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Hamburgs verfehlte Verkehrspolitik
Die Mobilitätswende kommt in der Hansestadt nicht richtig voran, auch weil der Senat auf die falschen Verkehrsmittel setzt
Nachmittags auf dem Jungfernstieg in Hamburg: Ein Auto steht auf dem Gehsteig, ein zweites auf der Fahrbahn wird von fünf Polizisten gefilzt. Eigentlich haben Pkw hier seit Oktober 2020 nichts mehr zu suchen. Aber darauf weisen nur Schilder hin. Absperrungen gibt es nicht, weil der Boulevard an der Binnenalster für Busse, Taxis und den Lieferverkehr weiterhin frei ist. Und wo Autos fahren können, tun sie es auch. 1011 Fahrzeuge waren es zum Jahrestag der »Autofreiheit« an einem Abend im Oktober 2021, als die Polizei eine großangelegte Kontrolle durchführte.
Wenn der Jungfernstieg weitgehend autofrei werde, leiste das »einen spürbaren Beitrag zur Mobilitätswende«, verkündete die Stadtregierung aus SPD und Grünen. Dabei war klar, dass die Verdrängung des automobilen Individualverkehrs von einer nicht einmal 500 Meter langen Strecke bei einem Verkehrsnetz von rund 4000 Kilometern kaum Auswirkung haben würde. Fromm blieb auch der Wunsch, der Zweiradverkehr würde sich auf die Fahrbahn beschränken. Genauso wie Autos sind Räder und E-Scooter überall dort unterwegs, wo sie es können. Und der Slalom zwischen Fußgängern erscheint vielen angenehmer als die Fahrt auf der Straße mit einem Bus im Nacken.
Die Verkehrsbehörde wirbt in Hamburg gerne für die Mobilitätswende. Und der seit Juni 2020 amtierende Verkehrssenator Anjes Tjarks von den Grünen inszeniert sich selbst oft als Radfahrer. Der 42-Jährige mag ein Vorbild sein wollen, aber damit hat er es auch geschafft, den Hass der Automobilisten auf sich zu ziehen. Kritisiert wird er aber auch von Dirk Lau, dem Sprecher des Fahrradclubs ADFC. Der findet, dass die ausgerufene Mobilitätswende »vor allem aus sogenannten Leuchtturmprojekten in der Innenstadt besteht, in der Breite und Fläche aber viel zu wenig passiert«.
Ein »Leuchtturmprojekt« sieht dann so aus: Während der Senator im März 2022 vor einer NDR-Kamera selbst seine Radfahrpolitik lobt, fahren hinter seinem Rücken Autos über die 900 Meter lange rot bemalte Fahrradstraße an der Außenalster. Anwohner dürfen das nämlich. Und »wo ein Weg ist, da ist in Hamburg auch ein Auto«, weiß Dirk Lau. Ein zeitgleich entstandener sogenannter Protected Bike Lane – also ein geschützter Fahrradweg – an der Esplanade bringt Radfahrende allerdings in Gefahr, weil der Weg am Neuen Jungfernstieg in die Rechtsabbiegerspur für Autos mündet. Die »geschützte« Strecke verwandelt sich so in einen gefürchteten »Radfahrstreifen in Mittellage«, bei dem Räder von Autos flankiert werden. Manche sprechen auch von »Todesweichen«.
Als im Oktober 2021 in Barmbek ein Radfahrer von einem nach rechts abbiegenden Lastwagen überrollt worden war und starb, erklärte die Behörde, künftig auf diese gefährlichen Radfahrstreifen in der Straßenmitte verzichten zu wollen und die vorhandenen Strecken rot einzufärben, um die Sicherheit zu erhöhen. Als Alternative dazu bewarb sie Fahrradwege, die durch Poller von der Autospur getrennt werden.
Radparkhaus mit Planungsfehlern
Viel Lärm um fast nichts, das ist die Bilanz der vom Senator versprochenen »Fahrradstadt Hamburg«. Symbolisch dafür steht das über drei Millionen Euro teure Fahrradparkhaus an der U-Bahnstation Kellinghusenstraße, das es ins »Schwarzbuch« des Bundes der Steuerzahler geschafft hat, weil es zahlreiche Konstruktionsfehler hat. Eine Zufahrt vom Radweg aus fehlt gänzlich. Und auch der Fehler, dass das obere Geschoss nur über Treppen erreichbar ist, wurde noch nicht behoben. Wer also das obere Parkdeck benutzen will, braucht Kraft, um es nach oben zu schieben. Das kam bisher nicht oft vor. Denn obwohl die Behörde von »sukzessiv steigenden Zahlen« spricht, ist das »Leuchtturmprojekt« so leer wie ehedem. Die Radfahrer nehmen das unpraktische Parkhaus nicht an und ziehen es vor, ihre Vehikel rings um die Bahnstation abzustellen, wo neuerdings Tafeln für das Parkhaus werben. »Aus Fehlern nichts gelernt« schreibt das »Schwarzbuch« und meint damit, dass der Senator trotz der schlechten Erfahrung an der Kellinghusenstraße vier weitere solcher Parkhäuser bauen will.
