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Hungern für Genossen
Junge Aktivistinnen fordern Freilassung türkischer Linker
Von der Öffentlichkeit bisher weitgehend unbeachtet, befinden sich bereits seit dem 17. März zwei junge Frauen in Berlin im Hungerstreik. Damit protestieren sie unter anderem gegen die mittlerweile zehn Monate andauernde Inhaftierung der türkischstämmigen Linken Özgül Emre, Ihsan Cibelik und Serkan Küpeli in deutschen Gefängnissen.
Sie wurden am 16. und 17. Mai 2022 in ihren Wohnungen oder auf offener Straße verhaftet. Ihnen wird die Mitgliedschaft in der verbotenen türkischen Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) und damit in einer »ausländischen terroristischen Vereinigung« nach Paragraf 129b des Strafgesetzbuches vorgeworfen. Özgül Emre, die in Heidelberg lebte, soll demnach die »Deutschlandverantwortliche« der aus der Türkei stammenden linken Organisation sein. Ebenfalls unter dem Vorwurf der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung wurde am 9. Februar dieses Jahres Hasan Unutan festgenommen.
Eine der beiden Frauen, die für die Freiheit dieser vier Gefangenen und weiteren »Paragraf-129b-Gefangenen« in den Hungerstreik getreten sind, ist Berfin Özder. Die 20-Jährige kam vor vier Jahren aus der Türkei nach Deutschland und ist Sympathisantin der populären linken Musikgruppe Grup Yorum. In sozialen Medien hat sie angekündigt, insgesamt 30 Tage keine Nahrung zu sich zu nehmen. Ihre Mitstreiterin Eda Haydaroğlu geht sogar noch weiter: Sie hat einen unbefristeten Hungerstreik angekündigt. Die 22-Jährige ist bei Bielefeld aufgewachsen. Beiden geht es nach eigenen Angaben gesundheitlich bisher gut, da sie Vitamin B, Salz und Zucker zu sich nähmen.
Die drastische Protestform hätten sie gewählt, weil die Festnahme von Hasan Unutan zeige, dass sich die Repression immer weiter verschärfe, sagt Haydaroğlu zu »nd«. Den Hungerstreik hätten sie begonnen, weil voraussichtlich bald die Gerichtsverfahren gegen die seit Mai 2022 Inhaftierten beginnen. Seit Mai 2022 laufe auch eine politische Kampagne türkischer Linker, um »Öffentlichkeit gegen die Verfahren zu erreichen«, inklusive vieler Demos, sagt Haydaroğlu. »Der Hungerstreik ist der vorläufige Höhepunkt unserer Aktivitäten.« Wochentags organisieren Haydaroğlu und Özder mit Sympathisant*innen von 11 bis 18 Uhr eine Mahnwache vor dem Bundesjustizministerium. An den Wochenenden finden Kundgebungen in Berlin-Kreuzberg statt.
Für die Mahnwachen zeigten viele Passant*innen durchaus Interesse, sagen die Aktivistinnen. Gerade die Forderung nach Informationen über den Besuch von Generalbundesanwalt Peter Frank in der Türkei im vergangenen Jahr erfahre viel Unterstützung. Frank war kurz nach der Verhaftungswelle vom Mai 2022 von der türkischen Regierung eingeladen und in Ankara ausgezeichnet worden. Frank bestritt im Nachhinein öffentlich, Ankara Zugeständnisse im Hinblick auf Ermittlungen gegen Personen in Deutschland gemacht zu haben, die die türkischen Behörden als Terroristen einstufen. Der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein hatte sich über die Reise besorgt gezeigt, die Bundestagsfraktion der Linken hatte eine Anfrage an die Bundesregierung gestellt.
Özder und Haydaroğlu engagieren sich indes auch für die Rechte Linker in anderen Ländern. So hielten sie Ende März eine Kundgebung vor der italienischen Botschaft ab, bei der sie die Freilassung des in Italien inhaftierten Anarchisten Alfredo Cospito forderten. Cospito wurde 2020 zu lebenslanger Haft verurteilt und befindet sich aufgrund eines unbefristeten Hungerstreiks für bessere Haftbedingungen in Lebensgefahr.
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