Regionalverkehr: Surren statt dröhnen

Ende 2024 soll die Heidekrautbahn die Antriebswende schaffen – die Wiederinbetriebnahme der Stammstrecke kommt wohl später

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 6 Min.
Nicht nur mit neuem Lackschema glänzen die künftigen Züge für die NEB. Sie sind auch deutlich leiser und beschleunigen schneller als Dieselmodelle.
Nicht nur mit neuem Lackschema glänzen die künftigen Züge für die NEB. Sie sind auch deutlich leiser und beschleunigen schneller als Dieselmodelle.

Die sogenannte Stammstrecke der Heidekrautbahn von Basdorf nach Berlin-Wilhelmsruh wird wohl nicht wie bisher geplant im Dezember 2024 den Fahrgastbetrieb aufnehmen. »Es ist tatsächlich ein sehr kritischer Pfad inzwischen«, sagt Detlef Bröcker, Geschäftsführer der Betreibergesellschaft Niederbarnimer Eisenbahn (NEB). Denn im laufenden Planfeststellungsverfahren sei man gerade dabei, die nach der öffentlichen Auslegung der Pläne eingegangenen Einwendungen zu beantworten.

Davon habe es laut Bröcker »deutlich mehr als erwartet« gegeben, vor allem von den Trägern öffentlicher Belange seien es »nicht wenige« gewesen. Das sind Behörden und Infrastrukturbetreiber. 72 Stellungnahmen öffentlicher Träger und 158 private Einwendungen zählt man insgesamt.

Im Zuge der Planung war vor allem Kritik an teilweise fehlenden Querungen laut geworden. Die NEB hatte entlang der 14 Kilometer langen Strecke bereits mit zusätzlichen Übergängen für den Fuß- und Radverkehr reagiert. Heute wird das Gleis an vielen Stellen illegal gequert. Denn es ist weiterhin in Betrieb, wird aber nur sporadisch für langsame Güterzüge zur Anbindung des Stadler-Schienenfahrzeugwerks in Wilhelmsruh genutzt. Unter anderem die neuen Berliner U- und S-Bahnen werden auf dieser Strecke überführt. Mit dem künftigen Stundentakt und dem Ausbau auf bis zu Tempo 80 steigt das Unfallpotenzial jedoch enorm.

Das Bündnis Schiene Berlin-Brandenburg hatte in seiner ausführlichen Einwendung die Planung als »rudimentäre Sparlösung« kritisiert. Planerisch müssten ein zweigleisiger Ausbau, die Elektrifizierung mit Oberleitung und eine Höchstgeschwindigkeit von 120 Kilometern berücksichtigt werden, so die Forderung des Zusammenschlusses von Initiativen, Verbänden und Kammern. Schließlich erhalte die Berliner Großsiedlung Märkisches Viertel mit ihren rund 45.000 Einwohnenden damit eine hochwertige Schienenanbindung, die mindestens einen Viertelstundentakt erfordere. Derzeit ist perspektivisch eine Verdichtung auf einen Halbstundentakt vorgesehen.

Doch elektrisch sollen die Züge auch ohne Fahrdraht auf dem gesamten Netz der Heidekrautbahn ab Ende 2024 fahren – über den Umweg Wasserstoff. Das ist auch das eigentliche Thema der Online-Pressekonferenz am vergangenen Mittwoch. Sieben Wasserstoffzüge des Herstellers Siemens sollen bis dahin im NEB-Betriebswerk in Basdorf stationiert und betriebsbereit sein.

»Das ist bundesweit etwas ganz Besonderes, vor allem weil es grüner Wasserstoff ist. Nicht Industrieabfälle wie in den anderen Regionen«, sagt Thomas Dill, der zuständige Bereichsleiter im Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB). In den Zügen wird das Element mittels einer Brennstoffzelle in Strom umgewandelt, der einerseits direkt Elektromotoren antreibt und andererseits auch einen Akku auflädt, allerdings nur bis maximal 75 Prozent, wie Dill erläutert. Die restliche Akkukapazität ist dem beim Bremsen zurückgewonnenen Strom vorbehalten.

Mit dem Projekt Wasserstoffschiene Heidekrautbahn soll der hier wirklich fossilfreie Treibstoff in Zusammenarbeit mit den Kreiswerken Barnim und dem Energieerzeuger Enertrag breit erprobt werden. Der Bund und das Land Brandenburg haben bereits fast 40 Millionen Euro Fördermittel zugesagt. Bei Wensickendorf soll eine Elektrolyseanlage aus Ökostrom Wasserstoff erzeugen, neben bereits bestehenden Windrädern möchte Enertrag dafür am dortigen Standort zusätzlich eine Photovoltaikanlage errichten. Die Kreiswerke sind für den Bau und Betrieb der H2-Tankstelle in Basdorf zuständig, die künftig auch für die Betankung von Müllfahrzeugen und Bussen genutzt werden soll. Für schwere Nutzfahrzeuge, die im Überlandverkehr auch weite Strecken zurücklegen, bietet die Akkutechnologie auch perspektivisch zu wenig Energievorrat, um das Tagespensum ohne Nachladung absolvieren zu können. Weder Enertrag noch die Kreiswerke haben bisher Anfragen von »nd« beantwortet, ob der bisherige Zeitplan mit Betriebsaufnahme Ende 2024 zu schaffen ist.

