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Harnsteine: Schlimmer als eine Geburt
Der Urologe Axel S. Merseburger über Möglichkeiten, Harnsteine und damit auch Koliken zu vermeiden
Sind Harnsteine tatsächlich eine Volkskrankheit?
Der Urologe Axel S. Merseburger (46) ist Direktor der Klinik für Urologie an der Universitätsklinik Lübeck. Er erklärt, wie sich Harnsteine behandeln lassen und was Patienten selbst tun können. Der Mediziner ist auch Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Urologie.
Ja. Gerade in den westlich geprägten Industrienationen haben Harnsteinleiden deutlich zugenommen. Die Häufigkeit hat sich in Deutschland in den letzten zehn Jahren ungefähr verdreifacht. Jeder 20. Deutsche ist zumindest einmal in seinem Leben von einem Harnsteinleiden betroffen. Etwa 1,2 Millionen Menschen hierzulande sind momentan in Behandlung oder haben gerade eine Behandlung hinter sich.
Warum sind die Zahlen so enorm gestiegen?
Hauptgrund ist, dass immer mehr Menschen übergewichtig sind und sich zu wenig bewegen. Gleichzeitig steigt die Lebenserwartung. Negativ hat sich auch die Pandemie ausgewirkt, da viele Leute in dieser Zeit weniger aktiv waren und dadurch tendenziell zugenommen haben. In Regionen, in denen Untergewicht herrscht, gibt es kaum Nieren- und Harnsteine.
Warum führt Übergewicht zu Harnsteinen?
Wenn man viele Kalorien zu sich nimmt, hat man auch viele Harnstein-bildende Substanzen im Urin. Oft gehört zu ungesunder Ernährung auch, dass wenig getrunken wird – oder wenn, dann das Falsche, etwa zuckerhaltige Getränke. Die Kombination aus falscher Ernährung und geringer Trinkmenge kann dazu führen, dass sich mineralische Ablagerungen im Harntrakt bilden und daraus Steine entstehen. Sie bestehen am häufigsten aus Kalziumoxalat, es kann aber auch Harnsäure, Kalziumphosphat oder Zystin sein.
Wie sehr kommt es auf die Gene an?
Gene spielen in der Regel eine untergeordnete Rolle. Ausnahme sind Zystinsteine, die aber selten sind: Hier bewirkt ein erblich bedingter Stoffwechseldefekt, dass der Körper den Eiweißbaustein Zystin nicht ins Blut aufnehmen kann, sondern im Urin sammelt. Daraus entstehen dann die Steine. Die Patientinnen und Patienten müssen viel trinken, nämlich mindestens vier Liter am Tag.
Wie entstehen die manchmal extrem starken Schmerzen?
Meistens bereiten die Steine keine oder nur unspezifische Beschwerden, etwa ein leichtes Ziehen in der Niere. Etwa 70 Prozent der Steine gehen auch von selbst ab – oft ohne dass Patienten das bemerken. Wenn sich ein Stein aber im Harnleiter festsetzt, entstehen die typischen Koliken. Frauen sagen, das sei viel schlimmer als eine Geburt – nämlich so, als würde einem ein Messer in die Flanke gestochen. Die Patienten krümmen sich, haben kolikartige, immobilisierende Schmerzen, erbrechen sich zum Teil, haben kalten Schweiß. Typisch ist, dass die Schmerzen intervallartig einsetzen und nachlassen. Je nachdem, wo der Stein steckt, können sie in die Flanken, in den Unterbauch, in die Hoden oder die Schamlippen ziehen, mit Harndrang einhergehen, manchmal auch mit Blut und Harnwegsinfektionen. Wenn dieser Zustand länger andauert und der Urin sich aufstaut, kann im schlimmsten Fall eine Blutvergiftung entstehen.
Muss man auch etwas unternehmen, wenn die Steine zufällig entdeckt werden?
