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Billigkräfte vom Balkan
Eingewanderte Beschäftigte aus Südosteuropa arbeiten häufig zu Niedriglöhnen
Wer aus dem Nicht-EU-Ausland in Deutschland arbeiten will, braucht meistens ein Jobangebot sowie eine fachliche Qualifikation, um eine Arbeitserlaubnis zu erhalten. Für Menschen aus Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Nordmazedonien, Montenegro und Serbien besteht mit der sogenannten Westbalkanregelung seit 2016 die Möglichkeit, auch ohne Fachkraftstatus in Deutschland zu arbeiten. Zuvor waren die Länder zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt worden, Asylanträge von Staatsangehörigen dieser Länder werden fast immer abgelehnt. Um ein Visum über die Westbalkanregelung zu bekommen, muss der Antrag im Herkunftsland gestellt werden. Zuvor dürfen keine Asylleistungen bezogen worden sein.
Allerdings sind die Aussichten auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland nicht gerade rosig. Arbeitsmigration im Zuge der Westbalkanregelung geht nämlich oft mit Niedriglöhnen einher. Das geht aus der Antwort des Bundesministeriums für Arbeit auf eine Anfrage der stellvertretenden Vorsitzenden der Linksfraktion im Bundestag, Susanne Ferschl, hervor. So verdienten von 33 000 Vollzeitbeschäftigten Ende 2021 rund 45 Prozent weniger als 2500 Euro brutto. Auf ein Monatsgehalt von unter 2000 Euro kamen 15 Prozent. Frauen waren vom Billiglohn besonders betroffen: 34 Prozent der weiblichen Beschäftigten erhielten weniger als 2000 Euro, 64 Prozent weniger als 2500 Euro.
In der über Fachkräftemangel klagenden Bauwirtschaft ist diese Regelung beliebt. Aufgrund hoher Nachfrage wurde die ursprünglich bis 2020 befristete Arbeitsmigration vom Westbalkan bis 2023 verlängert. Einer Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zufolge arbeiteten zwischen 2016 und 2017 knapp die Hälfte (44 Prozent) der über die Westbalkanregelung eingewanderten Beschäftigten auf dem Bau. Weitere 13 Prozent fanden einen Job im Gastgewerbe, 11 Prozent im Pflege- und Sozialbereich – auch hier sind die Löhne meist niedrig.
Am 29. März beschloss die Bundesregierung, die Regelung zu entfristen und von derzeit 25 000 auf 50 000 Zustimmungen pro Jahr auszuweiten. Migrationspolitiker der Ampel-Koalition wollen darüber hinaus noch weitere Länder in die Regelung aufnehmen. So schlug etwa Hakan Demir, Berichterstatter der SPD-Bundestagsfraktion, für das Fachkräfteeinwanderungsgesetz gegenüber der »Welt« die Aufnahme der Republik Moldau, Tunesiens und Georgiens vor.
»Die Westbalkanregelung in ihrer derzeitigen Form ermöglicht die systematische Ausbeutung ausländischer Arbeitskräfte, in Branchen, in denen aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen und niedriger Löhne fast niemand mehr arbeiten möchte«, kritisierte allerdings die Linke-Politikerin Ferschl. Es sei »der reinste Hohn«, dass Arbeitgeber in der Baubranche für die einseitige Aufkündigung des Branchenmindestlohns und ihre Weigerung, für angemessene Arbeitsbedingungen zu sorgen, auch noch mit der Ausweitung und Entfristung der Westbalkanregelung belohnt würden. Die Arbeitgeberverbände der Bauwirtschaft hatten im vergangenen Jahr einen Schlichterspruch abgelehnt und damit die seit über 25 Jahren bestehende allgemeinverbindliche Lohnuntergrenze von zuletzt 12,85 Euro für die unterste Lohngruppe und 15,70 Euro für Facharbeiter in Westdeutschland gekippt.
Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels in der Bauwirtschaft sei eigentlich nichts gegen die Erleichterung von Migration zu sagen, kommentierte der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft IG BAU, Robert Feiger. »Was aber gar nicht geht, ist, dass die Unternehmen, die die Männer und Frauen einstellen, nicht tarifgebunden sein müssen. Das öffnet dem Lohndumping Tür und Tor«, sagte der Gewerkschafter. Auch Susanne Ferschl mahnte einen besseren Schutz der Beschäftigten an. Sie forderte neben der verpflichtenden Tarifbindung eine Stärkung der Arbeitsschutzkontrollen sowie eine Erleichterung des Stellenwechsels. Bisher ist ein solcher zustimmungspflichtig.
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