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Flüchtlingsgipfel: Ausweitung der Pushbackzone
Eine Milliarde Euro und jede Menge Beschränkungen des Asylrechts: die Ergebnisse des »Flüchtlingsgipfels«
Eine Milliarde Euro. Das ist der Kompromiss, den die Regierungschef*innen von Bund und Ländern am Mittwochabend nach stundenlangen Verhandlungen geschlossen haben, um die Kommunen bei der Unterbringung und Versorgung zu entlasten. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach im Anschluss von einem »guten Tag des deutschen Föderalismus«. Das ist angesichts der verärgerten Reaktionen aus Ländern und Kommunen Schönfärberei. Seitens Bayern, Sachsens und Sachsen-Anhalts heißt es in einer Protokollerklärung zum Beschluss: »Die vom Bund vorgesehene Erhöhung um eine Milliarde Euro ist völlig unzureichend und wird der Belastungssituation vor Ort in keiner Weise gerecht.« Eine »Enttäuschung« nannte Städtetags-Präsident Markus Lewe das Treffen: »Alle paar Monate einen fixen Betrag zugeschoben zu bekommen, das hilft uns bei steigenden Flüchtlingszahlen nicht weiter.«
Der Druck, ein Ergebnis vorzeigen zu können, war hoch. Ein Bund-Länder-Treffen unter Leitung von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) war im November weitgehend ergebnislos verlaufen. Die ausstehende Finanzierungsfrage soll nun in einer »effizienten Arbeitsgruppe« diskutiert und im kommenden November entschieden werden. Die Länder beharren weiterhin auf ihrem Vorschlag einer »atmenden Regelung«, die sich den jeweiligen Flüchtlingszahlen und Kostensteigerungen anpasst.
Weniger Dissens gab es im Verlauf des Treffens bei Entscheidungen zur Einschränkung der Rechte von Asylsuchenden. Einzig das von der Linken mitregierte Thüringen kritisiert in einer Protokollerklärung die aufenthaltsrechtlichen Verschärfungen und fordert stattdessen eine Ausweitung des Chancen-Aufenthaltsrechts für Geduldete sowie eine Vereinfachung der Arbeitsaufnahme.
Erst im Nachhinein gab es Kritik von den Grünen: »Der MPK-Beschluss zielt darauf ab, die Rechte Geflüchteter massiv zu beschneiden. Das Grundrecht auf Asyl wäre damit Geschichte«, sagte die Abgeordnete Karoline Otte der »Süddeutschen Zeitung«. Clara Bünger, die fluchtpolitische Sprecherin der Linken, kritisierte die Entwicklung bei einer Bundestagsdebatte am Donnerstag: »Nicht Geflüchtete sind das Problem, sondern die mangelnde Infrastruktur in Deutschland«. Nicht weit genug gingen die geplanten Verschärfungen indes Union und AfD, sagte Bünger.
Diskursverschiebung
Der Beschluss des Bund-Länder-Gipfels bedeutet eine eklatante Aushöhlung des Asylrechts in Deutschland. Obwohl, wie auch Niedersachsens Ministerpräsident und Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz Stephan Weil (SPD) in der Pressekonferenz betont, die Mehrheit der Menschen, die nach Deutschland kommen, ein »Schutzrecht« hat, setzen die Regierungschef*innen auf Abschottung. Bundeskanzler Olaf Scholz erklärte zu Beginn seiner Rede: »Die große Aufgabe, vor der wir stehen, ist, die irreguläre Migration zu steuern und zu begrenzen.«
Was harmlos klingt, spielt Flüchtlinge aus der Ukraine und anderen Kriegsgebieten gegeneinander aus. Denn während Ukrainer*innen von den Verschärfungen nicht betroffen sind, können Flüchtende aus anderen Ländern zumeist nur »irregulär« in die EU einreisen, obwohl sie das gesetzliche Recht haben, einen Asylantrag zu stellen. Indem Asylsuchende ohne Visum pauschal als »irreguläre« Migrant*innen dargestellt werden, ist eine weitere Diskursverschiebung nach rechts vollzogen – und damit eine Pseudo-Legitimierung für die anstehenden Verschärfungen.
Asylverfahren an EU-Außengrenzen
Ein zentraler Punkt des Papiers ist die Unterstützung des EU-Migrationspakts, das zwar an einem solidarischen Verteilmechanismus festhält, aber auch schnelle Asylverfahren an den Außengrenzen vorsieht. Kritiker*innen befürchten, dass Geflüchtete dort unter haftähnlichen Bedingungen festgehalten und die Verfahren rechtlichen Standards nicht genügen. Schon jetzt sind illegale Pushbacks von Geflüchteten an den europäischen Außengrenzen gängige Praxis. Daran beteiligt ist auch die europäische Grenzschutzagentur Frontex, die die Bundesregierung nun explizit stärken will, um »unerlaubte Einreisen zu reduzieren«.
Abschiebehaft und Schleierfahndung
Innerhalb Deutschlands sollen Asylverfahren schneller durchgeführt werden – angesichts der aktuellen Wartezeiten utopisch – und Abschiebungen verstärkt durchgesetzt werden. Von den 2022 insgesamt 304 308 ausreisepflichtigen Menschen in Deutschland waren 248 145 geduldet, das heißt weniger als 60 000 Menschen könnten überhaupt abgeschoben werden.
Dazu sollen Geflüchtete in Abschiebehaft gehalten werden, auch wenn sie ein Asylgesuch geäußert haben, und zwar für vier Wochen statt der bisherigen zehn Tage. Außerdem sollen Beamt*innen zum Zweck der Abschiebung in Gemeinschaftsunterkünften auch andere Räume als die der Gesuchten betreten dürfen. Mobiltelefone von Geflüchteten will die Bundesregierung trotz einer kritischen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts weiterhin auslesen. Zudem soll die Schleierfahndung an deutschen Grenzen intensiviert werden. Das ist ein Schlupfloch für das verbotene Racial Profiling, bei dem Menschen »verdachtsunabhängig« aufgrund ihres Aussehens kontrolliert werden. So könnten auch Pushbacks innerhalb der EU verstärkt vorkommen.
Sichere Herkunftsstaaten
Ein weiterer Baustein im deutschen Abschottungsplan sind Abkommen mit Herkunftsländern nach Vorbild eines Vertrags mit Indien. Demnach soll die Einreise von Fachkräften nach Deutschland vereinfacht werden, im Gegenzug sollen die Länder Menschen, die sich »nicht erfolgreich um Asyl bemüht haben«, wie der Kanzler es ausdrückte, zurücknehmen. In der Vergangenheit kam es dabei schon häufiger zu Abschiebungen in ganz andere Länder als das eigentliche Herkunftsland der Betroffenen.
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