Klimaaktivismus: Queerfeministisch die Wuhlheide retten

Ein Waldstück in Berlin Oberschöneweide wurde besetzt, um gegen die Rodung für eine Straße zu protestieren

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 6 Min.
Besetzung gegen Straßenbau: Das Baumhaus soll die Bäume schützen – um sie dabei möglichst nicht zu verletzen, ist es ausschließlich mit Seilen befestigt.
Besetzung gegen Straßenbau: Das Baumhaus soll die Bäume schützen – um sie dabei möglichst nicht zu verletzen, ist es ausschließlich mit Seilen befestigt.

Hoch oben über dem Waldboden hängt ein Baumhaus in den Kiefern. »Wuhlheide bleibt!« steht auf dem Banner, das aus dem Fenster hängt. Daneben ist der kleine Maulwurf, Protagonist einer Zeichentrickserie, abgebildet, der kämpferisch seine Faust hebt. An den umstehenden Bäumen hängen Plattformen, Brücken und Transparente mit Sprüchen wie »Smash Patriarchy« (Patriarchat zerschlagen) und »All Cars are Barricades« (Alle Autos sind Barrikaden).

Knapp 50 Personen haben das Waldstück in Oberschöneweide, nahe dem Freizeit- und Erholungszentrum (FEZ), am Samstagabend besetzt, um gegen den geplanten Bau der Tangentialen Verbindung Ost (TVO) zu protestieren, eine vierspurige Straße, für die mindestens 14 Hektar Wuhlheide zerstört würden. Das Motto lautet daher »Wuhli bleibt!«. Am Sonntag herrscht reges Treiben, einige Besetzer*innen üben Klettern, werkeln an Stämmen herum oder malen weitere Transpis. An beiden Enden sind sogenannte Tripods aufgestellt, an denen Aktivist*innen in Hängematten hängen, um eine mögliche Räumung zu erschweren.

Queerfeministische Waldbesetzung in der Berliner Wuhlheide

»Es ist absurd, dass die neue Regierung die TVO hier durchziehen will«, sagt Besetzer*in Carlo zu »nd«. Carlo ist nonbinär, also weder Mann noch Frau, und will mit dem Pronomen »dey« benannt werden. Dey trägt eine lila Perücke, farblich passende Kleidung und Nagellack, eine rosa Maske und Glitzersteinchen im Gesicht. »Keine Täter schützen«, steht auf deren Käppi.

Genau genommen begann die Planung für die TVO zwischen Biesdorf und Köpenick bereits 1969; zuletzt wurde 2007 der südliche Teil von der Wuhlheide bis zum Adlergestell in Treptow-Köpenick eröffnet. Gestritten wird zurzeit um den mittleren Abschnitt, der diesen mit der Märkischen Allee im Norden verbinden und direkt durch die Wuhlheide führen soll. Die ist allerdings ein wichtiges Naherholungs- sowie Wasserschutzgebiet. »Die Tangentialverbindung Ost wird die bestehende Flora und Fauna in der Wuhlheide stark beeinträchtigen«, erklärt Dirk Schäuble, Fachreferent Artenschutz beim Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) Berlin. Unter anderem würden Lebensräume und Wanderungsmöglichkeiten von bedrohten Tieren zerstört.

Unter Rot-Grün-Rot wurde die Straße zumindest in Verbindung mit einem Radweg sowie einer Bahnstrecke, der Schienen-TVO, geplant. Neu am aktuellen Koalitionsvertrag von CDU und SPD ist, dass nur noch von der Autostrecke die Rede ist, mit deren Bau in dieser Legislaturperiode begonnen werden solle. Ob das bedeutet, dass Schwarz-Rot auf Rad- und Bahnstrecke verzichten will, oder ob beides bloß nicht für wichtig genug erachtet wurde, um es im Koalitionsvertrag zu erwähnen, weiß Kristian Ronneburg noch nicht. »Aber das irritiert uns«, sagt der verkehrspolitische Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus zu »nd«.

