuellen Raum verlassen und auf die Straße getragen werden. Das kann nicht nur zentral in Berlin passieren, denn auch die Länder und Hochschulleitungen müssen davon überzeugt werden, dass Wissenschaft nur dann ein »Traumjob« sein kann, wenn er mit Verdauerungsperspektiven und guten Arbeitsbedingungen einhergeht.

Das bedeutet in der Praxis, dass die Beschäftigten an den Hochschulen sich auch vor Ort vermehrt organisieren müssen. Das BMBF hat mit den unzureichenden Reformvorschlägen einen Moment erzeugt, in dem kollektiv etwas erreicht werden kann. Gleichzeitig befinden sich Beschäftigte an den Universitäten in einer Situation, die von Individualisierung, chronischer Überlastung und fehlender Mitbestimmung geprägt ist. Auf dem Spiel steht also nicht nur eine Gesetzesänderung, sondern die Entwicklung einer Vision, wie Hochschule im 21. Jahrhundert demokratisch, sozial-ökologisch und menschenwürdig gestaltet werden kann.

Dr. Simone Claar ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fachgruppe Politikwissenschaft der Universität Kassel. Dort leitet sie unter anderem das vom BMBF geförderte Forschungsprojekt GLOCALPOWER zur Energiewende im Globalen Süden. Sie ist zudem Vize-Vorsitzende der GEW in Hessen.

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