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Eine Stimme für viele Stimmen
Neue Texte aus dem Todestrakt des willkürlich verurteilten US-Journalisten Mumia Abu-Jamal auf Deutsch erschienen
In den 1990er Jahren war der Mann mit den Rastahaaren auf vielen linken Plakaten zu sehen: der US-Journalist Mumia Abu-Jamal, der wegen eines ihm angelasteten Mordes an einem Polizisten 1982 zum Tod verurteilt worden war. Er hat die Tat immer bestritten. Schnell bildete sich eine weltweite Solidaritätsbewegung, die Ende der 90er einen großen Erfolg erreichte: Die Todesstrafe gegen Mumia Abu-Jamal wurde in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt. Das bedeutet allerdings in den USA Haft bis zum Lebensende. Deshalb kämpfte Mumia Abu-Jamal seit Jahren um eine Wiederaufnahme seines Prozesses.
Vor einigen Tagen hat es einen großen Rückschlag gegeben: Die zuständige Richterin lehnte ein neues Verfahren ab. Schon am nächsten Tag gab es Proteste gegen das Urteil in den USA und in anderen Staaten. Die transnationale Solidaritätsbewegung für Mumia ist weiterhin stark und hat sogar durch die Black-Lives-Matter-Bewegung neuen Zulauf bekommen. Viele Menschen, die sich heute für Mumias Freilassung einsetzen, waren noch nicht geboren, als er verurteilt worden ist. Daher ist es zu begrüßen, dass der Verlag Westend just »Texte aus dem Todestrakt« vom Mumia veröffentlichte, die bisher größtenteils noch nicht ins Deutsche übersetzt worden sind.
Herausgeber des Bandes ist Michael Schiffmann, der seit den 90er Jahren in der Solidaritätsbewegung für Mumia aktiv ist. Er informiert in seiner Einleitung und im Nachwort über die Hintergründe der Verurteilung von Mumia, den langen Kampf gegen dessen drohende Hinrichtung und den ungebrochenen Kampf für seine Entlassung aus der Haft.
Im ersten hier veröffentlichten, hinter Gefängnismauern verfassten Essay aus dem Jahr 1982 berichtet Mumia, wie er – schwer verletzt durch den gezielten Schuss eines Polizisten – im Haftkrankenhaus aufgewacht und auch dort gleich wieder schikaniert wird. Tortur an einem hilflosen Gefangenen.
Die Texte berühren und erschüttern. Es sind Perlen eines engagierten Journalisten, der gegen die Mächtigen der Welt ankämpft und nicht nur das ihm angetane Unrecht anprangert, sondern auch all jenen eine Stimme gibt, die von der Gesellschaft vergessen und verdrängt werden. Wer diese Essays liest, spürt Mumias Hoffnung auf eine Welt, in der niemand mehr, ob aus Armut, einer »falschen« Hautfarbe oder wegen seiner politischen Auffassungen hinter Kerkermauern schmachten muss. Es sind bedrückende Beispiele, die Mumia aus der Welt des »gefängnisindustriellen Komplexes« in den USA aufflistet. Diese Charakterisierung hat er übrigens von der Wissenschaftlerin und Kommunistin Angela Davis übernommen, die in den 1970er Jahren ebenfalls unschuldig im Gefängnis saß und der ebenfalls die Todesstrafe gedroht hatte. Sie konnte durch eine internationale Solidaritätsbewegung vor dem elektrischen Stuhl gerettet werden.
Über manche Positionen von Mumia Abu-Jamal kann und sollte gestritten werden. Dazu gehören seine Texte, in denen er sich zu Israel durch die Brille der Kolonialismuskritik äußert und dabei vergisst, dass dieser Staat ein Schutzraum für von Antisemitismus bedrohte Juden aus aller Welt ist. Ebenso fragwürdig ist seine unkritische Begeisterung für die Move-Bewegung, die eine esoterische Kommune aufbauten und massiv von der Polizei und Justiz verfolgt wurden. In einem Text setzt er sich allerdings kritisch damit auseinander, dass es innerhalb dieser auf die Natur ausgerichteten und den Staat generell ablehnenden afroamerikanischen Bewegung Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe gegeben hat, was durch ausgestiegene Mitglieder bekannt wurde. In einem anderen Essay räumt er auch ein, dass die Black-Panther-Bewegung, in der Mumia als Jugendlicher politisiert worden ist, den Angriffen der Staatsapparate besser standgehalten hätte, wenn es mehr Freundlichkeit in der Partei gegeben hätte.
Über solche und viele andere Fragen sollten wir mit Mumia Abu-Jamal diskutieren, wenn er endlich das Gefängnis verlassen kann. Jetzt gilt es erst einmal für seine Freilassung zu streiten. Es wird wohl noch ein langer Kampf sein. Und dafür braucht es viele Unterstützer*innen in aller Welt. Das Buch kommt daher genau zur richtigen Zeit.
Michael Schiffmann (Hg): Mumia Abu Jamal – Texte aus dem Todestrakt. Essays eines politischen Gefangenen in den USA. Westend, 240 S., geb., 25 €.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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