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Fachkräftemangel: Akademischer Nachwuchs wird knapp
Bundesweit sinkt die Zahl der Studienanfänger drastisch, besonders in Nordrhein-Westfalen
Die demografische Entwicklung macht sich zunehmend bei den Studienanfängerzahlen in Nordrhein-Westfalen bemerkbar. Seit mehr als drei Jahren zeigt die Kurve der Studienanfänger vor allem im bevölkerungsreichsten Bundesland nach unten.
»Die Entwicklung der Studierendenzahlen ist immer auch abhängig von der demografischen Entwicklung«, erklärt Ralf Kleinfeld, emeritierter Professor an der Universität Osnabrück, im Gespräch. Die Jahrgänge, die zurzeit an die Universitäten kämen, seien besonders geburtenschwach. »Das Ende der Babyboomer-Generation wird man nur dann ein Stück weit kompensieren können, wenn man bisher uniabsente Gruppen von Jugendlichen an die Universitäten heranführt und eine neue Willkommenskultur für ausländische Studierende aus dem globalen Süden schafft«, sagt Kleinfeld und schlägt damit einen ersten Lösungsansatz vor.
Bundesweit stagnierte nach Angaben des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) in Gütersloh die Zahl der Einschreibungen im Zeitraum von 2011/12 bis 2018/19 in allen Bundesländern. Zwischen 2019/20 und 2021/22 ging sie sogar deutlich zurück.
Dabei ist Nordrhein-Westfalen der größte Verlierer. Im Durchschnitt schreiben sich etwa 12 600 Studienanfänger weniger dort ein als noch vor zehn Jahren. Einen Verlust von mehr als zehn Prozent haben auch Baden-Württemberg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Fächer aus dem technisch-naturwissenschaftlichen Bereich sind besonders betroffen. Interessant: Fachhochschulen kommen dabei besser weg als Universitäten. Private Hochschulen hingegen verzeichnen oft sogar steigende Studienanfängerzahlen.
Dieser Trend macht sich auch an den großen Universitäten im Ruhrgebiet bemerkbar. Wie die Funke-Mediengruppe berichtet, liegt an der Technischen Universität Dortmund die Zahl der Studierenden mit derzeit knapp 32 500 Studierenden um sieben Prozent unter dem Rekordwert von 2017.
Ähnlich sei es an der Universität Duisburg-Essen. Dort promoviert Laurin Friedrich in der Politikwissenschaft. Im Gespräch sagte der sissenschaftliche Mitarbeiter, dass auch in seinem Fachbereich die Zahl der Studienanfänger tendenziell rückläufig zu sein scheine. »Wenn ich mich mit Kollegen von anderen Universitäten, auch außerhalb Nordrhein-Westfalens, unterhalte, wird diese Einschätzung auch dort geteilt.«
Zur Wahrheit gehört indes auch, dass durch die Aussetzung der Wehrpflicht, den doppelten Abiturjahrgang in Nordrhein-Westfalen 2013 sowie die hohen Übergangsquoten die Studienzahlen im vergangenen Jahrzehnt enorm in die Höhe getrieben wurden. Dieser Ansicht ist der Vorsitzende der nordrhein-westfälischen Rektorenkonferenz der Hochschulen für angewandte Wissenschaften, Bernd Kriegesmann.
Alarm schlägt die Wirtschaft. Ihre Sorge: Der Rückgang bei den Einschreibungen droht den Mangel an Fachkräften und Nachwuchswissenschaftlern weiter zu verschärfen, besonders in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Berufen. Sie fordert, die staatlichen Hochschulen sollten ihr Profil überprüfen. Hochschulen müssten für einen größeren Praxisbezug im Studium sorgen sowie Brücken- oder Förderkurse in zentralen Fächern wie Mathematik anbieten.
Aber wie begegnen Universitäten diesem Trend? Dazu hat Ralf Kleinfeld Ideen. Als Antwort auf die demografische Entwicklung könnten die Hochschulen verstärkt internationale Studierende, auch »aus dem globalen Süden«, als Zielgruppe ansprechen. Institutionell wichtig könnten laut Kleinfeld zudem Maßnahmen sein, Formen des lebenslangen Studierens auf breiter Ebene zu ermöglichen. »Dazu gehören familienfreundlichere Teilzeit-, Abend- und Fernstudiengänge. Dazu gehört auch, die Integration von Universitäten und Fachhochschulen voranzutreiben und anzuerkennen, dass ein Studium zu einem Teil wenigstens die höchste Form der Berufsausbildung ist.«
Worin sich alle Experten einig sind, ist, die Attraktivität des Studiums und der beruflichen Perspektiven nach diesem zu erhöhen. So müsse die Studienfinanzierung neu aufgestellt werden, meint Kleinfeld. Der Betreuungsschlüssel von Professoren und Studierenden liegt an den nordrhein-westfälischen Unis am höchsten. Die hohe Anzahl an Studierenden, die ein Professor dort zu betreuen hat, spricht nicht für die Attraktivität eines Studiums.
Es wird etwa an der Uni Duisburg-Essen diskutiert, die Studiengangbeschränkungen für ausgewählte Fächer aufzuheben. An der TU Dortmund waren zuletzt, wie die Funke-Mediengruppe berichtete, 17 Bachelorstudiengänge mit einem Orts-NC beschränkt, vor zehn Jahren waren es noch 26 gewesen.
Künftig soll es, so ein weiterer oft gehörter Vorschlag, noch mehr englischsprachige Studiengänge sowie mehr Mentorenprogramme für Studierende geben. Das CHE wirbt zudem dafür, dass die akademische und berufliche Bildung sich gegenseitig mehr unterstützen. Hochschulen könnten etwa Module zur beruflichen Ausbildung beisteuern. Auch sollten wechselseitig erworbene Kompetenzen leichter angerechnet werden.
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