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Berlins Linke wählt neuen Landesvorstand
Berlins Linke wählt neuen Landesvorstand und will 2026 die Machtfrage stellen
Als Klaus Lederer (Linke) 2016 Berliner Kultursenator wurde, bekam er von seiner Partei für einen kurzen Draht symbolisch ein rotes Telefon geschenkt. Ende April musste Lederer sein Amt an Joe Chialo (CDU) abtreten. Die Linke ist nun Opposition in der Hauptstadt. Am Samstag brachte Lederer das rote Telefon mit zum Landesparteitag in den Reinbeckhallen in Köpenick. Er gab es der Partei zurück mit der Hoffnung, das Telefon könnte nach der nächsten Abgeordnetenhauswahl 2026 wieder gebraucht werden.
Es war nicht die einzige Übergabe. So erhielten der Ex-Kultursenator und die ebenfalls abgelöste Justizsenatorin Lena Kreck für ihre bisherigen Staatssekretäre, Büroleiter, Pressesprecher und andere Mitarbeiter Medaillen mit der Aufschrift »Rot-Grün-Rot – Ich war dabei!« Die scheidende Landesvorsitzende Katina Schubert bekam Eintrittskarten für ein Konzert der Popsängerin Sarah Connor geschenkt. Nach sechseinhalb Jahren übergab sie am Samstag an eine Doppelspitze aus Franziska Brychcy und Maximilian Schirmer. Brychcy wurde von den 156 Delegierten mit 85 Prozent der Stimmen zur neuen Landesvorsitzenden gewählt. Sie hatte keine Mitbewerberin. Schirmer bekam 73,4 Prozent. Er musste sich gegen Passar Hariky durchsetzen, der ihm 15,6 Prozent abnahm. Elf Prozent der Delegierten enthielten sich bei der Kampfabstimmung.
Rund 40 Prozent der Berliner haben eine Migrationsgeschichte, doch Die Linke habe es an vielen Stellen verpasst, ihr migrantisches Personal einzubinden, begründete Hariky seine Kandidatur. »Wenn andere Parteien – die teils durch rassistische Anfragen im Abgeordnetenhaus auffallen – inzwischen migrantische Senatoren stellen, dann haben wir Nachholbedarf«, meinte er. Migranten seien in den Fraktionen und Vorständen regelmäßig unterrepräsentiert. Er gehöre keiner bestimmten Strömung, Denkfabrik oder machtpolitischen Zusammenhängen an, sagte der Bewerber. »Das ist in der Politik oftmals ein Nachteil, doch für unsere aktuelle Entwicklung auch eine Chance.« Er kandidiere nicht »gegen Max, Moritz oder sonst wen«. Er wolle ein Angebot machen. Zur Demokratie gehöre, dass es eine Auswahl gebe. Er kenne seine Erfolgsaussichten, mache sich keine Illusionen. Aber: »Wer nicht kämpft, hat schon verloren!«
Kämpfen will jetzt die neue Doppelspitze. »Mit uns ist zu rechnen. Wir haben unsere Oppositionsrolle bereits angenommen«, sagte Franziska Brychcy. Für die Abgeordnetenhauswahl 2026 gab sie die Marschrichtung vor: »Angreifen und die Machtfrage stellen.« Maximilian Schirmer erklärte: »Wir wollen eine moderne Linke, eine diverse Linke.« Immerhin: Deniz Seyhun, geboren 1969 in Istanbul und seit 50 Jahren Berlinerin, wurde mit 86,5 Prozent zur stellvertretenden Landesvorsitzenden gewählt. Und es waren und sind jetzt auch wieder weitere Menschen mit Migrationshintergrund im 20-köpfigen Landesvorstand. Weitere Vizevorsitzende sind jetzt Katalin Gennburg (73 Prozent), Bjoern Thielebein (86 Prozent) und Ruben Lehnert (66 Prozent). Mehr Bewerber gab es nicht, und der Parteitag hatte die Zahl der Stellvertreter von drei auf vier aufgestockt. Alle sechs Personen an der Spitze des Landesverbandes sind neu in dieser Position. Landesgeschäftsführer und Schatzmeisterin bleiben dagegen wie gewohnt Sebastian Koch (72 Prozent) und Annetta Juckel (90 Prozent).
Als »immer noch zu weiß, zu wenig migrantisch« bezeichnete die scheidende Landesvorsitzende Schubert ihre Partei. »Macht es gut, macht es besser«, ermunterte sie zum Abschied aus ihrer Funktion, nicht aber aus den Debatten. Sie gehe nicht in Rente, betonte Schubert. »Die Beschlusslage gilt: Die Partei ist gegen Waffenlieferungen«, erinnerte sie. Es gebe Genossen, die haderten, ob sich diese Position durchhalten lasse. »Aber niemand hier will Krieg. Niemand in dieser Partei ist Kriegstreiber!«
Es ist viel von einem Aufbruch die Rede, aber auch von Liebe und natürlich vom Krieg in der Ukraine. Philipp Wohlfeil, Linksfraktionschef im Bezirk Treptow-Köpenick, ist einer, der mit der Beschlusslage hadert. Natürlich wäre der Krieg in der Ukraine sofort zu Ende, wenn dort niemand Waffen hätte, weiß er. Doch Russland produziere seine Waffen selbst und könnte durchmarschieren, wenn die Ukraine keine Waffen geliefert bekäme.
Ex-Bezirksstadtrat Gernot Klemm warnte: »Das einst gut sortierte Lebensmittelgeschäft Linke droht zu einem Ramschladen zu verkommen, in dem den letzten Kunden billige Kampagnen hinterhergeworfen werden, während Sahra Wagenknecht am einstigen Backstand Frieden und Sozialismus nur für Deutsche feilbietet.« Ihm wurde entgegnet, die Berliner Linke sei keine Wagenburg gegen Wagenknecht. Auch hier habe die Bundestagsabgeordnete Anhänger.
»Ich bin gegen eine Spaltung der Partei«, beteuerte Ellen Brombacher von der Kommunistischen Plattform. »Austritte halte ich für falsch. Sie sind keine Lösung.« Die Rede von Philipp Wohlfeil habe gezeigt, wie tief die Gräben sind. Ein Antrag, an der Parteizentrale im Karl-Liebknecht-Haus ukrainische Flaggen anzubringen, bediene Spaltungstendenzen, urteilte Brombacher. Der Antrag sollte zwar zurückgezogen werden. Doch Brombacher meinte, er hätte erst gar nicht gestellt werden dürfen. Andererseits scheiterte ein Versuch, ein Engagement gegen Russophobie in den Leitantrag hineinzuschreiben, den der Parteitag unter der Überschrift »Die Zukunft der Stadt solidarisch entwickeln« beschloss. Aber auch ein Engagement gegen Islamophobie wurde nicht hinzugenommen.
Dass die Berliner Linke gebraucht werde, bestätigten sich die Genossen nicht nur gegenseitig. Sie schwelgten nicht allein in Erinnerungen, was man als Koalitionspartei alles geleistet habe. DGB-Landesbezirkschefin Katja Karger kann sich die Stadt ohne Die Linke schwer vorstellen. Pfarrer Christian Celoni von der Stadtmission dankte Ex-Sozialsenatorin Katja Kipping dafür, wie sie sich um Obdachlose bemühte. Celoni suchte den Genossen einen Bibelspruch heraus und mahnte, sie sollten sich »ihre Leidenschaft für die Menschen bewahren«. Leidenschaftlich versprach Vizefraktionschef Tobias Schulze: »Wir werden die Große Koalition vor uns hertreiben. Die können nichts.«
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