- Wirtschaft und Umwelt
- Diskussion um die Vier-Tage-Woche
Keine kleine Avantgarde: 81 Prozent wünschen eine Vier-Tage-Woche
Überwältigende Mehrheit der Vollzeitbeschäftigten wünschen sich laut Umfrage eine Vier-Tage-Woche
Am Donnerstagabend schon ins Wochenende starten und drei Tage die Woche frei haben, statt fünf arbeiten zu müssen – diese Vorstellung hört sich für die Beschäftigen verlockend an und ist im Zuge der Debatte um die Vier-Tage-Woche etwas realistischer geworden. Geht es nach rund 81 Prozent der Vollzeitbeschäftigten, dann sollte dies auch Realität werden. So viele wünschen sich einer Erwerbstätigenbefragung der Hans-Böckler-Stiftung zufolge eine Vier-Tage-Woche, wie die gewerkschaftsnahe Organisation am Montag mitteilte.
Ausgelöst hat die aktuelle Debatte die IG Metall in Nordrhein-Westfalen. »Wir wollen eine echte Entlastung für die Beschäftigten erreichen, ohne dass sie deshalb weniger verdienen«, kündigte deren Bezirksvorsitzender Knut Giesler Anfang April an, in den bevorstehenden Tarifverhandlungen in der Stahlindustrie die Einführung einer Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich zu fordern. Konkret forderte er die Absenkung der Wochenarbeitszeit von 35 auf 32 Stunden. Statt fünf Tage die Woche sieben, sollen also künftig an vier Tagen acht Stunden gearbeitet werden.
Rund um den 1. Mai mehrten sich die Stimmen, die eine Vier-Tage-Woche fordern. »Zuallererst brauchen wir die Vier-Tage-Woche für Berufe, in denen kein Homeoffice möglich ist, wie auf Baustellen. Und für Schichtarbeit«, sagte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann »Bild am Sonntag«. Auch SPD-Chefin Saskia Esken sagte, sie könne sich eine Vier-Tage-Woche mit Lohnausgleich »gut vorstellen«.
Bei Arbeitgebern und der CDU kam dieser Vorstoß nicht gut an. »Die aktuell diskutierte Forderung der Gewerkschaften beim Thema Arbeitszeitverkürzung auf eine Vier-Tage-Woche ist wirtschaftlich völlig verantwortungslos«, erklärte der Präsident des Arbeitgeberverbandes BDA, Rainer Dulger. »Unser Wohlstand will erarbeitet werden, und der Lohnkostenschock von um ein Viertel höheren Stundenlöhnen wäre ein Dolchstoß für die deutschen Betriebe«, polterte der Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrats Wolfgang Steiger. Als Beweis, dass die Vier-Tage-Woche in der Bevölkerung abgelehnt wird, führt der Wirtschaftsrat der CDU eine Forsa-Umfrage im Auftrag des »Stern« an, derzufolge 55 Prozent der Deutschen gegen die Einführung einer Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich sind.
Die Hans-Böckler-Stiftung hat jedoch nur Beschäftigte befragt, also jenen Teil der Bevölkerung, der auch im Arbeitsleben steht, was die Diskrepanz zur Forsa-Umfrage erklären kann. Zudem wurde die Erwerbsbefragung bereits im November 2022 durchgeführt, also lange vor der aktuellen Debatte.
»Der Wunsch nach einer Vier-Tage-Woche ist dominant unter den abhängig Beschäftigten. Es handelt sich dabei keineswegs um eine kleine Gruppe mit avantgardistischen Zeitwünschen«, fassen Yvonne Lott und Eike Windscheid vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI), das zur Hans-Böckler-Stiftung gehört, die Ergebnisse der Befragung in einer Studie zusammen. Demnach lehnen lediglich 17 Prozent der Befragten eine Vier-Tage-Woche ab. Zwei Prozent gaben an, bereits ihre Vollzeittätigkeit auf vier Tage in der Woche verteilt zu haben.
Der wichtigste Grund für den Wunsch nach einer Vier-Tage-Woche ist demnach, dass die Befragten mehr Zeit für sich selbst, für ihre Familie und für Hobbys und ehrenamtliches Engagement haben wollen. Dies gaben knapp 96, 89 beziehungsweise rund 87 Prozent der Befragten an. Knapp drei Viertel gaben auch an, dass sie die Arbeitsbelastung verringern wollten. Die WSI-Forschenden folgern daraus, dass eine Vier-Tage-Woche für die Gesellschaft insgesamt Vorteile hätte, weil sich die Beschäftigten besser regenerieren sowie Familie und Beruf besser miteinander vereinbaren könnten. »Es spricht daher viel dafür, dass Entscheidungsträger*innen in Politik, bei den Sozialpartnern sowie in Betrieben das Modell der Vier-Tage-Woche als Instrument zur Behebung des Fachkräftemangels, zur Stabilisierung von Sozialkassen, zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie zur Gesunderhaltung von Beschäftigten in Erwägung ziehen und den verbreiteten Wunsch danach unter den Erwerbstätigen ernst nehmen sollten«, schreiben die Forschenden.
Allerdings bräuchte es für die Beschäftigten auch einen Lohnausgleich. So gab mit knapp 73 Prozent die überwiegende Mehrheit der Befragten an, eine Arbeitszeitverkürzung nur bei vollem Lohnausgleich zu wünschen. Laut den WSI-Expert*innen ist dies keine grundsätzliche Hürde für eine Arbeitszeitverkürzung. Sie verweisen auf Forschungsergebnisse, denen zufolge Angestellte in einer Vier-Tage-Woche produktiver arbeiteten, wodurch ein Lohnausgleich kompensiert werden könnte. »Insofern handelt es sich bei der Vier-Tage-Woche um ein Arbeitszeitarrangement, das nicht nur betriebliche Gewinne verspricht, sondern auch individuell breit favorisiert wird«, betonen Lott und Windscheid.
Laut den Forschenden müsste für die Einführung einer Vier-Tage-Woche die Arbeitsorganisation angepasst werden. Blieben die Arbeitsmenge, die Arbeitsabläufe sowie die erwartete Erreichbarkeit unverändert, würden die Vorteile der Reduktion unterminiert, mit möglichen negativen Folgen für Arbeitsmotivation und Sinnerleben der Beschäftigten, schreiben sie in ihrer Studie. Beschäftigte würden dann eher von einer Vier-Tage-Woche absehen. So gaben 82 Prozent jener 17 Prozent an, die eine Vier-Tage-Woche ablehnen, sie hätten das Gefühl, dass sich an den Arbeitsabläufen nichts ändern würde. 77 Prozent von ihnen meinten, die Arbeit sei in kürzerer Zeit nicht zu schaffen.
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