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Neues Parlament in Kuba: Schrumpfende Mehrheit
Krise in Kuba schlägt sich in gesunkener Beteiligung an Parlamentswahl nieder
Ohne Überraschungen verlief am vergangenen Sonntag die alle fünf Jahre stattfindende Parlamentswahl auf Kuba. Alle 470 Kandidaten für ebenso viele Sitze erhielten problemlos die erforderliche Zustimmung von mindestens 50 Prozent, darunter Kubas Staatschef Miguel Díaz-Canel und der frühere Präsident Raúl Castro. Der Frauenanteil beträgt rund 55 Prozent.
Im Vorfeld war die Abgeordnetenkammer von 605 Sitzen auf 470 reduziert worden, um dem schrumpfenden Wahlvolk Rechnung zu tragen. Laut Gesetz darf sich die Kommunistische Partei (PCC) nicht an der Aufstellung der Kandidaten beteiligen; faktisch sind die meisten jedoch Mitglieder der PCC. Sie werden von den Gemeindeparlamenten sowie von Verbänden und Massenorganisationen aufgestellt und von einer staatlichen Wahlkommission abgesegnet. Als systemoppositionell geltende Personen wurden nicht nominiert.
Jede/r vierte Wahlberechtigte nahm nicht an der Wahl teil. Damit verfestigte sich eine Tendenz vergangener Abstimmungen. Die Wahlbeteiligung von knapp 76 Prozent der 8,12 Millionen Wahlberechtigten ist zwar im Vergleich zu anderen Ländern hoch, liegt aber zehn Prozentpunkte unter der der Wahl zur Nationalversammlung 2018. Bei der Kommunalwahl Ende vergangenen Jahres verweigerten 31,5 Prozent ihr Kreuz – ein Rekordwert in einem Land, das jahrzehntelang an nahezu Einstimmigkeit gewöhnt war.
Bei den Wahlen 2015 lag die Wahlenthaltung bei elf Prozent, bei den Kommunalwahlen im November 2017 bei 14 Prozent und beim Referendum zum neuen Familiengesetz im September 2022 gingen 25 Prozent der Wahlberechtigten nicht zur Wahl. Knapp ein Drittel der gültigen Stimmen votierte damals gegen den Entwurf der Regierung.
Während Oppositionsgruppen im Vorfeld der diesjährigen Wahl dazu aufriefen, der Abstimmung fernzubleiben, mobilisierte die Regierung intensiver als sonst. Sie warb insbesondere für die Einheitswahl aller in einem Wahlbezirk antretenden Kandidaten (voto unido) – eine einst vom Revolutionsführer Fidel Castro als »revolutionäre Strategie« ausgegebene Haltung, um eine »Botschaft der Stärke und Einheit« nach außen zu senden.
Die gut 24 Prozent Stimmenthaltung zeigen: Die Zeiten der Einmütigkeit sind auf Kuba vorbei. Politische Beobachter sehen in der Nicht-Teilnahme an der Wahl einen Ausdruck wachsender Unzufriedenheit angesichts der schweren Wirtschafts- und Versorgungskrise auf der Insel, aber auch für Apathie und Desinteresse. Die Krise und die fehlende Perspektive auf ein Ende derselben haben dazu geführt, dass vor allem junge Kubaner der Insel in Massen den Rücken kehren. Schätzungen zufolge sind in den vergangenen anderthalb Jahren mehr als 320 000 Bürger über die mexikanische Grenze in die USA eingereist; hinzu kommen Zehntausende, die in andere Länder ausgewandert sind; und noch mal Tausende, die auf oft maroden Booten versuchen, die Meerenge nach Florida zu überqueren.
Bei Wahlen auf Kuba findet laut dem 2019 verabschiedeten Wahlgesetz der effektive Wohnsitz Anwendung, d.h. diejenigen, die sich nicht im Land aufhalten, werden aus den Wählerverzeichnissen gestrichen. Das Verzeichnis für die Wahl am 26. März umfasste 8 120 072 Stimmberechtigte, 234 645 weniger als bei der Kommunalwahl Ende 2022.
Oppositionsgruppen kritisierten dies. Auch prangerten sie eine Reihe von Unregelmäßigkeiten an, darunter die verspätete Veröffentlichung einiger Wählerverzeichnisse, die Zulassung nicht registrierter Wähler, den Ausschluss von Wahlberechtigten und mutmaßliche Nötigung zur Stimmabgabe.
Die staatliche Wahlbehörde dagegen wertete die Abstimmung als solche und die Wahlbeteiligung von über 75 Prozent als »Erfolg«. Präsident Díaz-Canel bezeichnete den Urnengang als »eine echte Demonstration von Bürgersinn, Beteiligung des Volkes und sozialistischer Demokratie«.
Die Mehrheit der Regierung ist zwar weiterhin solide, aber sie schrumpft. Mit Enthaltung, ungültigen und leeren Stimmen drückte ein nicht unbedeutender Prozentsatz der Kubaner sein Unbehagen aus – auch diesem Teil der Bevölkerung muss die künftige Regierung Rechnung tragen. Die wird am 19. April durch die sich neu konstituierende Nationalversammlung gewählt werden. Die Abgeordneten bestimmen dann den 23-köpfigen Staatsrat und den Präsidenten und ernennen anschließend auf dessen Vorschlag den Premierminister.
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