Zwölf Fahrradabstellplätze pro zweiteiligem Siemens-Triebzug vom Typ Mireo plus H mit drei Türen sollen künftig zur Verfügung stehen. Um möglichst wenig Zeit mit dem Verladen der Räder zu verlieren, soll eine Tür für das Einladen genutzt werden, die benachbarte Tür für das Ausladen. Damit könnte das an Zwischenhalten parallel geschehen. »Fahrgastfluss« nennt sich das Prinzip, das ohne enge Betreuung meist mäßig gut funktioniert. »Wir werden das kommunizieren und hoffen auf erzieherische und Lerneffekte«, sagt NEB-Geschäftsführer Bröcker.

Er muss einräumen, dass die neuen Züge mit 134 Sitzplätzen 22 weniger haben als die derzeitigen dreiteiligen Dieseltriebwagen. Er stellt in Aussicht, dass stark ausgelastete Fahrten künftig in Doppeltraktion verkehren werden, immerhin verfüge man künftig über zwei Fahrzeuge mehr als bisher. Allerdings steigt auch der Bedarf durch die neue Strecke und den durch die Wiederinbetriebnahme erwarteten Fahrgastanstieg im Gesamtnetz. Um rund 40 Prozent auf 6000 Passagiere täglich soll er laut den Projektionen steigen.

»Ich bin schon ganz aufgeregt«, sagt Dill vom VBB. Nicht nur wegen der sieben Wasserstoffzüge für die Heidekrautbahn. Denn weitere 31 Züge liefert Siemens bis Ende 2024 für den Betrieb des Regionalbahnnetzes Ostbrandenburg. Auf neun Linien im Gebiet zwischen Berlin, Templin, Prenzlau, Frankfurt (Oder) und Königs Wusterhausen sollen sie den Betrieb übernehmen. Die Elektrofahrzeuge vom Typ Mireo plus B sollen ihre Energie entweder direkt aus der Oberleitung oder, wo diese nicht vorhanden ist, aus zwei Akkus beziehen. Bis zu 120 Kilometer Reichweite verspricht der Hersteller im Batteriebetrieb.

»Ich hoffe, dass die NEB die Kraft und den Mut hat, die Fahrzeuge in den Betrieb zu bringen«, sagt Dill. Denn hier wird neben den Zügen auch neue Infrastruktur nötig sein. In Wriezen, Templin, Werneuchen und Beeskow muss die NEB Ladestellen errichten. »Ungewöhnlich« nennt das deren Geschäftsführer Bröcker, wenn ein Zugbetreiber auch dafür verantwortlich sei.

Doch eingebrockt hat man sich das selbst. Denn das Unternehmen hatte den Akkubetrieb auch für zwei Linien angeboten, bei denen der VBB das in seiner Ausschreibung nur optional vorgesehen hatte. »Wir haben gesehen, dass es Linien gibt, wo es schwierig wird«, begründet Dill das Vorgehen des Verbunds. »Wir sind total glücklich, dass RB36 und RB60 auch mit Akkuzügen betrieben werden.« Die beiden Linien bilden zusammen einen Halbring von Königs Wusterhausen über Frankfurt (Oder) nach Eberswalde. Elektrifiziert sind bisher nur die Gleise in den drei genannten Bahnhöfen.

Die Wartung der neuen Akkuzüge werde die Deutsche Bahn in ihrem Werk in Berlin-Lichtenberg übernehmen, kündigt NEB-Chef Bröcker an. Sein Unternehmen hat bisher nur Erfahrung mit Dieseltriebwagen. Die sollen künftig nur noch auf der RB26 von Berlin nach Kostrzyn zum Einsatz kommen. Auf der einst als Ostbahn bis ins ehemalige Königsberg, das heutige Kaliningrad, gebauten Strecke fahren zum Kummer der Reisenden die unzuverlässigen Triebzüge des polnischen Herstellers Pesa. Die Wahl fiel unter anderem auf diesen Typ, weil er die für die letzten Kilometer hinter der Oder nötige polnische Zulassung hat. Die zuständige Behörde im Nachbarland ist in diesem Zusammenhang bekannt für ausufernde Prozeduren.

Die inzwischen als Oderlandbahn bezeichnete Strecke soll mit der Neuvergabe des Betriebs ab Ende 2036 als letzte im VBB ihren Dieselbetrieb verlieren. »Wir wollen die Ostbahn zweigleisig haben, elektrifizieren – spätestens 2036«, verkündet Thomas Dill große Pläne. Ein auch zeitlich mutiges Vorhaben, denn bisher verweigerte der Bund die Aufnahme des Projekts in den Bundesverkehrswegeplan, obwohl Politiker angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine inzwischen auf die strategische Bedeutung der Strecke verweisen.

Auch in Richtung Nordwesten will der VBB keine halben Sachen mehr machen. »Momentan sind wir beim Prignitz-Express so unterwegs, dass wir die Strecke voll elektrifizieren wollen«, sagt Dill. Erst 2022 haben Berlin und Brandenburg das Projekt einer Teilelektrifizierung von 90 der knapp 140 Kilometer des RE6 von Berlin nach Wittenberge mit Einsatz von Akkuzügen vorgestellt. »Wasserstoff und Batterie sind für uns Brückentechnologien bis zur Elektrifizierung«, so Dill über die aktuelle VBB-Philosophie.

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