Die Linke habe die TVO in Verbindung mit Rad und Schiene immer unterstützt. Wenn es um eine Bahnstrecke gehe, halte er die Abholzung des Waldes für »vertretbar«, sagt Ronneburg. Da müsse beim Klimaschutz abgewogen werden. Zudem gehe es um die Entlastung der Siedlungsgebiete an der Köpenicker Straße, die als Nadelöhr im Verkehr eine große Belastung für Anwohnende sei. Wenn aber nur die Straße bleibe, »wird das gar nicht den aktuellen Verkehrsbedürfnissen gerecht«, findet der Linke-Politiker. »Wir werden uns weiter dafür einsetzen, dass die Schiene Priorität genießt«, beteuert er. Ferat Koçak, klimapolitischer Sprecher der Linksfraktion, unterstützt den Protest sowie die Forderung, »im Verkehrssektor radikal umzusteuern«, und ist als parlamentarischer Beobachter in der Wuhlheide.

Tilmann Heuser, Geschäftsführer des BUND Berlin, kritisiert außerdem, dass die TVO größtenteils aus Landesmitteln finanziert würde. »Aller Erfahrung nach wird es nicht bei 351 Millionen Euro Kosten bleiben. Dieses Geld muss angesichts der Klimakrise in Maßnahmen für den klimaneutralen Umbau Berlins fließen. Dazu gehört unbedingt der Ausbau des Nahverkehrs«, teilt Heuser mit und prophezeit »einen langanhaltenden und intensiven Widerstand gegen das Vorhaben«.

Zur Begründung, die TVO solle an anderer Stelle den Verkehr entlasten, sagt Paula, eine Sprecherin von Fridays for Future zu »nd«: »Es ist nicht realistisch, dass es durch mehr Straßen weniger Autos gibt. Wer Straßen säht, wird Verkehr ernten.« Die TVO sei einfach nicht »für eine Lebensrealität 60 Jahre später gemacht«, denn dadurch gehe nicht nur Lebensraum im Wald verloren, sondern durch die Autos würde auch zu viel klimaschädliches CO2 ausgestoßen. Deshalb unterstützt Fridays for Future die Besetzung in der Wuhlheide und macht das am Sonntag mit einer großen Demonstration mit rund 150 Personen im Wald lautstark deutlich.

Die Besetzungsgruppe selbst versteht sich als queerfeministisch. Die meisten Aktivist*innen sind Frauen, Lesben, inter, nonbinäre, trans (Flinta) oder queere Menschen. »Uns ist aber auch der utopische Gedanke wichtig: dass wir nicht nur gegen die Klimakatastrophe sind, sondern auch für einen gesellschaftlichen antikapitalistischen Wandel«, erklärt Carlo. Das heißt, dass die Teilnehmenden möglichst ohne Hierarchien und dafür achtsam miteinander leben wollen. Außerdem eignen sie sich Tätigkeiten an, die eher mit Männlichkeit konnotiert werden: Sie klettern und bauen die ganze Infrastruktur in den Bäumen selbst. Einige von ihnen brächten Erfahrungen aus den Baumbesetzungen in »Hambi«, »Danni« oder »Lützi« mit.

Obwohl es noch nicht einmal ein Planfeststellungsverfahren für die TVO gibt, will »Wuhli bleibt« jetzt schon Aufmerksamkeit auf das Thema lenken, um größere Organisationen zu ermutigen, gegen das Projekt zu klagen. Die Besetzer*innen haben sich auf einen langen Protest inklusive Waldleben eingestellt – allerdings ist es gut möglich, dass sie bald geräumt werden. Schon am Sonntag ist die Polizeipräsenz in der Wuhlheide groß, am Montagnachmittag wurden die ersten Hebebühnen gesichtet. Die »Wuhli« hofft daher auf noch mehr Unterstützer*innen, sollte man versuchen, sie zu vertreiben.

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