- Politik
- Ukraine-Krieg
Nach Enthauptungsvideo: Kiew fordert Unterschung
Nach der Enthauptung eines ukrainischen Soldaten will die Ukraine Russland zur Verantwortung ziehen
Es sind 100 Sekunden, die nur schwer zu ertragen sind. Seit Tagen verbreitet sich in kremltreuen Telegram-Kanälen ein Video von der Enthauptung eines mutmaßlich ukrainischen Soldaten. Der Täter, vermutlich ein Russe, wird dabei von einem anderen Kämpfer angefeuert. »Ab in den Sack und zum Kommandeur«, sagt die Stimme hinter der Kamera und erhält am Ende des Videos den abgetrennten und blutüberströmten Kopf.
Kiew fordert Untersuchung
Noch konnte die Echtheit des Videos, das vermutlich im vergangenen Sommer aufgenommen worden war, nicht bestätigt werden. Doch in der Ukraine und bei ihren Verbündeten riefen die Aufnahmen heftige Reaktionen hervor. »Es gibt etwas, das niemand in der Welt ignorieren kann: wie leicht diese Tiere töten. Die ganze Welt muss das Video der Enthauptung des ukrainischen Gefangen sehen. Das ist ein Video von Russland, wie es ist. Das ist keine Episode, so war es schon vorher. So war es in Butscha, tausende Male«, kommentierte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj das Video und kündigte an, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. »Wir haben nicht vor, irgendetwas zu vergessen und den Mördern zu verzeihen. Sie werden sich für alles vor dem Gesetz verantworten.« Auch die UN-Menschenrechtsbeobachtermission in der Ukraine erklärte, die jüngsten Ereignisse müssten untersucht werden.
Auf Twitter verglich der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba Russland mit der Terrororganisation Islamischer Staat. Der einzige Unterschied sei, dass Russland im UN-Sicherheitsrat sitze. Die »russischen Terroristen müssen aus der Ukraine und der UN verjagt werden«, forderte Kuleba. Die ukrainische Führung fordert seit einiger Zeit Russlands Rauswurf aus dem UN-Sicherheitsrat. Auch der neue tschechische Präsident Petr Pavel verglich am Donnerstag Russland mit dem Islamischen Staat.
Peskow glaub an Fake-Welt
In Russland fielen die Reaktionen auf das Enthauptungsvideo überraschend zurückhaltend aus. Mehrere Kanäle von Kriegsunterstützern erinnerten an Videos ukrainischer Kriegsverbrechen und stellten die Frage, wem dieses Video nütze und warum es ausgerechnet jetzt erscheine. Alexej Miltschakow, Kommandeur einer rechtsradikalen Kampfgruppe auf Seiten des Kreml, schrieb von noch mehr ähnlichen Videos, die auftauchen könnten.
Kremlsprecher Dmitrij Peskow sprach von einer »Welt voller Fakes, in der wir leben«. »Zunächst müssen wir die Echtheit dieser schrecklichen Bilder überprüfen. Es sind unzweifelhaft schreckliche Bilder. Anschließend kann das natürlich ein Anlass sein, zu überprüfen, ob es so ist«, so Peskow. Am Donnerstag kündigte das russische Ermittlungskomitee eine Untersuchung des Videos an. Dabei geht es jedoch nicht um die Tat auf den Bildern, sondern um die Frage, wie das Material ins Netz gelangte.
Hinweise auf Wagner-Kämpfer
Bereits kurz nach der Veröffentlichung des Videos kamen Vermutungen auf, dass es sich bei dem Täter um einen Söldner der Privatarmee Wagner handelt. In einem Telefonat mit der Menschenrechtsorganisation Gulagu.net legte sich der ehemalige Wagner-Kämpfer Andrej Medwedew, der nach seiner Flucht aus Russland in Norwegen Asyl beantragt hatte, fest, dass Wagner für die Tat verantwortlich sei. »Das sind zu 100 Prozent Wagner-Leute«, sagt Medwedew in einem Video, das auf Youtube veröffentlicht wurde. Die verwendete Sprache und die Kampfnamen, die in der Aufzeichnung zu hören seien, ließen keinen anderen Schluss zu, so der Ex-Söldner.
Auf Telegram veröffentlichte Gulagu.net einen anonymen Hinweis, der ebenfalls auf Wagner hindeutet. Gerüchten zufolge wollten die Kommandeure mit solchen Verbrechen die Ukraine reizen und ein Signal an die Söldner senden, die sich damals vermehrt in ukrainische Kriegsgefangenschaft begeben hätten, so der Hinweisgeber. Damit sollte Angst in den eigenen Reihen geschürt werden. Möglich ist auch, dass es sich bei dem Opfer um einen ehemaligen Söldner handelt, ist doch im Video eine ukrainische Aufenthaltsgenehmigung zu sehen.
Wagner-Gründer Jewgenij Prigoschin äußerte sich am Donnerstag erstmals zum Enthauptungsvideo und stritt eine Beteiligung seiner Söldner erwartungsgemäß ab. Es sei schlecht, wenn man Menschen den Kopf abschneide, doch im Video gebe es weder Hinweise auf Bachmut noch auf Wagner-Kämpfer, erklärte Prigoschin über seinen Pressekanal.
Ukraine behauptet, Täter zu kennen
Die Ukraine nahm bereits am Mittwoch die Untersuchungen auf. »Wir finden diese Unmenschen. Wenn es sein muss, finden wir sie, egal wo, ob unter der Erde oder im Jenseits«, erklärte der Leiter des Inlandsgeheimdienstes SBU, Wasyl Maljuk, am Mittwoch. Bereits am Donnerstag verkündete Dmytro Lubinez, Menschenrechtsbeauftragter der ukrainischen Regierung, gegenüber der Nachrichtenseite Radio Swoboda, dass der Name des Täters und der Tatort bekannt seien. Einzelheiten, etwa ob es sich um einen Wagner-Söldner handelt, nannte er nicht.
Möglicherweise werden die ukrainischen Behörden in den kommenden Tagen über weitere Täter sprechen. Denn kurz nach dem verstörenden Video tauchten weitere Aufnahmen eines enthaupteten Soldaten auf einem Feld auf. Bereits zuvor war auf russischen Propagandakanälen ein Bild eines aufgespießten Kopfes vor einem Wohnhaus kursiert. Die Hintergründe sind unklar.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.