- Kommentare
- Flüchtlingsgipfel
Asylpakt: Abschottung ohne Not
Jens Spahn möchte sogar die Genfer Füchtlingskonvention überdenken
Der neue EU-Asylpakt will Geflüchtete soweit wie möglich aus Europa raushalten. Nämlich in Lagern an den Außengrenzen, in denen sie abwarten sollen, bis ihre Verfahren abgeschlossen sind. Menschen, die über angeblich sichere Drittstaaten einreisen oder aus Herkunftsländern kommen, aus denen bisher nur wenige Asylsuchende anerkannt wurden, sollen schnell abgeschoben werden. Diesen restriktiven Bestrebungen hat sich auch Innenministerin Nancy Faeser angeschlossen.
Nach dem Bund-Länder-Treffen am Mittwoch stehen auch hier alle Zeichen auf Abschottung vor Flüchtenden. Die Länder sollen zwar eine Milliarde Euro erhalten, um die überlasteten Kommunen zu unterstützen, diese Summe wird jedoch als zu gering kritisiert. Die Runde unterstützte in ihrem Abschlusspapier die Vorschläge der EU. Bundeskanzler Olaf Scholz sprach davon, die »irreguläre Migration« steuern und begrenzen zu wollen. Dass Deutschland sich durch Drittstaatenregelungen so weit abschottet, dass alle, die es auf dem Landweg schaffen, halt »irregulär« eingereist sind, ist jedoch ein Teil des Problems.
Als diese Regelung, der sogenannte Asylkompromiss, vor knapp 30 Jahren beschlossen wurde, protestierten immerhin noch Hunderttausende. Heute ist es dagegen beängstigend ruhig, keine großen Demos, keine Besetzung von Parteizentralen. Gerade mal Pro Asyl stellt eine Standard-Mail an die Parteivorstände der Ampel-Koalition zur Verfügung, um diese aufzufordern, sich für »Menschenrechte und Flüchtlingsschutz in Europa« einzusetzen. Gewaltsame Proteste gibt es stattdessen gegen geplante Unterkünfte für Geflüchtete.
Und die große demokratische Oppositionspartei hätte es gerne noch einen Zacken schärfer. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende und ehemalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) stellte am Donnerstagabend in der Talkshow von Markus Lanz im ZDF die Frage, ob die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention noch funktionieren würden.
So geht rechte Strategie: Spahn wappnete sich gegen die von ihm selbst angekündigten tausend Shitstorms, indem er (harmlos!) ja nur eine Frage stellt. Er argumentierte, die Konventionen kämen aus den 50er Jahren (veraltet!) und sie würden »Unsicherheit für alle Beteiligten« produzieren (für ALLE!), stattdessen plädierte er für »klare Kontingente« (klar ist immer gut). Dass er die ihm widersprechende Diskussionsteilnehmerin, die Nahost-Expertin und freie Journalistin Kristin Helberg, so lange und oft unterbrach, bis sie aufgab, setzte der Performanz da nur das Krönchen auf.
Menschenrechte gibt es nicht einfach, sie wurden erkämpft und sie müssen verteidigt werden. Die Genfer Flüchtlingskonvention war auch eine Reaktion auf die Weigerung vieler Staaten in den Dreiziger Jahren, Jüdinnen und Juden aus dem Dritten Reich aufzunehmen. Gerade drängt sich der Eindruck auf, dass Europa lieber wieder dicht macht: Wohlstand, Konsum und Freizügigkeit für die einen – und die anderen sollen halt sehen, wo sie bleiben.
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!