Vorwurf der »Völkerrechtsverbrechen« an Regierung in Moskau

Amnesty-Bericht kritisiert Unterdrückung der Zivilgesellschaft in Russland

  • David Bieber
  • Lesedauer: 3 Min.
Demonstranten fordern den Stopp aller illegalen Pushbacks an den europäischen Außengrenzen, wie etwas in Belarus.
Demonstranten fordern den Stopp aller illegalen Pushbacks an den europäischen Außengrenzen, wie etwas in Belarus.

Konflikte und Krisen sind die Konstanten der vergangenen Jahre. Das wird einmal mehr durch den jüngsten Menschenrechtsbericht von Amnesty International deutlich, den die Organisation am Montag für das vergangene Jahr veröffentlicht hat. Die neu aufflammenden und bestehenden Konflikte im zurückliegenden Jahr seien mit Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht einhergegangen, heißt es darin. »Die Reaktion der internationalen Gemeinschaft auf die schwerwiegenden menschenrechtlichen Folgen verschiedener Konflikte und der Umgang mit schutzsuchenden Geflüchteten waren unzulänglich«, bemängelte die Menschenrechtsorganisation mit Sitz in London.

Auch gegen andere schwere Menschenrechtsverstöße, darunter auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit, sei nicht entschlossen genug vorgegangen worden. »Hierzu zählten etwa die brutale Unterdrückung der Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigung und friedliche Versammlung, etwa in Form von Protesten«, erklärt Amnesty weiter. Von Unterdrückung und Gewalt vor allem betroffen seien Frauen, Mädchen sowie lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen (LGBTI+).

Besonders dramatisch steht es laut dem Bericht um die Menschenrechte in Russland und Belarus. Amnesty verurteilt die russische Militärinvasion vom 24. Februar 2022 in die Ukraine als »Völkerrechtsverbrechen«. Kritik am Krieg sei in Russland nicht erwünscht und wird geahndet, berichtet die Organisation. So seien »friedliche Antikriegsproteste oft gewaltsam aufgelöst worden, und wer sich offen gegen den Krieg aussprach, musste mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen.« Um abweichende Meinungen zu unterdrücken, schränkten die Behörden die Meinungs- und Versammlungsfreiheit durch weitere restriktive Maßnahmen noch stärker ein. Mehr als 19 400 Menschen wurden Amnesty zufolge festgenommen, darunter auch Journalist*innen, die über die Proteste berichteten. Ihnen drohten hohe Geldstrafen oder Verwaltungshaft.

Zudem hat Russland neue Gesetze eingeführt, um Proteste und Aktivitäten von Nichtregierungsorganisationen und zivilgesellschaftlichen Aktivist*innen zu beschneiden. In Hafteinrichtungen seien Folter und andere Misshandlungen nach wie vor an der Tagesordnung, die Standards für faire Gerichtsverfahren würden häufig verletzt.

Die Menschenrechtslage bei Russlands engsten Verbündeten Belarus sieht ebenfalls besorgniserregend aus. »Die Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit blieben weiter massiv eingeschränkt«, erklärt Amnesty. Folter und andere Misshandlungen seien nach wie vor Standard und blieben meist ungeahndet, mindestens ein Mann sei hingerichtet worden. Das Justizsystem sei zur Unterdrückung kritischer Stimmen missbraucht worden. Auch hätten sich die Bedingungen für ethnische und religiöse Minderheiten nicht gebessert.

Flüchtlinge und Migrant*innen in Belarus seien dem Bericht zufolge vermehrt Folter, Gewalt und illegaler Zurückweisung an der Grenze ausgesetzt. Dies betreffe besonders Menschen aus Syrien, dem Irak und Afghanistan, die gezwungen würden die Grenze nach Polen, Litauen oder Lettland zu überqueren. Von dort würden viele daraufhin wieder nach Belarus zurückgeschoben. Dort seien sie »mit Hindernissen bei Asylanträgen konfrontiert«, schreibt die Organisation.

Amnesty kritisiert aber auch die Ukraine. Durch ein neues Mediengesetz erhielt die staatliche Medienaufsicht »unverhältnismäßig weitreichende Befugnisse«, so der Bericht. Die Behörde kann jedes Medienunternehmen verwarnen, mit Geldstrafen belegen und dessen Zulassung vorübergehend oder endgültig entziehen. Onlinedienste, bei denen es sich nicht um Medien handelt, können ohne Gerichtsbeschluss vorübergehend gesperrt werden.

Ebenfalls weitgehend unbekannt in der medialen Öffentlichkeit blieben die zwei im Juli 2022 verabschiedeten Anti-Arbeitnehmer*innen-Gesetze in der Ukraine. Das erste erlaubt sogenannte Null-Stunden-Verträge für bis zu zehn Prozent der Beschäftigten eines Unternehmens. Das zweite befreit Firmen mit bis zu 250 Beschäftigten von verschiedenen Schutzbestimmungen im Arbeitsrecht, darunter gewerkschaftlich ausgehandelter Tarifverträge. Dagegen hatten Gewerkschaften erfolglos protestiert.

Ein Lichtblick sei hingegen das angekündigte neue Gesetz zu eingetragenen Lebenspartnerschaften, so Amnesty. Es schließt offenbar auch gleichgeschlechtliche Beziehungen ein. Dennoch erführen in der Ukraine insbesondere Frauen nach wie vor verhältnismäßig häufig Gewalt.

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