IPPC-Bericht: Soziale Frage Klima

Klimapolitik soll Anpassung ermöglichen. Viel Zeit dafür bleibt nicht mehr

  • Jörg Staude
  • Lesedauer: 6 Min.
Ventilatoren reichen bald nicht mehr: In Indien gibt es zurzeit eine Hitzewelle.
Ventilatoren reichen bald nicht mehr: In Indien gibt es zurzeit eine Hitzewelle.

Haben wir es noch in der Hand, die Welt vor der Klimakrise zu retten? In fünf oder sieben Jahren werden wir es wissen, erklärte die renommierte Klimaforscherin Friederike Otto vor einigen Tagen in einer Online-Debatte zum frisch veröffentlichten Syntheseberichts des 6. IPPC-Zyklus. Die Antwort darauf werde wohl schon der nächste, 7. Weltklimabericht geben könne, der etwa 2027 vorliegen wird.

Hunderte Wissenschaftler*innen, darunter Otto, hatten diese Woche ihre jahrelange Arbeit am 6. IPCC-Bericht zu Ende gebracht. Dessen Kernaussage lautet für Otto, Forscherin am Londoner Grantham-Institut: Noch kann sich die Menschheit für eine Zukunft entscheiden, die nachhaltig ist und in der das 1,5-Grad-Limit-eingehalten wird. Das gehe aber nur noch jetzt, schränkte sie sogleich ein.

Das Zusammenfallen von Gegenwart und Zukunft findet sich auch im Synthesebericht wieder. In seiner Kurzfassung steht dieser Satz: »Die in diesem Jahrzehnt getroffenen Entscheidungen und Maßnahmen werden sich jetzt und in den nächsten Tausenden von Jahren auswirken.« Wie ist das zu verstehen? Gut 150 Jahre brauchten die industrialisierten Länder, um so viel Treibhausgase in die Atmosphäre zu pusten, dass die Erde sich jetzt etwa 1,2 Grad erwärmt hat. Das Weltklima ist ein träges System. Selbst bei einer radikalen CO2-Reduktion ab sofort würde die Erdtemperatur Jahrzehnte weiter steigen.

Es ist schon jetzt zu viel CO2 in der Luft, manche Entwicklungen sind nicht mehr aufzuhalten. Wörtlich warnt der Synthesebericht: »Der Anstieg des Meeresspiegels ist für Jahrhunderte bis Jahrtausende unvermeidlich aufgrund der anhaltenden Erwärmung der Tiefsee und des Abschmelzens der Eisschilde. Auch wird der Meeresspiegel für Tausende von Jahren erhöht bleiben.«

Für Klimaforscher*innen wie Otto ist das keine Überraschung. Seit 2014, dem Erscheinen des 5. IPCC-Berichts, habe sich das Klima so entwickelt, wie es die Wissenschaft vorausgesagt hat, resümierte sie. Neu für die Forscher*innen sei aber die Erkenntnis, dass unsere Gesellschaften deutlich verletzlicher durch den Klimawandel sind, als das früher angenommen wurde. Im 5. IPCC-Bericht habe man beispielsweise erst bei einer Erwärmung von 5 Grad große Risiken für die Zivilisation gesehen. Acht Jahre später warne nun der Synthesebericht: Schon in einer Zwei-Grad-Welt würden einige Grenzen der Klimaanpassung überschritten.

Sinn von Klimapolitik sei es inzwischen, eine Anpassung zu erreichen, die ein Überleben der Zivilisation in der heutigen Form ermöglicht, brachte Friederike Otto die neue Verletzlichkeit auf den Punkt. Der Synthesebericht hat auch die Forderungen zur CO2-Reduktion nochmal leicht verschärft. Bis 2030 müssen die CO2-Emissionen global um knapp die Hälfte herunter, dann bis 2035 um zwei Drittel sowie um 100 Prozent bis zur Mitte des Jahrhunderts.

Für Friederike Otto ist dabei »absolut entscheidend«, was die Regierungen und jeder Einzelne in den nächsten fünf Jahren tun. Wenn der Anstieg der Treibhausgasemissionen nur gebremst, aber nicht gestoppt wird, dann haben wir die Zukunft nicht mehr in der Hand, warnte sie. Mit jedem Zehntelgrad Erwärmung werde es mehr Extremereignisse geben. »Für Menschen, die jetzt geboren werden, wird das, was für uns ein heißer Sommer ist, ein kühler Sommer sein«, sagte die Forscherin.