Das Auto wird derweil auch künftig das Maß aller Dinge bleiben. Die Zahl der angemeldeten Fahrzeuge nimmt seit längerem beständig zu, derzeit sind es knapp 900 000. Ein Problem dabei ist der Platz zum Parken, der benötigt wird, denn statistisch gesehen wird ein Pkw nur 45 Minuten am Tag bewegt.
Seit 2015 gibt es sogenannte Bewohnerparkgebiete, in denen das Auto nur abstellen darf, wer dort wohnt. Vor einem Jahr wurden sie vom Senator zur Lösung der allgegenwärtigen Parkplatznot erklärt und rasch weitere »Anwohnerparkzonen« ausgewiesen. 21 sind es inzwischen. Bewohner dürfen eine Genehmigung für 65 Euro jährlich beantragen, die allerdings noch keinen Parkplatz garantiert. Ein Ausweis für Besucher kostet drei Euro pro Tag. Den Schwerpunkt der Anwohnerparkzonen bildet der Bezirk Eimsbüttel, wo die Partei des Senators bei der vergangenen Wahl zum Stadtparlament, der Bürgerschaft, 40 Prozent der Stimmen errang. Auch wenn die Behörde auf Umfragen verweist, die offenbar eine große Zustimmung für die Maßnahme belegen sollen, so wurden zuletzt die kritischen Stimmen immer lauter. Eine Bürgerinitiative nach der anderen gründete sich.
Zwar ist das Anwohnerparken keine »Parkplatz-Vernichtung«, wie die CDU behauptet, aber eine solche wird durchaus ganz bewusst betrieben. 1000 Euro erhält in Eimsbüttel, wer sich verpflichtet, einen Parkplatz zu sogenannten Wohlfühlzonen umzugestalten. Ein solches Parklet befindet sich am viel befahrenen Eppendorfer Weg, das aber nicht gerade zum Verweilen einlädt. Die Holzbänke und Blumenkisten wurden in der Presse bereits als »Erfolg« bejubelt, bevor die ersten Pflanzen gesät waren. Ein Jahr später sieht die »urbane Oase« immer noch aus, als sei der Sperrmüll nicht abgeholt worden. Die Parklets sind eher Ausdruck von einer planlos agierenden Verkehrspolitik.
U-Bahn statt neue Straßenbahn
Als Alternative zum Auto wird oft der Bau der neuen U-Bahnlinie 5 gepriesen, die von Stellingen im Westen bis nach Bramfeld im Osten verlaufen soll. Beim feierlichen ersten Spatenstich im Oktober 2022 geizten die Verantwortlichen nicht mit Superlativen. »Es ist der Startschuss für ein neues Zeitalter der U-Bahn: hochmodern, effizient und klimaschonend gebaut«, sagte der Vorstandsvorsitzende der stadteigenen Hochbahn AG Henrik Falk. Für Senator Tjarks ist die U5 das »Rückgrat für die Mobilitätswende in Hamburg« und überhaupt »Deutschlands größtes urbanes Verkehrsinfrastrukturprojekt«.
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Es gibt freilich eine klimaschonendere Transportform, bei deren Bau erheblich weniger »graue Energie« anfällt. Damit wird der Aufwand bezeichnet, der für Herstellung, Transport, Lagerung, Verkauf und Entsorgung eines Produkts aufgewendet wird. »Die Feindschaft zur Straßenbahn wird in Hamburg als Ideologie betrieben«, meint Ingo Naefcke. Der 83-Jährige ist ein Straßenbahn-Enthusiast und zweifellos parteiisch.
Er war Schaffner, bis die Tram vor 45 Jahren in Hamburg stillgelegt wurde. Danach fuhr er Busse auf der am stärksten ausgelasteten Linie Europas. Wo der Metrobus 5 eine vom Autoverkehr unabhängige Spur nutzt, befanden sich ehedem die Schienen der Straßenbahn. Als Rentner kaufte Naefcke eine ausgemusterte Straßenbahn vom Jahrgang 1957 und richtete sie her. Der Oldtimer steht seit 2016 im Parkhaus eines Supermarkts, der in Winterhude in einem früheren Betriebshof der Straßenbahn untergebracht ist.