Zufällig entdeckt man Steine eher selten – außer bei Vorsorgeuntersuchungen. In solchen Fällen muss man sehen: Wie alt ist der Patient? Was für Beschwerden hat er? Hat er weitere Erkrankungen? Handelt es sich um einen Stein, der schnell zu einer Kolik führen kann? Es gibt Patienten, die seit Jahren einen kleinen Stein in der Niere haben, ihn aber nicht entfernen lassen möchten. Sie kommen dann einmal pro Jahr zur Kontrolle. So etwas kann man durchaus machen. Dann gibt es aber auch Patienten, vor allem Patientinnen, die häufig Harnwegsinfektionen haben und bei denen man einen Stein entdeckt. Hier kann es sich um einen sogenannten Infektstein handeln, an dem Bakterien siedeln. Wenn man solche Steine nicht behandelt, bleiben auch die Infekte nicht aus.
In welchen Fällen muss man noch handeln?
Eine Kolik, ein Harnstau oder eine drohende Blutvergiftung sind urologische Notfälle, in denen entsprechend gehandelt werden muss. Bei einem Harnstau wird die Niere zuerst abgeleitet, entweder von innen über eine Schiene im Harnleiter oder von außen über eine sogenannte Nierenfistel. Dann sollte man auf jeden Fall auch den Stein behandeln. Es gibt Harnsäuresteine, die sich durch Medikamente auflösen lassen. Steine, die nur in der Niere sind, kann man mit einer Stoßwellentherapie behandeln. Ansonsten kann man über die Harnleiter Steine bergen oder von außen über einen stiftgroßen Zugang rausholen.
Sind das normalerweise minimal-invasive Eingriffe?
Ja. Offen Steine zu operieren, wird heute ganz selten gemacht – nur dann, wenn alles andere nicht geht und versagt hat. Das habe ich in den letzten fünf Jahren einmal erlebt.
Wie kann man Nierensteinen vorbeugen?
Man sollte viel trinken, also mehr als zwei Liter, und das möglichst über den Tag verteilt, sodass die Nieren gut durchspült werden. Außerdem sind eine ausgewogene Ernährung, der Abbau von Übergewicht und regelmäßige Bewegung wichtig. Das hilft schon sehr viel. Wenn man als Arzt nach der ersten Harnsteinanalyse weiß, um welche Art von Stein es sich handelt, kann man Patienten gezielt beraten. Am häufigsten sind Kalziumoxalatsteine. Hier ist es wichtig, nicht zu viele oxalathaltige Lebensmittel wie Rhabarber, Spinat oder schwarzen Tee zu sich zu nehmen. Bei Harnsäuresteinen kommt es vor allem auf Gewichtsreduktion an und darauf, weniger harnsäurereiche Lebensmittel wie zum Beispiel rotes Fleisch zu essen. Zudem kann man den Urin alkalisieren, und zwar mit leichten Medikamenten und auch durch die Ernährung. Bei Infektsteinen ist es wichtig, den Grund dafür zu finden, aus dem die Patientin oder der Patient diese Steine bekommt. Schwieriger ist es mit der Zystinstein-Erkrankung, die sich nicht heilen lässt. Da müssen Patienten wirklich sehr viel trinken und außerdem nicht so viel tierisches Eiweiß zu sich nehmen.
Es ist also ganz unterschiedlich, was man empfiehlt?
Ja, und deshalb versagt auch Dr. Google häufig. Sie brauchen doch ein wenig Facharztwissen, um zu beraten. Wenn ich Steine hätte, würde ich mindestens einmal jährlich zur Kontrolle zum Urologen gehen und mich auch beraten lassen. Es kommt ganz darauf an, um was für Steine es sich handelt und auch darauf, welche Gewohnheiten der Patient hat. Es ist daher wichtig, eine Anamnese zu machen, also den Patienten ausführlich zu beraten.
Wie viel lässt sich mit einer Lebensstiländerung erreichen?
Sehr viel. Wenn man sich um nichts kümmert, beträgt das Risiko, wieder einen Stein zu bekommen, etwa 50 Prozent. Durch Gewichtsreduktion, viel trinken, bewusste Ernährung und Bewegung lässt sich dieses Risiko halbieren.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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