Real läuft die Klimapolitik, zu der sich die Staaten mit ihren Klimazielen verpflichtet haben, derzeit auf eine Drei-Grad-Welt hinaus. Man könne in Zahlen ausrechnen, was eine Vier-Grad-Welt bedeutet, sagte sie, aber wir können uns das nicht wirklich vorstellen. Horrorszenarien auszumalen führt ihrer Meinung nach nur dazu, dass der Kopf in den Sand gesteckt und erst recht nichts getan wird. Lieber spricht Otto davon, dass alles Wissen, alle Technologien und alle Werkzeuge vorhanden sind, um das 1,5-Grad-Limit noch einzuhalten. Was fehle, sei der politische Wille, das Wissen auch zu implementieren, die Gesetze in Richtung Klimaneutralität zu ändern, kritisierte sie.

Im Bericht selbst geht auch die Wissenschaftlergemeinde neue Wege, um ihr Anliegen anschaulicher zu vermitteln. So zeigt eine Balken-Grafik ziemlich klar, welche Klima-Maßnahmen bei geringsten Kosten den größten Effekt versprechen. Die Reihenfolge der präferierten Technologien überrascht nicht wirklich: Ausbau von Wind und Sonne; Reduzierung der Methan-Emissionen aus Kohle, Öl und Gas; Erhalt und Schutz von Ökosystemen, nachhaltige Waldbewirtschaftung, Aufforstung, Carbon Farming, Gebäudeeffizienz und Brennstoffwechsel. Derzeit gehypte Techniken wie CO2-Abscheidung und -Verpressung kommen nur am Rande vor, sie sind zu teuer und zu wenig effektiv.

Im 6. IPPC-Bericht schlagen sich – auch das eine Neuerung – wie nie zuvor soziale Fragen nieder: »Personen mit einem hohen soziowirtschaftlichen Status tragen überproportional zu den Emissionen bei und haben das größte Potenzial für Emissionsminderungen.« In einem anderen Teil des 6. Berichts wurde der Weltklimarat noch konkreter: Die zehn reichsten Prozent der Menschheit, schrieben die Wissenschaftler*innen, verursachen 36 bis 45 Prozent der weltweiten Emissionen. Das sei zehn Mal so viel wie der Beitrag der ärmsten zehn Prozent. Das ärmere Zehntel der Weltbevölkerung habe nur drei bis fünf Prozent der Emissionen zu verantworten.

Ab und zu kommt nun auch in Deutschland die Frage auf: Kann – oder muss man sogar – den Reichen ihre klimakillenden Statussymbole wegnehmen? Die Premium-SUV, die Privatflugzeuge, die Chalets und Megajachten? Nicht wenige Wissenschaftler*innen halten den Überkonsum der oberen Schichten in den industrialisierten Ländern für eins der klimapolitischen Kernprobleme. Das zeigt sich übrigens nicht immer auf den ersten Blick.

So benötigt nach Angaben der Weltbank ein Sitzplatz in der Business Class eines Flugzeuges dreimal so viel Fläche wie einer in der Economy Class. Der Business-Platz verursacht also die dreifachen Emissionen. Ein Erster-Klasse-Platz kommt danach sogar auf das Sechs- bis Neunfache. Klimapolitisch ist jeder Flug problematisch, das größere Problem stellt aber offenbar nicht der Billigflug nach Mallorca dar, sondern der in der ersten Klasse oder der im gecharterten Privatflieger. Über höhere Klimasteuern oder teureren Sprit lächeln dabei obere Einkommensklassen nur müde, Reiche werden sich vom Klimaschutz immer freikaufen können.

Also bleibt nur das Ordnungsrecht, bleiben Vorschriften und Verbote. Ein Tempolimit würde für alle gleichermaßen gelten, genauso ein konsequentes Verbot von Inlandsflügen, oder ein Verbot, Häuser auf der grünen Wiese zu bauen oder Torf abzubauen oder neue Autobahnen zu bauen, oder …

Wie träge hier die Transformation vor sich geht, kann jeder an sich selbst und seinem sozialen und politischen Umfeld prüfen. Konsum- und Verhaltensmuster und die Bedingungen, aus denen sie resultieren, anpassen? Jetzt etwas für später tun? Wieso denn das, winken viele ab. In fünf oder sieben Jahren ist ja eh alles zu spät.

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