Entwurf zum Selbstbestimmungsgesetz ist diskriminierend

Sollte der Entwurf zum Selbstbestimmungsgesetz in der vorliegenden Form zum Gesetz werden, könnte das fatale Folgen haben, warnt Sibel Schick

  • Sibel Schick
  • Lesedauer: 3 Min.

Am Freitag gaben das Bundesjustiz- und das Bundesfamilienministerium den Referent*innenentwurf für ein Selbstbestimmungsgesetz in die regierungsinterne Abstimmung. Das Selbstbestimmungsgesetz ist eines der Versprechen der Ampelregierung und wurde im Koalitionsvertrag vereinbart. Es soll trans Menschen rechtlich stärken und Hürden beseitigen, die ihnen ein selbstbestimmtes Leben erschweren. So lautet zumindest der Anspruch. Doch aus dem nun bekanntgewordenen Referent*innenentwurf geht eine rechtliche Verschlechterung hervor.

Im Grunde ist zu erkennen: Transfeindlichkeit liegt im Trend, und die Arbeit zahlreicher TERFs, sprich transfeindlicher radikaler »Feminist*innen«, trägt Früchte. So wurde in dem Entwurf auf beinahe alle vermeintlichen Befürchtungen dieser Leute eingegangen und ihre transfeindlichen Argumente in den Entwurf mit aufgenommen. Er liefert trans Personen damit Willkür im Alltag aus und begrenzt Möglichkeiten, sich juristisch zu wehren, weil das Gesetz, das sie eigentlich schützen und stärken sollte, diskriminierend ist.

Sibel Schick
Sibel Schick ist Autorin und Journalistin. Sie wurde 1985 in der Türkei geboren und zog 2009 nach Deutschland. Für »nd« schreibt sie die monatliche Kolumne »In schlechter Gesellschaft«. Darin schreibt Schick gegen das Patriarchat und den Rassismus der weißen Mehrheitsgesellschaft an. Alle Texte unter dasnd.de/gesellschaft.

So werden beispielsweise öffentliche Toiletten und Umkleidekabinen in dem Entwurf als potenziell gefährliche Orte erwähnt, sollten trans Personen diese betreten dürfen. Betreiber*innen, die sich transfeindlich verhalten und trans Personen ausschließen möchten, dürften dies ohne juristische Konsequenzen tun. Denn: »Auch zukünftig können Personen nach einer Änderung des Geschlechtseintrags nicht lediglich unter Berufung auf den Eintrag im Personenstandsregister eine bestimmte Behandlung und zum Beispiel den Zugang zu geschlechtsspezifischen Toiletten oder Umkleideräumen verlangen«, heißt es in dem Entwurf. Und weiter: »In einer unterschiedlichen Behandlung zweier Personen, die im Personenstandsregister als Angehörige desselben personenstandsrechtlichen Geschlechts eingetragen sind, kann zwar eine Benachteiligung liegen; diese kann aber nach den Vorgaben des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes gerechtfertigt sein.« Das liest sich, als wäre die Diskriminierung von trans Personen unter gewissen Umständen absolut in Ordnung.

Die »Toilettendebatte« wird in den USA seit über zehn Jahren geführt. Dort gaben 2015 59 Prozent der befragten trans Personen an, aus Angst um ihre Sicherheit öffentliche Toiletten zu meiden. Laut eines Berichts der Antidiskriminierungsstelle des Bundes vermeiden 15 Prozent der befragten trans Personen die Toilettennutzung auf der Arbeit. Die Realität ist also das Gegenteil davon, was im Referent*innenentwurf dargestellt wird. Er birgt so die Gefahr, transfeindliche Propaganda zum Gesetz zu machen.

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat noch vor wenigen Wochen Schlagzeilen mit Äußerungen über trans Frauen in der Sauna gemacht. Auch dieses Szenario fand Platz in dem Entwurf: »Denkbar ist es für den Inhaber des Hausrechts, etwa auf das natürliche Bedürfnis nach dem Schutz der Intimsphäre oder auch auf die Befürchtung einer Belästigung oder sexuellen Belästigung Rücksicht zu nehmen«, heißt es darin. Trans Frauen werden so als potenzielle Sexualstraftäterinnen diffamiert, ja dämonisiert. Tatsächlich hat die Darstellung von trans Frauen als Gefährderinnen eine lange Tradition, insbesondere in Hollywood-Filmen.

Der Entwurf nimmt auch weitere transfeindliche Nebenschauplätze in der Debatte um ein Selbstbestimmungsgesetz auf: Im Kontext von Frauenhäusern, -parkplätzen und -sport wird willkürlichen Menschen ein Ermessensraum darüber gegeben, wer eine Frau und wer ein Mann ist. Die Kulturwissenschaftlerin Lou Kordts kritisiert das auf Twitter zutreffend: »Das Transsexuellengesetz hat Personen der Willkür von Gutachter*innen ausgesetzt, um einen anderen Namen und Personenstand zu bekommen. In dem Selbstbestimmungsgesetz werden cis Personen zu willkürlichen Gutachter*innen erklärt, die Personenstände geflissentlich ignorieren können.«

Sollte der Entwurf des Selbstbestimmungsgesetzes in der hiesigen Form zum Gesetz werden, könnte das fatale Folgen haben. Mit Selbstbestimmung hat das wirklich wenig zu tun.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -