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Ijoma Mangold sieht in Bitcoin ein Heilsversprechen
Literaturkritiker Ijoma Mangold ist dem Bitcoin-Hype auf den Leim gegangen
Die Corona-Jahre haben sonderbare Hobbys hervorgebracht: Manche sind vor ihrem Fernseher zu Yoga-Expert*innen geworden, andere haben Musicals über den Lockdown geschrieben, ein Student von mir hat angefangen, im Garten seiner Eltern Hühner zu züchten. Andere sind während der Pandemie aber auch auf die schiefe Bahn geraten und haben mit zu vielen Stunden vor Youtube ihre kritische Urteilskraft eingebüßt.
So etwa Ijoma Mangold, ehemaliger Literaturchef der »Zeit«, der während der Pandemie Bitcoin für sich entdeckte und nun ein Buch darüber vorgelegt hat mit dem Titel »Die orange Pille. Warum Bitcoin weit mehr als nur ein neues Geld ist«. Damit ist er spät dran. Der Bitcoin-Hype ist längst verblasst, auch wegen milliardenschwerer Betrugsfälle. Das bremst allerdings Mangolds Enthusiasmus nicht, was eine bizarre Naivität verrät.
Mangold, der selbst Geld in Bitcoin versenkt hat, möchte seine Geschichte als »intellektuelle Entdeckungsreise« verstanden wissen. Er gefällt sich in der Rolle des unwahrscheinlichen Investors, ihm geht es nicht nur um eine Anlage, sondern um eine Idee. Was an der geschilderten »Entdeckungsreise« intellektuell sein soll, erschließt sich bei der ermüdend repetitiven Lektüre nicht. Mangold wiederholt lediglich die bekannten Argumente der Bitcoin-Apologeten, bisweilen mit ein wenig Skepsis gegenüber ihren grandiosen Versprechen, doch nie stichhaltiger Kritik. Im Gegenteil kokettiert er mit der Aufgabe kritischer Distanz: »Schon bald empfand ich das leicht Sektenhafte als eigentlich ganz angenehme Eigenschaft meiner neuen geistigen Heimat«.
Die Vergeistigung des Bitcoins erschöpft sich bei Mangold mehr oder minder in der christlichen Metaphysik, die er dem Phänomen andichtet. Als Satoshi – der anonyme Erfinder von Bitcoin – seine Aufgaben jemand anderem übertrug, beschreibt Mangold das als »Petrus-Moment: Auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen«. Mehrmals geht es um die »unbefleckte Empfängnis« von Bitcoin. Wenn Mangold technische Details von Bitcoin erläutert, fühle er sich nicht unähnlich dem Heiligen Augustinus. Zentralbankalternativen zum Bitcoin seien »des Teufels«.
Die Sakralisierung eines Ponzi-Systems, das darauf ausgelegt ist, Leuten wie Mangold das Geld aus der Tasche zu ziehen, kann nur plausibel werden, wenn alles Ungute davon abgespalten wird. Es ist daher nicht verwunderlich, dass es Mangold zu den seiner Ansicht nach »wahren Bitcoinern« zieht, die sich nichts aus schnellen Gewinnen oder krummen Geschäften machen würden, sondern Idealisten gegen zentralisiertes Geld seien. Darin reflektiert sich ein Strategiewechsel in der Bitcoin-Szene: Seitdem Bitcoin eher als Verlustgeschäft gilt, besinnt man sich auf die Ursprünge der Kryptographie. Nicht wegen des großen Profits sollten die Leute investieren, sondern zur Verbesserung der Welt. Dennoch behält man sich apokalyptische Fantasien vor, wonach das »Fiat-Geldsystem« zusammen- und die Hyperbitcoinization ausbrechen werde, also alles Geld der Welt auf Bitcoin umgestellt werde. Ein solches Szenario hätte selbstredend den Vorteil, dass das eigene digitale Bitcoin-Portemonnaie (»Wallet«) auf einmal nicht mehr nutzlos, sondern viel wert wäre. Mangold: »›Siehe, ich mache alles neu‹, wie es in der Offenbarung des Johannes heißt.«
Diejenigen, die nicht auf den großen Zusammenbruch warten möchten, wollen allerdings vielleicht schon jetzt wissen: Wie verbessert Bitcoin das irdische Dasein? Mangold raunt eingangs, dass er es »nicht mehr gar so unplausibel hielt«, wenn Leute verkündeten, Bitcoin sei die Lösung für sämtliche gesellschaftspolitische Probleme. Auf eine Erklärung, was diese revolutionären Ansätze genau beinhalten, wartet man dann aber fast 200 Seiten, bis kurz vor Schluss. Viel wichtiger scheint Mangold, die Funktionsweise von Bitcoin zu erklären. Wie läuft ein dezentrales Peer-to-Peer-Netzwerk? Was ist die Blockchain? Wie viele Stellen hat das Passwort von Mangolds Wallet? Es ist ein typisches Argumentationsmuster von Bitcoin-Apologeten, grandiose Versprechen unter einem Berg technischer Fachsimpelei zu begraben. Wer nicht einsieht, was für eine bahnbrechende Erfindung die Blockchain ist, der oder die hat sie einfach noch nicht verstanden.
