Ein Geschoss aus der Ukraine

Berliner Bezirk Neukölln hilft der Stadt Perwomaisk

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.
Mit diesen Erinnerungsstücken revanchierte sich Perwomaisk für die geleistete Hilfe.
Mit diesen Erinnerungsstücken revanchierte sich Perwomaisk für die geleistete Hilfe.

Im Rixdorf-Salon des Berliner Rathauses Neukölln liegt eine polierte Geschosshülse auf einer ukrainischen Flagge. »Für die Stadt Neukölln von der Stadt Perwomaisk mit Freundschaft und gegen Krieg!«, ist auf einem Schild an der goldglänzenden Hülse eingraviert. Auf der Fahne haben Soldaten aus Perwomaisk unterschrieben. »Unser Leben für Freiheit und Frieden!«, lautet ihre Losung. Und: »Ruhm der Ukraine«.

Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) brachte die beiden Stücke vor einigen Wochen von der ukrainischen Grenze mit. Das kam so: Im vergangenen Jahr war ein Hilferuf eingetroffen. Bei einem Fußballturnier mit einer Mannschaft in der westukrainischen Großstadt Lwiw wurde ein Brief des Bürgermeisters von Perwomaisk übergeben und dann übersetzt. Die Kommune liegt im Krieg mit Russland nicht allzu weit hinter der Front. Wichtige Dinge, die auch Zivilisten benötigen, wurden für das Militär abgezogen. Neukölln reagierte und sammelte unter anderem bei einer Spendengala im Erlebniszirkus Mondeo Geld für eine Feldküche, Generatoren und andere Hilfsgüter. Die wurden dann mit einem Laster an die polnisch-ukrainische Grenze geschafft und dort am 1. April von Bezirksbürgermeister Hikel an den Perwomaisker Bürgermeister Oleh Demtschenko übergeben. Schon einen Tag später erreichte die Hilfslieferung ihr Ziel.

Das soll nicht alles gewesen sein. Pervomaisk kann noch dringend einen Krankenwagen gebrauchen. Neukölln hat einen organisiert. Der werde gegenwärtig noch aufgearbeitet und dann zu den neuen Freunden gebracht, kündigt Politiker Hikel am Mittwoch an, kurz bevor Oleg Demtschenko am frühen Abend eine Rede in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) hält. Denn am 1. April von Hikel eingeladen, ist Demtschenko mit einer kleinen Delegation nach Berlin gekommen, begleitet unter anderem von seinem Stellvertreter.

»Jetzt in der Kriegszeit sind wir auf jede Unterstützung angewiesen und sind froh über jeden Cent«, erklärt Demtschenko vor seiner Rede bei einem Pressetermin im Rixdorf-Salon. Es sollen in Perwomaisk Spielplätze für die Kinder gebaut werden – und Geräte dafür wären schön. Auch jegliche Hilfsgüter für Flüchtlinge wären willkommen. Denn Perwomaisk, das 78 000 Einwohner zählt, habe zusätzlich zahlreiche Binnenflüchtlinge aufgenommen, erzählt Demtschenko. 7000 seien registriert, doch seien es tatsächlich schätzungsweise 20 000. Darüber fehle der genaue Überblick. Denn manche seien weitergezogen und andere in die von den russischen Truppen befreiten Gebiete zurückgekehrt.

Auch der Bezirk Neukölln vermag nicht anzugeben, wie viele ukrainische Kriegsflüchtlinge hier seit dem russischen Angriff im Februar 2022 eingetroffen sind. Die Schätzungen zu den privat Untergekommenen reichen von 2800 bis 6000. In den Asylunterkünften leben gegenwärtig 1865 Menschen. Aber das sind längst nicht nur Ukrainer. Fakt ist, dass 525 ukrainische Flüchtlingskinder in Neukölln die Schule besuchen und weitere auf Wartelisten stehen.

Beide Bürgermeister wünschen sich eine Partnerschaft über den Krieg hinaus. Vielleicht gibt es Firmen, die in Perwomaisk investieren wollen, wenn Frieden herrscht. Sie könnten so beim Wiederaufbau helfen, überlegt Demtschenko. Im Moment erlebe die Ukraine »eine schwere Zeit«. Am 1. April bei der Übergabe der Hilfsgüter hat Martin Hikel etwas von der Freiheit der westlichen Welt gesagt, die verteidigt werde.

Doch der Neuköllner Linksfraktion sind Zweifel gekommen, ob der ukrainische Bürgermeister Demtschenko westliche Werte teilt. Im Internet ist sie auf Berichte gestoßen, dass die Bezüge des Bürgermeisters im März vom Rat seiner Stadt um 180 Prozent erhöht wurden. Wegen kritischer Berichterstattung darüber habe Demtschenko einen Journalisten angerufen und beschimpft, beleidigt und bedroht. Außerdem soll er noch eine Journalistin unter Druck gesetzt haben.

»Einem Mann, der Journalistinnen und Journalisten einschüchtert und so die Pressefreiheit mit Füßen tritt, sollten wir nicht die Ehre erweisen, vor der Neuköllner BVV zu sprechen«, meint Linksfraktionschefin Carla Aßmann. »Bürgermeister Demtschenko hat sich mit Gewaltdrohungen und antisemitischen, homophoben Beleidigungen gegen Journalisten disqualifiziert.« Ausdrücklich unterstütze Die Linke die zivile Hilfe für die Ukraine und den Austausch mit der Stadt Perwomaisk, stellt Aßmanns Fraktion ausdrücklich klar.

Er habe sich entschuldigt, versichert Oleg Demtschenko. »Es gibt immer Auseinandersetzungen und Diskussionen unter politischen Kräften«, beschwichtigt er. Jetzt, wo Wahlen anstünden, spitze sich die Situation zu. Es handele sich um eine politische Provokation, verursacht von seinem ehemaligen Pressechef, mit dem er sich überworfen habe.

Man sieht Demtschenko und seinem Stellvertreter an, dass sie sich ärgern. Der Bürgermeister redet sich etwas in Rage. Sozialdemokrat Hikel stoppt und beruhigt ihn. Dann sagt Hikel, er finde es »befremdlich«, dass Die Linke so eine Diskussion »vom Zaun gebrochen« habe.

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