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Die Vehemenz, mit der Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) Überlegungen zur Wiederbelebung der Straßenbahn eine Absage erteilt, ist auffällig. Für ihn ist die Straßenbahn einfach »altmodisch« und »nicht leistungsfähig«. Der Straßenraum sei zu wertvoll, um ihn einer Tram zur Verfügung zu stellen. Eine Straßenbahn ließe sich zudem »nicht ohne massiven Protest und unter erheblichen Einschränkungen im öffentlichen Raum bauen«, ist sich das Stadtoberhaupt sicher. Die Einschränkungen beträfen den Autoverkehr, und Protest wäre von den Automobilisten zu erwarten, die nun einmal die Mehrheit stellen.
Weil Hamburg eine autogerechte Stadt werden sollte, war 1958 das Ende der Straßenbahn beschlossen worden. Als Zehntausende am 1. Oktober 1978 die Strecke säumten, auf der eine Abschiedstour stattfand, sagte der damalige Chef im Rathaus, Hans-Ulrich Klose (SPD): »Es kann sein, dass das ein Fehler gewesen ist.« Kurz darauf erklärte er im Vorwort eines Buchs zur Geschichte der Straßenbahn deren Abschaffung hingegen für »verkehrswirtschaftlich unumgänglich« und verwies auf Paris und Berlin. Aber eben dort und in rund 60 anderen deutschen Städten hält man bis heute die Straßenbahn für keineswegs überholt.
Entwürfe für ein Stadtbahn-Netz wurden 2001 von der Regierung aus CDU und rechtspopulistischer Schill-Partei verworfen. Die bereits verplanten knapp 324 Millionen Euro flossen statt in zwei Stadtbahn-Linien mit 49 Haltestellen in die Erweiterung der U-Bahnlinie 4 um zwei Stationen, wofür 485 Millionen fällig wurden.
Verkehrspolitik verfehlt Klimaziele
Die Stadtbahn feierte bis heute kein Comeback. Dabei kam eine Studie der Fraktion der Linken vom Sommer 2022 zu dem Ergebnis, dass die U-Bahn »die zeitaufwändigste, wenig effektive und teuerste Möglichkeit« für eine »umweltfreundliche und nachhaltige Mobilität« ist. Statt der U-Bahn-Linie 5 mit 23 Haltestellen auf 24 Kilometern wird eine Straßenbahn mit 109 ebenerdigen und barrierefreien Haltestellen auf 53 Kilometern vorgestellt, die rascher fertig und billiger wäre.
Allein für den ersten Bauabschnitt der U5 werden 1,8 Milliarden Euro veranschlagt. Dass Kostenvoranschläge nicht halten, was sie versprechen, weiß man in Hamburg am besten, wo die Elbphilharmonie elfmal so viel verschlang wie vorgesehen. Wie viel teurer die U5 wird, will der Senat erst im Laufe des Jahres bekannt geben. »Da droht ein Milliardengrab«, erklärte die verkehrspolitische Sprecherin der Linken, Heike Sudmann, »das nebenbei auch noch dafür sorgt, dass die Klimaziele krachend verfehlt werden«. Sie ärgert sich darüber, dass der Senat die wesentlich schneller und erheblich kostengünstiger herzustellende Straßenbahnalternative gar nicht erst prüfen wolle, »obwohl dies auch der Klimabeirat fordert«.
Straßenbau wird teuer: Grundstücke kosten mehr Geld, Baumaterial auch. Für die selbe Investitionssumme bekommt das Land Brandenburg weniger Kilometer Straßen und Radwege.
Ingo Naefcke erzählt von gescheiterten U-Bahnprojekten in Ludwigshafen und Mannheim, wo bereits fertige Tunnel von Straßenbahnen genutzt werden. Das könnte in Hamburg nicht funktionieren, denn die neue Linie U5 soll ganz tief unten, unter den bereits bestehenden U- und S-Bahnstrecken verlaufen. Um dorthin zu gelangen, wo man eigentlich hin will, muss ein langer Weg aus dem Untergrund an die Oberfläche zurückgelegt werden. So viel schneller die U-Bahn selbst fährt, bringt sie die Passagiere keineswegs schneller ans Ziel.
Eine besonders klimaschonende Form der Fortbewegung kommt in den Erörterungen zur Mobilitätswende überhaupt nicht vor. Im Bezirk Mitte, der die Innenstadt umfasst, nahm zwar 2020 eine »Fußverkehrsbeauftragte« ihre Arbeit auf. Aber sie kümmerte sich eigenem Bekunden nach um die Infrastruktur von E-Ladestationen und das Fahrradparken. Deutlicher lässt sich die Ignoranz gegenüber Fußgängern nicht ausdrücken.
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