Dabei sind die Anwendungsfälle bestenfalls dürftig. Mangold führt etwa den US-amerikanischen Menschenrechtsaktivisten Alex Gladstein an, der zum Bitcoin-Fan geworden sei, »als er die Rolle des digitalen Geldes in Afghanistan begriff, wo Frauen zwar Handys hatten, aber kein Bankkonto führen durften: Erst durch Bitcoin gewannen sie finanzielle Autonomie«. Das erscheint gerade im Hinblick auf die drastischen Freiheitsbeschneidungen von Frauen seit der Machtübernahme der Taliban 2021 einigermaßen absurd. Anstatt für Frauenrechte zu streiten, könnte man aus Gladsteins respektive Mangolds Erkenntnis folgern, muss man die Unterdrückten nur überzeugen, mittels einer App in dubiose Parallelwährungen zu investieren, die kaum jemand annimmt.
Nicht weniger absurd sind die Antworten, die Mangold auf Kritiken parat hat. Beispielsweise gibt es ein kleines Kapitel, in dem er darauf eingeht, dass das weltweite Bitcoin-Mining etwa so viel Energie verbraucht wie ein mittelgroßes Land. Mangold beklagt hier erst mal, dass Energieverbrauch negativ konnotiert sei und sinniert, die »einstige Emanzipationstat des Prometheus, der den Göttern das Feuer entwendet und es den Menschen gebracht« hat, bekomme heute schlechte Presse. Wem das zu bescheuert ist, kann sich mit Mangold auf eine »Zukunftsvorstellung« freuen, in der »Bitcoin-Mining keine Belastung für das Klima mehr sein [würde], sondern eine Technologie, die den Ausbau der Erneuerbaren überhaupt erst großflächig rentabel macht«.
Die Ideologie des Solutionismus ist der Glaube, dass sich gesellschaftliche Probleme rein technisch lösen lassen. Sie ist das Bindeglied des zeitgenössischen Venture Capitalism in der Tech-Branche zur Mehrheitsbevölkerung. Der nächste große Durchbruch scheint hier immer nur wenige Jahre entfernt. Gesellschaftliche Veränderungen müssen nicht erkämpft werden, sie kommen automatisch, sobald selbstfahrende Autos, Neurolink, Smart Cities, Reisen zum Mars, schwimmende Städte, Künstliche Intelligenz und der Erfolg der Blockchain endlich da sind.
Wer auf diesem Ticket fährt, gibt sich dabei gerne apolitisch. Mangold betont immer wieder, dass Bitcoin als Technologie neutral sei, es aber unter Bitcoinern »rechte Libertäre« und »linke Weltverbesserer gäbe«. Ihm selbst scheint es aber am Schluss des Buches ganz minimalistisch nur um »Eigenverantwortung ohne Gegenparteienrisiko« zu gehen. Ganz glaubwürdig ist das nicht, wenn Mangold vorher Plädoyers für Deregulierung hält: »Bitcoiner machen gerade die staatlichen Interventionen verantwortlich für die faktische Umverteilung von unten nach oben.« Am traditionellen »Fiat-Geld« scheint ihn vor allem zu stören, dass der Staat Einfluss darauf nehmen kann. Beispielsweise zeigt sich Mangold erstaunt, dass Russlands Auslandsreserven in Euro und Dollar nach Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine konfisziert wurden und prognostiziert, dass doch Bitcoin in Zukunft von »Staaten als neutrale Weltreservewährung genutzt werden könnte«.
Gleichzeitig angeblich Weltprobleme zu lösen und Terrorstaaten liquide zu halten, ist für Bitcoin-Apologeten kein Widerspruch. Der Libertarismus, dem Mangold einschließlich dessen regressiver Geldkritik das Wort redet, ist eine Bewegung der Entsolidarisierung. Die gepriesene Eigenverantwortung meint dabei letztlich immer den Eigenvorteil. Anstatt Inflation etwa mit Lohnforderungen zu begegnen, weicht man auf eine private Alternativwährung aus, von der man sich (vergeblich) langfristige Stabilität erhofft. Mangold scheint hierfür jedes Problembewusstsein zu fehlen. Linke tauchen bei ihm stets als staatsfromme Karikaturen auf, nicht als politische Gruppen, die allgemeine Interessen gegen Staat und Kapital durchsetzen wollen.
Die Vereinzelung im Bitcoin wirkt außer Kraft gesetzt durch eine Szene, die vorrangig bemüht ist, möglichst viele zu begeistern. Diese Begeisterung ist jedoch rein eigennützig, sie dient der Steigerung der eigenen Investition, die man dann vielleicht zu besseren Konditionen jemandem andrehen kann, der das Glücksspiel dann fortführt.
Am Anfang des Buches gibt Mangold den Leser*innen die Aufgabe »zu entscheiden, was da mit mir passiert ist: Entweder ist die Sache substantiell oder der Verfasser ist Opfer eines ideologischen Wahns geworden«. Wenn das die zwei Optionen sind, ist für letztere zu votieren. Bitte lieber Hühner züchten.
Ijoma Mangold: Die orange Pille: Warum Bitcoin weit mehr als ein neues Geld ist. dtv, 256 S., geb., 24 €.
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